Ist er nicht großartig ...
Der Blick auf Münchens schönstes Wahrzeichen ist wahrlich Balsam für meine Seele. Eigentlich hätte ich mich schon vor Stunden auf den Heimweg machen müssen, doch ich konnte es einfach nicht zulassen, diesen wunderschönen Park nur für ein paar Minuten genießen zu dürfen. Ein düsteres Gewitter wird bald über München hereinbrechen und den ganzen Schmutz und Abfall sowie zahllosen Kippen von den Straßen in die Gullis spülen. Diese verdammte Stadt wird also endlich mal wieder gereinigt.
Doch ich stand im glänzenden Sonnenlicht, umringt von schönster Fauna und herrlichem Grün und genoss die Aussicht auf den Loop von Münchens größter Achterbahn. Er ist so gewaltig, so groß, dass man ihn sogar noch aus dieser Entfernung sehen konnte.
Für die typischen Großstadtmenschen ist er überhaupt kein Wahrzeichen, sondern nur eine Attraktion, die für Leute wie mich gemacht wurde, um sie von ihrem verkorksten Leben abzulenken. Vielleicht wollen sie uns damit aber auch nur noch kaputter machen, denn auch nachts ist er immer zu sehen. Auch jetzt, als die äußersten Wolken des Gewitters den Loop verschluckten, erstrahlte er darauf sofort im grellen, weißen Neonlicht.
Wie herrlich!
Vor kurzem noch hatte ich mir in meinem Lieblingsobjekt eine Fahrt gegönnt und in erschwinglicher Höhe dann diesen Park gesehen. Und mir war klar, dass ich anschließend sofort dorthin musste.
Doch allmählich war es an der Zeit, wieder heimzukehren, da das Gewitter immer näher kam und ich morgen wieder früh aufstehen musste. Bevor ich aber ging, wollte ich noch ein Selfie mit all den Pflanzen für meine Freundin machen. Sie würde mir nie glauben, dass dieser Ort existiert, wenn ich diese Momente nicht auf einem Foto festhielt. Zu meiner bitteren Überraschung war mein Handy aber nicht mehr in der Hosentasche. Ich hatte es offenbar während der Fahrt verloren.
Als ich mich umdrehte, um mich auf den Rückweg zu machen, erkannte ich einen Mann, der in einem blauen Anorak gekleidet war und genau im selben Zug der Achterbahn mitgefahren war. Ich erinnerte mich nur ungern daran, als ich aus dem Zug ausstieg und das groteske Gesicht dieses Mannes erblickte. Nun war er mir jedoch mit seinem Rücken zugewandt und folgte einem Weg, der durch dichtes Gebüsch darauf verwischt wurde. In unmittelbarer Umgebung war noch ein weiterer Mann. Er war alt, trug einen Anzug und stand voller Bewunderung vor einer Rosenhecke. Als ich an ihm vorbeiging, blickte er nur kurz zu mir und grüßte mich mit einem freundlichen Nicken, ehe er wieder den Rosen seine Aufmerksamkeit schenkte. Ein paar Meter von ihm entfernt war auch der Weg, der in die Stadt zurückführte, doch seltsamerweise warnte mich ein Schild davor weiterzugehen.
Betreten verboten! , stand drauf.
Ich war irritiert. War ich doch durch diesen Weg auch hierher gekommen, doch als ich versuchte, trotzdem weiterzugehen, wuchsen plötzlich Ranken aus den Büschen beider Seiten und versperrten mir den Weg.
"Kann ich ihnen helfen?", fragte mich kurz darauf der Mann, der zuvor noch vor den Rosen stand. Fast hätte ich ihn in meiner starren Fassungslosigkeit sogar überhört.
"Ja... Ich möchte zurück und..."
"Dort entlang, bitte!", unterbrach er mich mit freundlicher Stimme und zeigte auf den Weg, in dem der Mann mit dem blauen Anorak verschwunden war.
Doch was er sagte, stellte sich bald als Lüge heraus.
Es gab in diesem Park nämlich keinen Ausgang, sondern nur Wege, die durch weite Areale prachtvoller Bäume und Hecken führten, in denen immer dann gefährliche Ranken wuchsen, wenn ich versuchte, mich dort hindurchzudrängen. Des Weiteren offenbarten sich an diesem Ort Paradoxa, die normal nicht möglich waren. So konnte ich auf einer entfernten Lichtung meine Eltern sehen, obwohl beide schon so alt waren, dass sie lange nicht mehr gehen konnten. Meine Mutter weinte bitterlich und mein Vater, der eigentlich einen rauen Kern besaß, konnte sich ebenfalls Tränen nicht zurückhalten. Kurz darauf hörte ich, wie etwas Kolossales Äste und sogar ganze Baumstämme zerstörte und näherkam. Ich schrie zu meinen Eltern, dass sie unverzüglich fliehen sollten, doch nachdem darauf ein schleimiges Geräusch ertönte, welches zu einem böenartigen Einsaugen verkam und Blätter sowie Äste wie bei einem Sturm durchrüttelte, lösten sich meine Eltern langsam in Luft auf.
So schnell es ging, rannte ich weg, bis ich auf meine Freundin stieß. Sie war unerreichbar, da sie hinter einem Dornenbusch stand und unter Tränen nur 'Leb wohl' zu mir sagte. Auch dort hörte ich in weiter Ferne Äste und Bäume zerbrechen. Ich wollte sie irgendwie befreien, doch direkt darauf tauchte hinter einer Hecke plötzlich der Mann im blauen Anorak wieder auf. Auf seinem Gesicht war immer noch derselbe schreckliche Ausdruck festgefroren, als der Zug mit maximaler Beschleunigung in die Tiefe raste.
Voller Schrecken rannte ich weiter, bis ich wieder den Ausgangspunkt mit dem Weg erreichte, vor dem ein Schild stand und Ranken ein Weitergehen unmöglich machten. Der Himmel über mir war vom Gewitter nun komplett verdunkelt, während ich nur voller Fragen und Angst auf den im weißen Neonlicht erhellten Loop in der Ferne blickte.
Auch der alte Mann im Anzug war noch da. Mit einem Ausdruck jeglicher Bewunderung betrachtete er nur die Rosenhecke. Dann pflückte er eine Rose, aß diese auf und gesellte sich an meine Seite, während etwas Schreckliches die Bäume in der Ferne zerstörte und immer näherkam.
"Ist er nicht großartig... Der Euthanasia Coaster ist unser schönstes Wahrzeichen, nicht wahr?"
"Sie haben mich angelogen... ", entgegnete ich verängstigt.
"Sie haben recht! Ich wollte Sie nur zu Ihm führen. Aber ich warne sie gleich zweimal davor, sich umzudrehen und ihn anzusehen", sagte er noch, als Blätter und Äste um mich herum wie bei einem Sturm durchgerüttelt wurden...