Deutsches Creepypasta Wiki
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Im Hinblick auf Musik oder Kunst hatte meine Heimatstadt nicht gerade viel zu bieten.

Das änderte sich allerdings schlagartig, als dieser alte, gebrechlich anmutende Mann mit dem weißen Bart zu uns zog. Er war ein ausgesprochen talentierter Musiker, der so ziemlich jedes existierende Instrument bis zur Perfektion zu beherrschen schien. Völlig egal, ob es ein Seiten-, Blas- oder Schlaginstrument war - wenn es Töne erzeugen konnte, war die Chance groß, dass er es beherrschte.

Sein Name war Arthur Skinner und natürlich nannten wir ihn kurz „Art“. Aber nicht nur wegen der Abkürzung, sondern auch, weil er ein ebenso begnadeter Instrumentenbauer war. Er baute seine eigenen Instrumente, die er auf seinen eigenen Konzerten spielte.

Natürlich wurde er sehr schnell zu einer Art lokaler Berühmtheit. Die Jugendlichen fragten ihn natürlich um Rat und auch nach Unterricht in verschiedenen Instrumenten. Art war ein liebenswürdiger, alter Mann. So freundlich und herzlich, wie man sich es nur vorstellen kann. Er unterrichtete völlig kostenlos und band seine Schüler auch in seine Konzerten ein, wenn sie gut genug wurden.

Jemandem das Geschenk der Musik geben zu können, war sein einziger Wunsch.

Auch ich fragte nach Unterricht in gleich mehreren Instrumenten. Ich wollte die typische Gitarre, Trompete und Violine lernen. Das Gitarre spielen gab ich relativ früh wieder auf. Nach sieben Jahren ließ ich auch die Trompete sein und konnte mich danach voll und ganz auf die Violine konzentrieren. Die Entscheidung war goldrichtig. Meine Fähigkeiten im Umgang mit dem Instrument vervielfachten sich in nur wenigen Monaten und ich durfte selbst schon sehr bald zusammen mit Art Konzerte geben.

Eine Menge ortsansässiger und Musiker von außerhalb wollten mit Art gemeinsame Projekte spielen, und er lud sie immer mit Freude zu den Konzerten ein. Egal wie gut die anderen jedoch waren, Art stellte jeden in den Schatten. Nicht nur mit seinem meisterhaften Spiel, auch mit den unglaublich faszinierenden Tönen, die er seinen selbstgebauten Instrumenten entlocken konnte. Egal, welches Instrument man hatte. Sei es eine 7000Euro Gibson Les Paul-Gitarre oder sogar einen 2 Millionen Euro teuren Konzertflügel. Niemand konnte seinem Instrument auch nur annähernd solche Töne entlocken wie Art den seinen. Sie hatten einfach einen hypnotischen Klang, der jeden in den Bann zog. Sogar noch mehr als die berauschenden Melodien, die er spielte.

Seine Konzertinstrumente waren einfach nicht von dieser Welt. Egal welches Instrument er nutzte, er war in der Lage, alle in eine Art Trance zu versetzen. Er erschuf eine seltsame Atmosphäre beim Spielen. Eine unbeschreibliche Mischung positiver, natürlicher Emotionen, aufgewühlt durch die musikalische Schönheit der Musik Arts. Versucht euch vorzustellen, was wohl im Film „Das Parfüm“ durch die Köpfe der Menschen gegangen sein muss, als sie Grenouilles Kreation rochen… nur eben mit Musik anstatt Duft. Ich weiß nicht genau, wie ich es diese emotionale und spirituelle Erfahrung sonst beschreiben soll.

Natürlich wurde über das mögliche Geheimnis hinter seiner Musik viel spekuliert. Ich muss zugeben, dass das meist von uns, seinen Schülern, vorangetrieben wurde. Viele waren frustriert. Egal wie sehr wir übten, oder wie gut wir spielten. Wir hatten das Gefühl, dass er uns ab einem bestimmten Punkt das weitere Vorankommen irgendwie verwehrte. Selbst ich, sein mittlerweile bester Violinen-Schüler wusste, dass er nicht nur ein persönliches Geheimnis zurückhielt – was ich natürlich auch vollkommen verstand, aber dass er auch uns Schüler an weiterem Vorankommen hinderte, sobald wir einen gewissen Fähigkeitsgrad erreichten. Art weigerte sich dann einfach, uns etwas anderes als Techniken, Theorie und Notenkunde zu lehren.

Einmal fragte ich ihn, wie ich meine eigene Violine zusammenbauen müsste, damit sie so hypnotische Musik erzeugen könne wie die seine. Art ignorierte mich einfach und fuhr ungeachtet mit seinem Unterricht fort. Ich fragte ihn kein zweites Mal.

Meine Beziehung zu Art profitierte von dieser Entscheidung sehr. Auch wenn er nie einen schlechten Tag zu haben schien, nie sichtlich sauer oder verärgert war, bemerkte ich, dass unsere Unterrichte weniger stringent wurden. Er schien meine Gesellschaft, den Unterricht und die Konzerte mit mir mehr zu mögen als bei anderen Leuten. Ich glaube, das war einfach seine Art, sich dafür zu bedanken, dass ich ihm nicht weiter auf die Nerven gefallen bin, wie die Anderen. Er wurde irgendwann wie eine Art zweiter Großvater für mich, und weil Art keine Familie zu haben schien, nahm er sich dieser Rolle ebenso gerne an wie der des Lehrers.

Mit der Zeit wurde Art durch sein unerreichtes Talent und seine scheinbar endlosen Fähigkeiten der DaVinci der Musik genannt. Seine Konzerte wurden zu den exklusivsten des Landes. Jeder Musiker wollte von ihm unterrichtet werden, aber Art blieb bei seinen althergebrachten Schülern… also uns nerviger Kleinstadtjugend. Art wurde natürlich nicht jünger. Sein bereits schlanker Körper wurde langsam immer ausgemergelter und seine sonst so ruhigen Hände begannen zu zittern. Jeder konnte sehen, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.

Aufgrund der wenigen Zeit, die wir noch von ihm lernen konnten, versuchten wir so viel Unterricht wie möglich zu ergattern und so gut es geht seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Insgeheim hofften viele von uns, möglicherweise eines von Arts berühmten Konzertinstrumenten zu „erben“, wenn wir ihn nur irgendwie genug hätten beeindrucken können. Wir sparten sogar heimlich, um eventuell eines zu ersteigern, falls sie nach seinem Tod versteigert würden.

Morbide, ich weiß, aber die Art, wie er seine selbstgebauten Instrumente behandelte, und dieser einzigartige hypnotische Klang, den sie erzeugten, waren mehr als genug Grund, davon zu träumen, irgendwann eines davon zu besitzen. Wenn ich damals die Wahl zwischen einer echten 40 Millionen Euro-Stradivari und Art Skinners Konzertvioline gehabt hätte, hatte ich ohne zu zögern Arts Violine genommen.

Und so vergingen noch weitere zwei Jahre, bis Arthur Skinner an Altersschwäche friedlich im Schlaf starb. Sofort suchten die Leute nach seinen Konzertinstrumenten. Völlig egal, ob auf legalem Wege oder nicht.

Als sein bester und auch Lieblingsschüler kamen die anderen natürlich auf mich zu. Nicht einmal ich hatte aber eine Ahnung, wo Art seine Instrumente gelagert hatte. Ich konnte nur mutmaßen, dass er sie in seiner Nähe lagern musste. Immerhin waren sie unbezahlbar und er schützte sie vehement. Daher hätte er sie wohl kaum an einem Ort gelagert, wo er nicht hätte über sie wachen können. Das klingt wie Grabraub, herzlos, gierig und undankbar, aber wie gesagt - ihr würdet es verstehen, wenn ihr diese Instrumente jemals gehört hättet.

Später setzten die Leute auf die Versteigerungsmöglichkeit. Allerdings wurde sein Haus schon am nächsten Tag von der Polizei abgesperrt, und Beamte tummelten sich auf seinem Grundstück. Sofort machten Gerüchte die Runde, dass Arts Tod eben nicht natürlich, sondern Mord war. Immerhin waren alle heimlich hinter seinen Instrumenten her. Jeder hatte sofort jeden in Verdacht. Alle waren nun auf einmal potenzielle Täter und wurden ohne jegliche Beweise verdächtigt.

Wochen später kam die Wahrheit ans Licht.

Der Untersuchungsbericht sprach von nicht „Art“ oder Arthur Skinner. Es gab Unstimmigkeiten in seiner Geburtsurkunde und es stellte sich heraus, dass sein echter Name Oscar Sherfield war. Ein Mann, der wegen Grabraub, Störung der Totenruhe und Leichenschändung gesucht wurde. Das bedeutete natürlich, dass seine Besitztümer, inklusive der Instrumente nicht versteigert würden. Die Antwort auf die Frage, ob das überhaupt jemals in Frage käme, war markerschütternd. Plötzlich fügten sich alle Teile zusammen, und es klickte.

Der Name „Art“ Skinner war kein Zufall.

Im Bruchteil einer Sekunde wurde aus dem DaVinci der Musik der Ed Gein der Musik. Art baute seine Instrumente aus menschlichen Überresten.

Die Saiten seiner Violine, Harfe, Piano, im Grunde genommen jedes seiner Saiteninstrumente verwendete menschliche Sehnen. Die Brücken waren Gelenkpfannen, Die Bogensehnen waren eine Mischung aus Speichenknochen und präpariertem verwobenem Menschenhaar. Man fand Saxophonblätter, die aus Schulterblättern und Schlüsselbeinknochen geformt waren, Plektren aus Fingerknochen; Trommeln nutzten Menschenhaut und Rippenknochen, und die Mundstücke für Trompeten und Posaunen waren in Form geschnitzte Wirbelknochen. Oscar nutzte so ziemlich jeden Teil der Körper, die er ausgrub, zum Instrumentenbau. Er verschwendete noch nicht einmal das Holz der Särge und formte aus ihnen die Körper der Violinen, Cellos und Bratschen!

„Art Skinner“ – was für ein kranker Bastard.

Und trotzdem haben wir ihn angehimmelt. Als er uns mit diesem opahaften Charme unterrichtete, als er diese makabren Instrumente für uns spielte, deren Klang wie so vergötterten. Nachdem die Nachricht über ihn die Runde machte, kehrte jeder Art den Rücken zu. Auf einmal hat es diese Vergötterung seiner Musik und seiner Person angeblich nie gegeben.

„Ich wusste von Anfang an, dass mit dem Kerl was nicht stimmte.“

„Ich war nie auf irgendeinem seiner Konzerte.“

Lügen wie diese waren an der Tagesordnung. Es machte mich krank. Ich war so endlos enttäuscht davon, wie diese Leute Art nach seinem Tod behandelten. Sie kannten ihn über Jahre und verdankten ihm so viel!

Auch ich kann die Taten Oscar Sherfields nicht gutheißen, aber für mich war das eine völlig andere unbekannte Person. Ich werde mich immer an diesen Mann als Art erinnern, nicht Oscar. Vollkommen egal, was sein echter Name war oder was für ein Mann er gewesen ist, bevor er in unsere Stadt zog. Wir alle lernten Art Skinner kennen. Einen alten, liebenswürdigen Virtuosen auf beinahe jedem existierenden Instrument. Einen Lehrer, die personifizierte Freundlichkeit, die eine ganze Stadt und eine ganze neue Generation die Schönheit klassischer Musik lehrte.

Das ist, wofür ich mich an ihn erinnere. Ganz besonders, weil ich weiß, dass es niemand sonst wird.

Ich bin nach den Ereignissen weggezogen. Noch heute erinnere ich mich an seine Lektionen und übe täglich.

Manchmal, wenn ich mich an meine Zeit mit Opa Art erinnere, werde ich besonders melancholisch. Dann lege ich meine Violine zur Seite und packe mein Geschenk aus. Das Instrument, das ich von ihm bei meiner letzten Unterrichtsstunde bekommen habe. Ich habe eine Ballade für meinen alten Lehrer, Ersatzopa und Freund geschrieben, die ich nur auf diesem Geschenk spiele. Mir laufen jedes Mal die Tränen, wenn mein Bogen über die Saiten fliegt und ich der hypnotischen Musik lausche, die mein Geschenk erzeugt. Jetzt hat es diese schauderhaften, ominösen Untertöne, deren sanfte Vibrationen meinen ganzen Körper und Geist durchwandern und ein völlig neues Gefühlsgemisch und Atmosphäre erzeugen. Schaurig und doch beruhigend. Schrecklich und dabei doch schrecklich schön. Ich spiele es so gut ich nur kann. Noch heute versuche ich Arts Fähigkeiten und Profession zu erreichen. Ich habe noch immer einen langen Weg vor mir, aber ich mache schnell und stetig Fortschritte. Eines Tages werde ich Art Skinners Fähigkeiten gleichgestellt sein, und eines Tages werde ich besser sein als mein alter Lehrer.

Ich habe nie auch nur eine einzige Lektion von ihm vergessen. Besonders die Lektionen darüber, wie man sich gut um seine Instrumente kümmert. Wenn ich auf meinem Geschenk spiele, verschleißt es. Irgendwann wird es auch Reparaturen benötigen. Ich werde bald neue Saiten aufziehen müssen, und dank der Untersuchungsergebnisse der Polizei weiß ich genau den richtigen Ort, an dem ich suchen muss, um neue „Saiten“ zu beschaffen…

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