Mein Leben war wirklich klasse.
Ich bin behütet aufgewachsen, meine Schwestern waren viel älter als ich, sodass ich praktisch wie ein Einzelkind behandelt wurde. Immer was besonderes und das einzige Kind im engeren Familienkreis. Meine Eltern sind super cool, ich durfte alles machen was ich will - klar bedeutete das, auch Blödsinn und Fehler zu machen, jedoch habe ich es geschafft unbeschadet durch meine Jugend zu kommen und durfte lernen selbst am eigenen Leib zu erfahren und zu entscheiden was richtig und was falsch ist. Durch die großzügige Unterstützung meiner Tante, die recht wohlhabend ist, durfte ich nach meinem Abschluss ein Jahr im Ausland leben. Ich habe Schottland dadurch fest in mein Herz geschlossen und mein Englisch ist durch dieses Jahr unschlagbar.
Mit Jungs lief es soweit auch immer ganz gut - mein Geschmack scheint nicht ganz verkehrt zu sein und ich bin eher ein Beziehungstyp, weshalb ich auch in dieser Hinsicht keine großen Probleme habe.
Zu klagen hatte ich immer irgendwas - ich nehme an, dass das ein Teenager eben so mit bringt und der Mensch nach mehr strebt. Egal, das hasse ich wohl mittlerweile am allermeisten an dieser Situation!
Mein Leben hat sich schlagartig verändert - und das drastisch! Ich hab aus unerfindlichen Gründen ein schlechtes Karma angezogen, habe den Groll Gottes auf mir, habe jemanden mit einer Voodoo Puppe von mir gegen mich aufgebracht und/oder einfach viel zu viele schwarze Katzen betrachtet.
Was immer es ist - es ist wirklich unheimlich!
Mein Freund, mit dem ich schon seit SECHS Jahren zusammen war, hat mich abserviert. Sicher sowas kommt vor, doch er hat keinen Grund, kann es sich nicht erklären, kann es mir nicht erklären und da wir nach so langer Zeit einen gemeinsamen Freundeskreis haben, weiß ich mit großer Sicherheit, dass es da auch niemand anderen in seinem Leben gibt.
Nun solche Dinge passieren, wir sind jung und da kann das schon mal vorkommen. Doch das ist nicht alles was ich zu berichten habe.
Es waren zuerst Kleinigkeiten, die kaum der Rede wert waren - ich fiel und stauchte mir den Knöchel, ich klemmte mir ganz furchtbar meinen Finger, sodass mein Nagel blau wurde und abfiel (eklig sage ich euch), ich bekam eine schreckliche Grippe, um sobald es mir besser ging eine furchtbare Lebensmittelvergiftung zu erleiden. Nein ich bin kein unvorsichtiger Mensch, ich esse nichts bei dem ich mir nicht sicher bin und ich kann versichern mir wirklich häufig die Hände zu waschen. Ich bekleckere mich für gewöhnlich nicht mal - niemand der mich kennt würde mich tollpatschig nennen!
Doch dann bekam ich furchtbare Schmerzen im Bauch - so extrem, dass ich ins Krankenhaus musste. Völlig unerwartet und ohne dass ich jemals in einen Krankenhaus war musst ich operiert werden - innerhalb kürzester Zeit wurde mir verkündet, dass ich Blutungen habe und sofort Notoperiert werden müsse. Er schaudert mir vor Krankenhäusern, ich habe etliche Berichte gelesen, makabere Erfahrungsberichte, Dokumentationen und anonyme Berichte von Ärzten. Großer Fehler ich möchte hiermit jedem abraten. Die Folge war eine große Verstörung. Die Schmerzen gepaart mit der Hilflosigkeit und der Angst in fremden Händen zu sein, eine Operation in Narkose überstehen zu müssen während irgendwelche Menschen irgendetwas mit deinem Körper machen, du jedoch geistig nicht abwesend bist, führte zu einer Art Schock. Ich stand noch lange nach dieser Operation mental völlig neben mir, hatte Ängste und Schmerzen, konnte lange nicht zur Arbeit, sodass auch Ängste um meine Stelle dazu kamen.
Wie verhext.
Doch ich kam auf die Beine und versuchte es erneut. Kam wieder zu mir und schaffte es Normalität zu finden.
Die nächsten Katastrophen lauerten. Wartete bis es mir besser ging, sodass ich erst wieder niedergerissen werde, wenn ich fest auf den Beinen stehe und erst dann zu Fall gebracht werde, wenn ich mit höchster Anstrengung alles gegeben habe, um zu mir selbst zurück zu kommen.
Meine Schwester, die schon seit 20 Jahren mit ihrem Mann zusammen war trennte sich - ich mochte ihn mehr als sie und die beiden haben mir ein Gefühl von Sicherheit, davon, dass es sehr wohl jemanden gibt mit dem man für immer sein Leben verbringen kann. Die Beziehung der beiden war mein Anker.
Keinen Monat später bekamen wir einen Anruf. In dem Haus meiner Großeltern, in denen auch meine Cousine, ihr Mann und ihr Sohn lebten brannte nieder. Mein Großvater und der Mann meiner Cousine waren gemeinsam verreist um zu angeln, sodass meine Cousine, meine Großmutter und ihr Sohn allein zu Hause waren.
Meine Großmutter und meine Cousine haben den Brand nicht überlebt.
Wir standen uns nah, sehr nah und wohnten alle nah bei einander.
Der Ruck ging durch die Familie und nichts war je wie vorher. Keiner schafft es auch nur annähernd darüber hinweg zu kommen, dieses Elend zu akzeptieren und es gibt keine Familien Feier mehr, bei der nicht alle Wunden wieder reißen. So unfair es ist, wir schaffen es nicht uns halt zu geben, sondern die Erinnerungen die wir bei einander hervorrufen verstören uns jedes Mal aufs Neue.
Und es ist furchtbar egoistisch von meinen leid zu klagen, wenn man schon klar hört - nicht nur mir geht es so! Um mich herum hat niemand etwas gutes zu berichten: Krankheit, Trennung, ein ungesundes Kind kommt zur Welt, ein Kind verstirbt noch bevor er zur Welt kommen darf ... all das plagt meine Nachbarschaft, meinen Freundeskreis und meine Arbeitskollegen! Fast tröstlich, dass ich nicht alleine leide - ach wem mache ich was vor! Es ist weder tröstlich noch zu erklären!
Ich verstehe nicht was dieses Elend ausgelöst hat und ich kann nicht mal erraten wieso so viel leid herrscht. Es liegt nicht an mir, es liegt an keiner Depression, sodass ich das Gute nicht mehr sehe. Es gibt nichts Gutes mehr. Wie lange halte ich das wohl noch so aus?
Aaaah klasse, Ferien!
Endlich Ferien.
Es ist die Erleichterung überhaupt!
Ich hasse Schule so so sehr und nichts könnte mich glücklicher machen als die Gewissheit, dass ich jetzt volle sechs Wochen zu Hause verbringen kann.
Freunde habe ich nicht, weshalb ich meine Ferien nicht draußen mit den anderen Teenies verbringen werde, die jetzt mit 15 wohl heimlich trinken, rauchen und ihre Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht machen.
Nein nein, ich werde meine Zeit zu Hause verbringen, meinen Schlafrhytmus, wie ich es gezwungen bin ihn einzuhalten total ignorieren und richtig schön ... zocken.
Ja nicht wie ihr denkt - natürlich schiesse ich nicht auf Menschen oder sowas, ich habe mir ein neues Spiel gekauft, bei dem man eine Stadt erschaffen kann und viele Haushalte darin erstellen kann. Man kann die Häuser selbst bauen und die Charaktere erstellen, ihnen Persönlichkeiten verpasst und die Beziehung zwischen den Nachbarn festlegen. Herrlich, das ist genau das richtige und hat absolutes Suchtpotential. Ich hab es noch nie gespielt, jedoch wurde es schon ewig angepriesen und beworben, da es so detailliert ist und man unheimlich viele Möglichkeiten hat die sozialen Bindungen zu formen und verknüpfen.
Ich beginne damit meinen PC nun vor dem Bett aufzubauen. Mein Bett ist niedrig und der Plan ist, es so zu stellen, dass ich nach dem aufwachen nur mit meinen Kissen ans Bettende rutschen muss und los spielen kann. Absolut genial.
Mein Taschengeld schmeiße ich (das was noch übrig ist) für Snacks und Fertigessen raus, sodass es zu einer optimalen Zeitersparnis kommt - mehr Zeit für mein brandneues, unverschämt teures Simulationsspiel.
Alles ist perfekt geplant.
Ich lege los.
An dem täglichen nörgeln meiner Mutter vorbei spiele ich und spiele.
Zuerst nur bis 12 Uhr und dann wird es immer später. Jede freie Minute nutze ich um meine Stadt aufzubauen. Viele viele Stunden nutze ich dazu die Haushalte zu erstellen, mit die Charaktere zu überlegen, Male auf Blöcke die Beziehungen untereinander auf, gestalte die Häuser passend, achte darauf, dass die Bedürfnisse befriedigt sind und verliere dabei jegliches Gefühl für die Zeit und auch alle Sorgen um Noten, fehlende Freunde, Geldsorgen meiner Eltern ... egal, das alles ist vergessen! Ich denke nur noch an meine geliebte Stadt. Alles geht es gut, ich gebe dafür wirklich alles.
Ca. 2 1/2 Wochen klappt das wahnsinnig gut. Meine Stadt ist riesig, ich habe alles im Griff - nur mit voller Konzentration.
Doch dann fing es an immer schlimmer zu werden. Meine Eltern stritten sich grundsätzlich, das war wirklich nichts Neues und da es mir bekannt ist auch nicht sonderlich besorgniserregend. Doch das hatte sich geändert. Die beiden wurden lauter als sonst, aggressiver. Es war merklich schlimmer geworden.
Mit Kopfhörern versuchte ich mich abzuschirmen, jedoch war das in einer Wohnung einfach unmöglich! Und so hörte ich irgendwann um was es ging. Mein Vater hat nicht nur seinen Job verloren, mit dem er und finanziell durchbrachte (gerade so), sondern aus irgendwelchen Midlifecrisis gründen hat er meine Mutter betrogen.
Mein Leben wird so wie ich es kenne nicht mehr existieren.
Ich habe keine Freunde - doch ihr dürft mich nicht falsch verstehen, ich bin nicht traurig darüber! Ich sehnte mich auch nie nach Freunden! Ich habe meinen Vater und meine Mutter, ein sicheres Nest und dadurch eine Stabilität in meinem Leben .... hatte ....
Es wird immer schlimmer, die beiden schupsen sich und schmeißen Dinge, sie schreien, sodass regelmäßig an der Tür geklingelt wird, weil Nachbarn sich gern beschweren würden, doch niemand von uns öffnet die Tür. Einmal war die Polizei da, jedoch beschwichtigten meine Eltern sie und sie gingen.
Die Frustration in mir nimmt zu, mein Spiel lenkt mich nicht mehr ab, sondern erzeugt eine Art Stress in mir irgendwas schaffen zu müssen, irgendwelche dämlichen perfekten Leben zu pflegen obwohl bei mir alles den Bach runter geht!
Es ätzt mich an ... so ist das Leben nicht!
Somit fange ich an meine Strategie zu ändern - nach vier Wochen meiner Ferien ist es soweit. Mein Leben geht den Bach runter und nun wird auch ihr Leben den Bach runter gehen. Ich werde nicht allein leiden - geteiltes leid ist halbes leid.
Das Spiel ist sehr detailliert wie ich euch schon berichtet habe. Ich lasse es langsam angehen - hier eine Trennung, da ein Streit, ich zerdrücke Beziehungen, lasse die kleinen Menschen langsam immer mal krank werden. Den einen erwischt es richtig, den anderen mäßig und der wiedernächste hat es, upsi, leider nicht geschafft.
Das gibt mir ein Gefühl von Befriedigung. Ich lasse sie einfach noch mehr leiden als mich!
Oh ein kleines Feuer ist doch gut? Mal sehen wer sich rechtzeitig retten kann ... nur das Kind? Langweilig.
Ich muss wohl noch die sozialen Befindlichkeiten runter schrauben. Wie wäre es mit einer Art Krankheit die alle dazu bringt ihre Kontakte einschränken zu müssen? Hach dazu muss ich cheaten, aber das ist überhaupt gar kein Problem. Ich konnte ja auch schummeln, um mir zusätzliches Geld zu verschaffen, um die reiche Tante Tatti und ihr Anwesen zu erschaffen. Der geht es auch viel zu gut - sie sollte ihren Job verlieren. Und ihre drei Katzen ... hm ich befürchte sie fühlen sich nicht wohl.
Während mein Vater mittlerweile ein blaues Auge trägt, meine Mutter angefangen hat zu trinken und sich regelmäßig bekotzt und einpisst, lasse ich es richtig krachen.
Ein Mord ist doch eine gute Idee?
Ach die Auswirkungen sind wirklich nicht groß.
Wenn ein gewisser Grad einer Unzufriedenheit herrscht und man die Politiker in meiner Stadt so richtig blöde Entscheidungen treffen, gibt es die Möglichkeit, dass die Bürger Aufstände planen und durchführen. Bis hin dazu, dass sie randalieren und Autos anzünden!
Das habe ich in einem Forum gelesen. Unter dem Post schrieben alle Dinge wie „ja angeblich soll das zwar gehen aber wer würde das schon freiwillig machen? Jeder der so viel Zeit investiert hat seine Stadt zu gestalten liebt sie und würde sie nie so mutwillig und grausam zerstören!“
Idioten ... Leben in ihrer Einhorn Tutti Frutti rosa heilen Welt. Pfft, los gehts, wir ziehen das durch!
Es wird immer schlimmer, unerträglich! Keiner schafft es sich zu erholen, alle streiten und man möchte meinen eine Pandemie würde dazu führen, dass sich die Lage beruhigt! Ich dachte wenn niemand mehr das Haus verlässt würde es irgendwie ruhiger werden. Doch das Gegenteil passiert hier gerade um mich herum. Der Mann der neben uns wohnt hat seine Frau getötet. Er sagt es tut ihm nicht mal leid, denn selbst im Knast wäre es schöner als mit dieser Schl***e zusammen zu leben. Wir kannten die beiden schon seit einer Ewigkeit. Sie waren immer liebevoll zu einander und es gab nie Streit zwischen ihnen. Die Polizei kam nicht hinterher die häusliche Gewalt zu stoppen, die Pandemie wurde von unserer Regierung schmerzlich unterschätzt. Leute sterben und die anderen sind aufgebracht. Es gibt Lager die sich mehr Konsequenz der Regierung wünschen, es gibt Menschen die meinen diese Krankheit würde es gar nicht geben und wieder andere wollen sich nicht an Kontaktbeschränkungen halten. Egal was ist es, niemand scheint zufrieden mit irgendwas zu sein und es ist beängstigend. Es kommt langsam zu Demonstrationen. Vermehrt und diese werden immer radikaler. Vermummte tauchen unter ihnen auf, die Massenansammlungen führen zu großen Ausbrüchen der Infektionen, die Krankenhäuser sind überlastet.
Ich verlasse das Haus nicht mehr. Ich habe Angst um mein Leben und wenn ich daran denke wie glücklich ich mal Jahr ... vor nicht mal zwei Jahren, dann kommt es mir vor als wäre es ein anderen leben.
Es geht zu Ende.
Menschen sterben in Massen.
Es ist eine Frage der Zeit bis es mich erwischt. Fast alle meine Freunde und Verwandten sind schon tot. Wenn es mich nicht bald holen kommt, so muss ich wohl selbst gehen, denn das alles macht keinen Sinn.
Meine Scheibe wurde gerade mit einen Ziegelstein eingeschlagen ... eine Scherbe schnitt meine Wange. Ich denke es ist so weit.
So. Es ist Sonntag und morgen muss ich wieder zur Schule. Ich habe nicht mal saubere Sachen, ich fürchte jeden Tag, dass sich meine Eltern umbringen und es scheint kein Ausweg in Sicht zu sein.
Doch mir geht es trotzdem nicht so schlecht wie meiner Stadt. Oder sagen wir mal, das was davon übrige geblieben ist.
Ich hab noch ein paar Stunden Zeit. Bis auf wenige Verrückte die die Stadt zerstören und alles anzünden, ist eigentlich nur noch ein Haushalt, den ich echt gern hab, denn diesen habe ich als erstes erstellt.
Ich entferne den Zaun um das Grundstück. Ich muss bald schlafen, ich muss es zu Ende bringen.