… und ist es nicht frustrierend, dass sich Hemingway den braunen Lauf seiner Flinte in den Rachen schob, und abdrückte? Nun, wenn man bedenkt, wieso, ist es umso tragischer
(der alte Mann und die Plörre).
Er war Autor, schrieb, schrieb fantastische Geschichten, hegte es sich an einen beispiellosen Schreibstil zu rühmen … und doch brachte er sich um. Ich hätte gern gesehen, wie das Hirn eines mit hohem Intelligenzquotienten gesegneten alten Mannes zerbarst und die Decke färbte. Wäre eine Bereicherung.
Er brachte sich um, da ihm jene unausweichliche Agonie widerfuhr, was jedem Autor die größte Angst springen lässt; Gedächtnisverlust.
Hemingway war im Krieg, Bomben explodierten im Morast nahe seines Hauptes, schlugen unerschöpfliche Krater; Flugzeugabstürze, die wertvolle Zentren seines Denkapparats unablässig einforderten (ebenso wie unsägliche Traumata); und durch all diesen Dingen griff er zur hochprozentigen Plörre und ließ seine kreativen Gedanken als undeutlich schrillende Fetzen im Schwall seiner welken Fuge des Hirns umherschwirren. Irgendwann, durch die Verletzungen, Erlebnisse (die sich wie ein Brandmal ausbreiteten) und letzten Endes des Alkohols ging er zu Grunde, griff zur Tat mit dem einzigen Ausweg; das Gewehr, den Erlöser.
Viele Leute sagen, die Jenen, welche sich das Leben nehmen, wären schwach, weil sie nicht den Mumm besitzen, sich zu fangen, sich im wahren Leben als Veteran gegen all die Berserker zu erheben, die uns allen an einen gewissen Punkt auf differenzierte Ebenen über den Pfad als ein Schreckgespenst mit klappernden Knochen begegnen.
Doch ich bin gänzlich anderer Meinung; der, der es wagt, auf den Lauf zu beißen, während die Mündung der Flinte am Rachen kratzt, abzudrücken; der sich dem Unterfangen einer ausschweifenden Masse von Medikamenten unterjochen lässt; oder sich jeglicher Art von Selbstmord zuwendet, der ist es, der über die todessehnsüchtige Courage verfügt, der, der sich den allgegenwärtigen Gesetzen der menschlichen Natur widersetzt: Dem Instinkt der Angst, welcher uns vor jedweder Wagnis unseres eigenen Lebens aufschrecken lässt und uns in die bitterkalte Mulde der Realität zurück schubst, zu trotzen. Ich meine, gehen Sie mal in die Küche, greifen zu einem Schälmesser und versuchen, es sich in den Bauch zu rammen. Oder lehnen Sie sich an eine rostige Brüstung einer Brücke, unter der sich tiefe Bahngleisen durch Schotter und Asphalt schlängeln. Na ja, über erstere Methode zum Tod zu sinnieren lässt bereits abschrecken, da die Angst vor dem obligaten Schmerz zu groß ist. Also bleibt Ihnen beispielsweise Zyanid aus gemahlenen Kirschkernen übrig, den Sie in Ihren Morgenkaffee einrühren.
Ich wette, Sie können es nicht. Ich wette, die glitzernde Spitze der Klinge zittert vor Ihrem gekrümmten Bauch; ich wette, Sie schaffen es niemals sich über die Brüstung zu trauen, um sich erstmalig auf den Brückenvorsprung zu stellen, um in den Abgrund Ihres Verderbens zu blicken, und zu realisieren, dass in wenigen Sekunden Ihr Licht mit einem Male ausgeknipst wird – nie wieder die sittsamen, milden weichen Arme der Sonne auf Ihrer Haut; niemals mehr der frische Geschmack einer Erdbeere am Gaumen; nichts mehr.
Auch glaube ich kaum, dass es Ihnen in keinster Weise anmaßen will, auch nur einen Gedanken über jegliches Gift, das alternativlos eruptiv wie Traubenzucker durch Ihre Blutgefäße strömt und einen schmerzlosen Tod herbeiführt, zu verlieren.
Ich glaube, ich könnte es auch nicht.
Aber hier will ich mich korrigieren: Ich weiß, dass ich es nicht kann. Denn ich hatte im Leben bereits viele erzwungene Möglichkeiten erlitten, um den Schalter der Lampe umzulegen, der sich bei den meisten nie vom Staub befreit. Und fast hätte es bei mir auch geknipst.
Hemingway hat ein bisschen herumgeknipst.
Was ist Ihre größte Angst?
Meine ist Kontrollverlust.
Ich habe keine Angst vor dem Tod. Denn ich vermute mal, es ist weitaus schlimmer, als wandelnde Hülle durch die Straßen zu schlendern, ohne zu verstehen, was einem ins leere Augenlicht schimmert.
Ein intelligenter Mann ist manchmal dazu gezwungen betrunken zu sein, um Zeit mit Idioten zu verbringen.
Ernest Hemingway