Deutsches Creepypasta Wiki

Türchen 12

Autor: The dark Antichrist

Als die Venus blutete[]

Trubeg[]

 

Und der Himmel brach auf und entfachte Wolken aus Flammen, deren Feuer wie ein glühend heißer Regen auf die Erde niederprasselte, um all das Unreine zu verbrennen und vom Wind verstreuen zu lassen. Und während das rote Licht der Venus zu verblassen und der Blutdurst aller Sünder zu versiegen begann, während die Flüsse verdampften und der Boden Feuer fing und während Leben und Tod gleichermaßen vernichtet wurden… da begann eine Mutter ein Kind zu lieben, das nicht das ihre war und welches obgleich, in Hass gezeugt, dazu bestimmt war, uns alle zu erlösen.

 

Es war etwa 19 Uhr und draußen hatte bereits die Dunkelheit das Sonnenlicht vollständig verdrängt. An der nächsten Haltestelle dann betraten wieder ein paar neue Fahrgäste den Bus und einer von ihnen setzte sich, entgegen meiner Zustimmung, neben mich. Die Dame trug einen seidenen Schal um den Hals, der zudem auch beinahe ihr gesamtes Gesicht einhüllte, was bei der furchtbaren Kälte da draußen ja auch nicht verwunderlich war. Neben ihren hohen schwarzen Stiefeln war sie zudem auch in einen überaus voluminösen Pelzmantel gewickelt, der sie fast schon wie einen Bären aussehen ließ.

,,Sie sehen blass aus. Geht es ihnen nicht gut?“

Mit einem etwas besorgten Blick sah mich die Frau durch zwei leicht verschmutzte Brillengläser an, hinter denen die wohl blausten Augen lagen, die ich je gesehen hatte. Es hatte glatt etwas Unnatürliches an sich. Mit einem Lächeln reichte sie mir eine Schachtel Tabletten.

,,Möchten sie eine? Das sind Kopfschmerztabletten. Ich sehe doch, wie sie sich immerzu den Kopf reiben. Sind auch nicht ganz so starke. Nur zu.“

,,Danke nein, ich möchte eigentlich zurzeit gar nichts mehr zu mir nehmen. Ich hab‘ Angst, dass meinem Kleinen was davon schaden könnte“, entgegnete ich nur dankend und strich mir über den Bauch.

Langsam beugte sich die Frau zu mir rüber, jedoch ohne die anderen Fahrgäste aus den Augen zu lassen, um mir leise ins Ohr zu flüstern.

,,Ich kenne sie – ich habe ihren Blog gelesen und ich komme mit einer Antwort für sie…“

Mein Puls schoss augenblicklich in ungeahnte Höhen und mein Atem stockte für einen etwas zu langen Moment.

,,Sie – sie haben das auch durchgemacht?“

,,Ja… es war schrecklich. Diese ständige Angst vor dem Ungewissen, dass ich nicht wusste, was mit mir geschehen würde. Ich kann mir kaum vorstellen, was für eine Angst sie nun haben müssen.“

,,Sie waren auch schwanger?“

,,Ja.“

,,War das der Grund, weshalb sie sie verfolgten? Ich meine, waren sie deswegen hinter ihnen her?“

,,Nein, sie waren nie hinter mir her. Es ging ihnen immer nur um das Kind.“

Mir wurde kalt. Es schien mir, als wäre die Temperatur im Bus plötzlich so tief gefallen, dass es hier drinnen nun inzwischen ebenso kalt wie draußen war. Meine Nackenhaare richteten sich auf und mir wurde übel.

,,Und was haben sie getan? Wie sind sie sie losgeworden?“

,,Sie gingen einfach. Gleich nachdem ich entbunden hatte. Ich musste ihnen nur das geben, weshalb sie mich aufsuchten, um für immer von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. Hätte ich gewusst, dass die Lösung so einfach war, hätte ich mich nicht so gefürchtet, wie sie es nun tun.“

Ich rückte ein bisschen zurück, doch das Fenster hinter mir hinderte mich daran, mich weiter von der Frau zu entfernen, deren mildes Lächeln nun alles andere als beruhigend auf mich wirkte.

,,Sie haben doch nicht…“

,,Ihnen das Kind gegeben? Doch – das tat ich und es war die richtige Entscheidung. Überlegen sie mal, was geschehen wäre, wenn ich es nicht freiwillig getan hätte. Sie hätten es doch so oder so bekommen und dafür wäre sie auch über meine Leiche hinweggeschritten. Geben sie ihren Beschützerinstinkt auf und ihrem Überlebenswillen nach. Es ist doch nur zu ihrem Besten.“

,,Sie sind krank…“, gab ich mit vollem Entsetzen von mir, während ihr Lächeln breiter wurde und sie ihre Augen immer weiter zusammenkniff.

In dem Moment segelte etwas von ihrem Gesicht und landete sanft wie eine Feder auf meinem Sitz… Meine Augen weiteten sich und ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien, als ich starr vor Angst die leuchtend blaue Kontaktlinse fixiert hatte. Ich sah auf, erwartete das Schlimmste. Doch das Schlimmste war nicht das glasige, nun unbedeckte, Auge meiner Sitznachbarin, das wie ein weißer Tennisball in ihrem Schädel steckte. Es war auch nicht das erkaltete Wachs, das noch immer an ihrem Augenlid hing wie eine gefrorene Träne, und es war noch nicht einmal das mit Flüssigkeit getränkte Tuch, das sie in der Hand hielt, während all die anderen Passagiere plötzlich aufstanden und ich voller Schrecken erkennen musste, dass ein jeder von ihnen die stigmatischen Wachstränen weinte.

Das Schlimmste allerdings war die Tatsache, dass sie mein Baby wollten, und noch viel grässlicher war meine Gewissheit, dass ich nichts tun konnte, um sie an diesem Vorhaben zu hindern - selbst wenn ich dafür sterben würde.

,,Lilly, meine Liebe. Warum konnten sie nicht friedfertig aufgeben und sich freiwillig dazu entschließen, seinem Willen nachzugeben? Wir wollten sie eigentlich nicht auf diese Weise in unsere Gewalt bringen, doch ihr Unverständnis bezüglich dessen, was wir tun, weckt in mir den Verdacht, dass sie Versuche starten könnten, unser Vorhaben zu vereiteln, und dies können wir keinesfalls zulassen. Und jetzt halten sie still – es tut auch nicht weh… zumindest noch nicht.“

Ein lauter Schrei entwich mir; nicht jedoch aus Angst und Panik, sondern aus einem plötzlich eintretenden und enormen Schmerz, der sich seinen Weg durch meinen gesamten Körper bahnte und mich zusammenbrechen ließ. Und während ich so dalag und verzweifelt gen Himmel guckte, so als würde ich Hilfe erwarten, starrten sie nur auf mich herab und auf ihren Gesichtern zeichnete sich innerhalb Bruchteilen einer Sekunde eine groteske Euphorie ab.

,,Es ist so weit. Meine Freunde! Die Erlösung naht!“

Als meine Augen sich langsam wieder öffneten, fand ich mich in jener Finsternis wieder, die bereits herrschte, als ich sie noch geschlossen hielt. Eines jedoch wusste ich mit Sicherheit. Ganz grauenhafte Schmerzen, die sich durch meinen gesamten Leib zogen und mich wünschen ließen, dass mich die Ohnmacht, aus der ich soeben erwacht war, bald wieder zurückeilen würde, um mich abermals in tiefsten Schlaf zu befördern.

,,Hilfe… Helft mir, bitte…“

Während ich, trotz der großen Schmerzen, kaum hörbar vor mich hin wimmerte, leuchtete in der Ferne ein kleines Licht auf, dem bald schon mehrere andere folgten. Wie ein Schwarm von Glühwürmchen bewegten sie sich auf mich zu und umzingelten mich langsam, aber sicher, bis ich wie in einem Meer aus brennendem Wasser lag. Worauf ich lag? Ich wusste es nicht, aber als ich mir diese Frage stellte, wandte ich meine Augen sogleich von den hellen Kerzen um mich herum ab, hob den Kopf leicht, wenngleich auch dieser mir schwer wie Beton erschien, und sah in Richtung meiner Füße. Mein Körper lag gefesselt auf einem hölzernen, schwarzen Tisch, der mit allerlei Schriftzeichen geziert worden war, und im Schein des Feuers erkannte ich voller Entsetzen, dass er auch durch Reste von Blutspuren gezeichnet war.

,,Hilfe“, langsam, aber sicher erhielt ich meine Stimme wieder zurück.

,,Hilfe“, und mit einem Mal durchzog ein weiterer heftiger Schmerz meinen Körper und ließ mich all das ausstoßen, was sich in meiner Lunge bisher angesammelt hatte.

,,Hiiiilfe!!! Helft mir doch bitte!!!“

,,Schweig!“

Die Stimme war rau und zornerfüllt, doch es schwang noch immer dieser sanfte Klang mit, den ich bereits schonmal vernommen hatte, und als ich mich nach ihrem Ursprung umblickte, schälten sich die Konturen eines Mannes aus den Schatten. Er trug keine Kerze, doch auf dem Stock, den er in den Händen hielt, thronte ein gülden glänzender Stein, der die Kerzen um uns herum so stark reflektierte, dass er beinahe wie eine kleine Sonne aussah.

,,Es ist nicht mehr weit, mein Kind. Der Weg bis zur Unendlichkeit ist bald getan.“

Er kam näher an mich heran, stellte sich direkt neben mich und dann schmierte er mir etwas ins Gesicht, nur um mir gleich darauf noch eine Ohrfeige zu geben. Vorsichtig, fast schon reflexartig, schob ich meine Zunge vor, um die unbekannte Substanz zumindest ein wenig schmecken zu können…

Blut.

Sofort spuckte ich den kleinen Tropfen, den ich mit meiner Zunge erwischte, wieder aus und begann zu würgen.

,,Wer seid ihr?! Was in Gottes Namen wollt ihr nur von mir???“

,,Mein Kind, wir sind nichts weiter als die Diener des Herrn und wir kommen, um dir große Freude zu verkünden, denn du trägst denjenigen in dir, der die Welt reinigen wird, dessen Feuer uns alle erlösen sowie unsere Sorgen in Rauch aufgehen lässt. Unsere Hoffnung, alles, was wir uns je erträumten, steckt nun in dir. Mutter!“

,,Mutter!!!“, rief die um mich versammelte Meute im Chor und hielt die Kerzen empor.

Um mich herum erstreckte sich ein Ozean aus weißen, leeren Augen, allesamt gezeichnet von den mir nur allzu gut bekannten Wachstränen.

,,Meine lieben Freunde, Brüder und Schwestern. Mutter fürchtet sich vor unserem Anblick, darum lasst uns dafür sorgen, dass sie unser Antlitz nicht mehr zu erblicken braucht.“

Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich rechnete jeden Moment damit, dass eines dieser Monster mir die Augen ausstechen würde, doch zu meinem Glück, wenn man in meiner Situation überhaupt auch nur in irgendeiner Weise von Glück sprechen konnte, pusteten sie lediglich ihre Kerzen aus und ihre Leiber wurden eins mit der Finsternis, die mich umgab. Alles, was meine Sinne nun noch wahrnehmen konnten, waren die ungeheuren Schmerzen und ein leises Summen, das in seichten Wellen um mich herumflog.

,,Es hat begonnen.“

In diesem Augenblick spürte ich ihn – einen Schmerz, so unbeschreiblich stark, dass ich es mir nicht in meinen schlimmsten Alpträumen hätte vorstellen können. Ich schrie und weinte, und just als ich dies tat, bemerkte ich etwas, das mir mehr Angst einjagte als all der andere Horror, der sich in den letzten Tagen ereignet hatte. Eine einzelne Träne lief über meine Wange, doch versiegte sie nicht auf ihrem Weg und sie fiel auch nicht wie ein Tautropfen auf das Holz des Tisches… sie verdampfte und ließ nichts weiter als einen kleinen, rötlichen Fleck zurück. Einen Fleck, der unglaublich heiß war. Als wenn man es zustande gebracht hätte, das Fleisch unterhalb meiner Haut in Brand zu setzen.

Dann schien sich der Fleck auszubreiten und meine gesamte Haut blühte plötzlich in einem feurigen Rot auf und der Schmerz, den ich spürte, war so intensiv, dass ich das Gefühl hatte, in Flammen zu stehen.

,,Helft mir! Bei Gott, warum hilft mir denn keiner?! Bitte Gott! Bitte!!!“

,,Schweig, elende Hure!“

Ein fester Schlag traf auf meine Schläfe und mein Kopf schlug durch die Wucht auf der entgegengesetzten Seite des Tisches auf. Benommen, aber noch immer viel zu sehr dessen bewusst, was mit mir geschah, spürte ich, wie meine Arme von mehreren starken Händen gepackt und so stark gestreckt wurden, dass ich dachte, sie würden sie mir ausreißen.

,,Aaaaah! Bitte nicht! Um Gottes Willen, lasst mich los!!!“

Der Schmerz wurde stärker, doch nicht durch das feurige Brennen auf meiner Haut, sondern durch den stechenden Schmerz, der sich durch meine Hände bohrte. Ich konnte in der Dunkelheit nicht erkennen, was es war, das sie mir da durch die Hände trieben, doch in meinem Verstand, der sich inzwischen jede abartige Gewalttat vorzustellen vermochte, konnte sich gut denken, was es war.

Was waren das nur für Menschen? Ich hatte schon des Öfteren die erschreckendsten Geschichten über diverse Sekten wie den Satanisten gehört, doch etwas derartig Extremes hätte ich mir trotzdem niemals vorstellen können. Vielleicht war das ihre Wunschvorstellung von einem Krippenspiel, dachte ich bei mir und zugleich überlegte ich, wie sehr ich doch darüber gelacht hätte, wenn ich nicht selbst in dieser Situation stecken würde. Stattdessen gab es nur Schmerz; ein brennender und ein stechender, wobei letzterer sich nun auch in meinen beiden Füßen wiederfand und mir einen weiteren markerschütternden Schrei entweichen ließ.

Und dann war es soweit. Der Schmerz erreichte ungeahnte Höhen und für ein paar Sekunden, die mir jedoch vorkamen wie eine halbe Ewigkeit, glaubte ich auf der dünnen Schwelle zwischen Leben und Tod zu schweben. Mal trieb ich auf der Seite der Lebenden, dann glitt ich wieder hinüber ins Totenreich, doch ich war weder tot noch lebendig. Stattdessen war ich eine perverse Mischung aus beidem. Etwas, das sowohl den natürlichen als auch den göttlichen Gesetzen trotzte und mich zu einer Abtrünnigen des Glaubens und des Wissens werden ließ.

Ein lauter Knall ertönte in meinen Ohren und im selben Moment durchzog ein weiterer brennender Schmerz meinen Körper – doch war es ein anderer.

,,Nein… tut das nicht…“

Ich merkte bereits, wie mich meine Kräfte verließen, doch diese Qual spürte ich noch immer so deutlich wie zu Beginn der ganzen Tortur. Ein weiterer Knall ertönte und ich glaubte, bei lebendigem Leib zerfetzt zu werden. Auch hier wusste ich nicht, was es war, das mir dieses Leid zufügte, doch auch dieses Mal konnte ich mir gut vorstellen, worum es sich hierbei handelte.

Und dann erfüllte er mich – der Schmerz. Es war nicht mehr nur ein Gefühl… er wurde ein Teil von mir, eher einem Organ denn einer reinen Emotion gleichend. Und während ich dalag, verlassen in der Dunkelheit, stetig nur dieses Knallen sowie das monotone Summen hörte, wanderte diese beinahe tödliche Pein hinab zu meinem Schoß und ich spürte, wie sich warmes Blut daraus ergoss.

Meine Sinne schwanden, in wenigen Sekunden würden diese Qualen mich entweder ohnmächtig werden oder direkt sterben lassen, und dennoch wurden die Leiden um keinen Deut gelindert. Ich schrie, wollte es zumindest, doch inzwischen kam nur noch ein leises Keuchen aus meinen Lungen hervor, während der Blutstrom aus meinem Unterleib immer stärker zunahm. Und das Elend steigerte sich weiterhin, obwohl die Grenze dessen, was ich an Torturen für möglich erachtete, längst ausgeschöpft hätte sein müssen.

Gerade jetzt kam es mir nicht mehr nur so vor, als würde ich in Flammen stehen, sondern als würde ich glühende Kohlen durch meine Beckenknochen hindurchpressen. Vor einigen Jahren hatte ich mich beim Grillen versehentlich selber angezündet, und bis ich mein Oberteil von meinem Körper reißen konnte, hatte ich bereits Verbrennungen dritten Grades davongetragen. Ich dachte damals, einen schlimmeren Schmerz könne es gar nicht geben, doch das was jetzt gerade meinen Körper erfasst hatte, hätte nicht einmal von einer Verbrennung 6. Grades hervorgerufen werden können, sofern es etwas Derartiges gab.

Und dann hörte es mit einem Mal auf. Die ganze Qual in Rauch aufgelöst. Erleichtert atmete ich auf und für einen Moment lang dachte ich, dass mein Leben ein Ende genommen hatte, doch dem war nicht so, denn kurz nachdem Ruhe um mich herum eingekehrt war, ertönte sein Schreien. Doch es war gewiss nicht das Schreien eines Babys. Das klang nicht mal nach dem Schreien von überhaupt irgendeinem mir bekannten Lebewesen. Dieses Schreien umgab eine derartig schauderhafte und düstere Aura, dass der Raum um mich trotz seiner gänzlichen Schwärze nun umso dunkler erschien.

Plötzlich hörte ich leises Tuscheln. Ich hörte, wie sich das Schreien ein wenig von mir zu entfernen begann… sie trugen es davon!

,,Bitte… gebt ihn mir.“

Ihn? Woher wusste ich überhaupt, dass es ein Junge war? Diese Frage konnte ich mir selber nicht beantworten und doch wusste ich, dass es wahr war. Mein kleiner Bastian…

,,Seht euch nur diese wunderschönen Augen an. Ganz der Vater, findet ihr nicht?“

Was? Mein Herz blieb stehen und drohte sogleich innerhalb meines Brustkorbes zu explodieren. Was bitte wussten sie über seinen Vater?

,,Oh, und schaut euch nur diese kleinen Hüf…“

Mehr vermochte ich akustisch nicht mehr zu verstehen, da mir alle paar Sekunden die Sinne so sehr schwanden, dass ich jederzeit damit rechnen musste, vor meinen Schöpfer zu treten. Doch dann hörte ich etwas. Etwas, das das Schreien und Flüstern übertönte. Etwas, das unmittelbar in meiner Nähe ertönte und dem Geräusch ähnelte, das ich vor und nach meiner Entbindung von mir gegeben hatte. Dieses Wimmern, doch war es keine andere Frau, es kam unverkennbar von einem Mann.

Erst als ich meinen Kopf ein wenig drehte und an dem Tisch horchte, der sich unter mir befand, erkannte ich, dass die Geräusche von einer Person kamen, die ebenso wie ich an diesen Tisch gebunden worden war… nur befand sie sich unterhalb der Platte und nicht darauf, so wie ich es tat.

,,Hey…“, flüsterte ich leise.

Keine Antwort.

,,H…“

Bei meinem zweiten Versuch, die Person anzusprechen, blieb mir endgültig die Stimme weg und ich bekam das Gefühl, dass ich sie nie wieder zurückbekommen würde. Nie mehr. Ebenso mein Kind, dessen Schreie so markerschütternd durch die Finsternis hallten, dass es mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte und ich zu zittern begann.

,,Nun soll es geschehen! Kommt, meine Freunde, denn alles ist bereit, um unseren Erlöser zu seiner Vollendung zu verhelfen!“

Der Tisch unter mir begann sich zu bewegen und nach einem gewaltigen Ruck richtete er sich plötzlich auf und, mit dem Kopf zu Boden gerichtet, hing ich nun hilflos in der Luft und spürte, wie das restliche Blut, das ich noch in meinem Körper hatte, in meinen Schädel strömte. Und da war noch etwas anderes, das ich an meinem Kopf wahrnehmen konnte. Nach all dem Schmerz, den ich in den letzten Minuten empfunden hatte, konnte ich ihn kaum noch wirklich einordnen, jedoch kam es mir vor wie ein schwaches Stechen. Da bekam ich plötzlich einen kräftigen Schlag auf den Kopf und nun spürte ich ganz deutlich, dass es ein Stechen war.

Dem Mann hinter mir wurde wohl dasselbe Leid angetan, auch wenn ich nicht wusste, was er statt einer Geburt hatte durchmachen müssen. Vermutlich hatten sie ihn kastriert…

Dieses Stöhnen. Er gab so einen seufzenden Ton von sich, als sie ihn ebenfalls mit den Stacheln bearbeiteten, und mit einem Mal erkannte ich es – er war es. Bastians Vater… er musste es sein. So oft hatte ich dieses Stöhnen in meinem Kopf hin- und herschwirren hören und so oft hatte es mich aus meinen nächtlichen Alpträumen gerissen. Er war es ganz sicher, und in diesem Moment verschwand jegliches Mitleid, das ich bisher für den Gefolterten empfunden hatte. Wäre ich nicht gefesselt gewesen, hätte ich ihm in sein widerwärtiges Angesicht gespuckt.

,,Seht, was unser Herr vollbracht hat. Lasset uns ihm dienen und sein brennendes Fleische weihen, auf dass sein Feuer über die Lande ziehen und ein seelenreinigendes Inferno über uns alle bringen möge!“

Da war er – der letzte Schmerz, das letzte Gefühl, das Letzte überhaupt, was ich jemals empfinden sollte. Ein Stich. Weniger schmerzhaft als die Geburt, jedoch deutlich schlimmer als die Stiche um mein Haupt. Ich nahm gar nicht mehr wahr, wie mein warmes Blut über meine Arme und mein Gesicht lief, um von meinem Scheitel zu Boden zu tropfen. Ganz plötzlich erfüllte eine kurze Stichflamme die Dunkelheit mit ihrem Licht, als mein Blut auf etwas unter mir traf. Bastian schrie nicht mehr – im Gegenteil… nun lachte er sogar, und das so herzlich, wie ich es noch nie von einem Baby gehört hatte.

Ich war so glücklich, und während sein Vater hinter mir laut aufstöhnte und im selben Moment wohl sein klägliches Leben endgültig aushauchte, dachte ich an die Schwangerschaft und all die Zeit, durch die mein Kleiner mich begleitet hatte. Es war schwer, es war viel Leid und ich empfand lange Zeit einen unstillbaren Hass für dieses Kind, doch nun wusste ich, dass das alles nur eine Prüfung war, die ich zu bestehen hatte. Als die nächste Stichflamme aufleuchtete, erkannte ich das Gesicht des Mannes vor mir, der mir damals als allererster auf dem Weihnachtsmarkt begegnete.

,,Verstehen sie es nun? Er war nicht der Parasit, als den sie ihn betrachtet haben. Das alles geschah infolge eines Plans, den sie kaum hätten voraussehen können. Sie hassten ihr Kind nicht, weil es aus Hass gezeugt wurde, sondern weil er wollte, dass sie es tun. Und nun liebten sie ihn, wie jede Mutter ihr Kind lieben sollte, denn jetzt haben sie ihren Zweck erfüllt. Als ich sie das erste Mal sah, da wusste ich, dass sie die Eine waren. Die Frau, die all das gebären sollte, was diese Welt retten würde, und dafür möchte ich ihnen meinen Dank aussprechen. Haben sie keine Angst. Wir werden gut für ihren Sohn sorgen. Er wird nur die besten Speisen, die tollsten Spielzeuge und die beste Bildung erhalten. Er ist dazu bestimmt, Großes zu vollbringen, und wir werden ihn mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln darauf vorbereiten. Wir lassen sie nun einschlafen… Leben sie wohl.“

Ich lächelte. Nicht weil ich besonders glücklich war, denn alles, was ich je fühlte, war wie ausradiert. Aus meiner Erinnerung herausgerissen wie ein Stück faules Fleisch. Doch das war egal. Das Lächeln ging tiefer. Ich ließ mich nicht wie jeder andere Mensch von meinen Emotionen leiten oder täuschen. Dieses Lächeln war ehrlich, es war ein Reflex – es war das Letzte, das mir im Leben noch blieb.

Und während ich die Augen schloss und endgültig die ewige Dunkelheit um mich herum akzeptierte, dachte ich nur an diese wunderbare Ironie.

Mein Leben war schon immer von einer tiefen Schwärze geprägt und wurde dunkler von Tag zu Tag, doch jetzt, wo ich dank meines Sohnes friedlich entschlafen konnte, schien mir die Dunkelheit, die mich wie eine warme Decke sanft einzuhüllen begann, wie ein helles Licht, das mich davontrug. Fort in eine bessere Welt.

Und während ich im Laufe dieses Übergangs meinen letzten Atemzug ausstieß, die Augen für immer schloss und mein letzter Muskel erschlaffte, da hörte ich in der Ferne wieder dieses leise, monotone Summen, und je mehr ich das Bewusstsein verlor, desto besser konnte ich verstehen, was sie sagten.

,,Nema. Nema. Nema!“