Bloß nicht atmen. Dies war sein letzter Gedanke, bevor er in den Müllschlucker krabbelte. Es würde keine Gefahr drohen, solange er verdammt nochmal still war. Bis vor einer viertel Stunde war er noch ein ganz normaler Hotelangestellter, der, um sich ein paar extra Dollars zu verdienen, Heute ausnahmsweise mal die Nachtschicht übernommen hatte. Bis vor einer viertel Stunde, lief die Nacht auch eigentlich genauso, wie sie sein sollte… Ab und zu mal Schritte von Gästen, die verschlafen nach etwas zu Essen suchten, um dann zugedröhnt zu realisierten, dass sie gar nicht zu Hause waren. Und jetzt hockte er hier, in einem stinkenden Müllschlucker und betete, dass Gott ihm gnädig sei. Bloß nicht atmen.
Zwanzig Minuten zuvor…
Brian Wim Tigrainne blätterte gerade durch sein Playboy-Heft, als, wie durch einen tiefen Schleier hindurch, ein leises Zischen an seine Ohren drang. Das war garantiert keines der typischen Geräusche, die Hotelgäste machten, während sie durch die matt beleuchteten Flure schlurften. Brian blickte auf. Er saß hinter dem harten, Reichtum ausstrahlenden, Holztisch auf dem in beleuchteten Buchstaben 'Rezeption' stand. Von hier aus hatte er einen ziemlich beschissenen Überblick auf die Empfangshalle. Rechts und links von ihm gingen Treppen nach oben, sodass ihm die Sicht auf dahinter oder darunter liegende Räume versperrt war. Der altertümliche Kronleuchter an der Decke strahlte ein beängstigendes, wackelndes Licht aus, welches dem Saal eine merkwürdig surreale Erscheinung gab. Leise prasselte Regen gegen die verglaste Flügeltür, die nach draußen führten. Vermutlich hat einer dieser arroganten Kiffer wieder mal die Toilettenspülung zu lange betätigt, dachte Brian bevor er die Schultern zuckte und sich wieder in sein Heft vertiefte. Wieder zischte es. Es klang wie ein Feuerlöscher, der zischend seinen Schaum auf alles feuerte, das brannte. Sollte tatsächlich einer dieser Geldsäcke auf die dumme Idee gekommen sein einfach einen Feuerlöscher aus einer der Halterungen zu nehmen und wild um sich zu schießen? Nein, dass konnte nicht sein, denn sonst wäre der unerträglich laute, heulende Alarm losgegangen. Vielleicht war es auch nur Einbildung, die durch das flackernde Licht des Kronleuchters hervorgerufen wurde. Er beließ es dabei und lehnte sich wieder in den unbequemen Sessel der Rezeption zurück. Eine Weile blieb ruhig. Nur das Prasseln des Regens war zu hören. Alles nur Einbildung… Wieder zischte es. Brian sprang auf. Einem vollkommen unangebrachten Impuls folgend fragte er ins Nichts hinein: „Wer ist da?“. Wie war das noch in Horrorfilmen? Das letzte Zischen hatte erstaunlich nahe geklungen. Verdammte Scheiße. Er legte das Heft beiseite und nahm sich die Taschenlampe aus einem der hunderten Fächer des massiven Tisches. Ich bin doch kein Schisser. Brian quetschte sich durch die kleine Öffnung zwischen Kunstmarmorwand und Tisch und trat auf den glänzenden Boden des Empfangssaals hinaus. Nur das Prasseln des Regens war zu hören. Und wo sollte er jetzt hingehen? Schön dumm, denk doch mal nach bevor du etwas machst. Dann zischte es wieder. Er zuckte zusammen. Es kam ganz eindeutig von rechts… Von der Kantine.
Er schlich leise auf den breiten Eingang des dunklen Essraums zu. Dämonische Figuren grinsten ihn von beiden Seiten des Durchgangs an. Es schien fast so, als würden sie ihn auslachen. Was soll denn schon passieren? Selbst wenn irgendein Einbrecher auf die Idee gekommen sein sollte, einfach hier hinein zu platzen, dann könnte er immer noch den Alarm einschalten. Wütend spannte sich Brian an und stampfte in die Kantine. Auf den Tischen des Buffets konnte man schemenhaft Behälter mit Müsli, Joghurt, Obst und anderen Nahrungsmitteln erkennen. Wieder ertönte ein lautes Zischen. Es war erstaunlich nahe. Es kam aus der Küche. Angst griff nach Brian. Was konnte dort sein? Grausige Fantasien entwickelten sich in seinem Kopf. Bilder von dürren Monstern oder psychopathischen Killern griffen nach ihm. Er schüttelte sich. So etwas gab es nicht. Zumindest nicht hier. Vielleicht war es auch einfach nur ein Rohrbruch. Er atmete tief ein. Kalte Luft drang in seine Luftröhre ein und Brian ging geradewegs auf den Durchgang zur Küche zu. Er schaltete die Taschenlampe ein und stieß die polierte Tür auf. Der Lichtkegel warf geisterhafte Schatten auf den Boden. Viele verschiedene Küchengeräte standen feinsäuberlich geordnet auf Durchreichen und Ablagen und blendeten ihn, wenn der Lichtstrahl sie streifte. Wieder zischte es. Es war höchstens acht Meter entfernt. Wieder griff die Angst nach ihm. Ein Rohrbruch? Das war lächerlich, wie sollte hier, in der super Instand gesetzten Küche ein Rohrbruch passieren? Er schüttelte seine negativen Gedanken ab und schlich langsam auf die Stelle zu, von der soeben das Geräusch ertönt war. Im Lichtkegel seiner Taschenlampe tauchte ein gigantischer Geschirrspüler auf. Wie gern hätte er jetzt Licht gehabt… Doch leider ging das Licht in den nächtlich unbenutzten Räumen erst um sieben Uhr Morgens oder bei Alarm an. Vielleicht sollte er einfach den Alarm einschalten. Nein das war völlig irrsinnig. Er atmete ein weiteres Mal tief die kalte Luft ein, bevor er im tanzenden Lichtkegel auf die andere Seite des Geschirrspülers lief. Dort sah er…
Nichts. Absolut nichts, außer blank polierten Boden und weiße Fliesenwand. Alles war normal. Direkt hinter ihm zischte es. Kurz erschrak er, doch dann drehte er sich um und sah, dass die Lucke des Geschirrspülers einen Spalt weit offen stand. Sie hatte sich irgendwie geöffnet und nun signalisierte der Geschirrspüler, dass das nicht so sein sollte. Erleichterung ergriff ihn und er stieß die Tür extra laut zu. Du elender Schisser. Dann zischte es wieder. WAS? Dann ergriff ihn eine unglaubliche Gänsehaut. Wieso war es hier so kalt? Das Hotel blieb durchgehend beheizt. Und wieso ist das Zischen mit der Zeit lauter geworden? Das Zischen des Spülers wurde definitiv nicht lauter. Panik griff mit eisigen Fingern nach ihm. Ein paar Meter weiter vorne konnte er die Konturen einer Gestalt ausmachen. Ein Blick nach hinten zum Müllschlucker und mit einem unüberhörbaren Klicken ging das Licht seiner Taschenlampe aus.
Die Gestalt bückte sich nach unten hob etwas auf. Verdammt, mein Portemonnaie ist mir aus der Tasche gefallen. Rasselnder Atem drang an seine Ohren. Er wagte es nicht Luft zu holen. Die Gestalt steckte das Portemonnaie weg und lief dann langsam weiter, direkt auf den Müllschlucker zu. Verdammte Scheiße, ich hätte den Alarm doch auslösen sollen. Schwere Schritte näherten sich. Brian kroch noch tiefer in den Müll. Bloß nicht atmen. Die Gestalt hielt genau vor der Lucke zum Müllschlucker. Sie schien eine Röhre oder etwas Ähnliches in der linken Hand und einen Schlauch in der rechten Hand zu halten. Nein. Das zischen ertönte wieder. Laut. Kalt. Die Panik hatte ihn fest in ihren Klauen. Er wollte schreien, doch das durfte er nicht. Bloß. Nicht. Atmen. Dies war sein letzter Gedanke, bevor er seinen Mund öffnete um im gleichen Augenblick wie die Gestalt einzuatmen. Dann zischte es. Unglaubliche Kälte füllte Brians Lungen. Er konnte nicht mehr schreien. Er erstickte an der Luft die er atmete. Mit einem letzten Blick auf den Behälter starb er.
Liquid Nitrogen