Deutsches Creepypasta Wiki
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Inhaltsverzeichnis


"Wer andere kennt, ist klug.

Wer sich selber kennt, ist weise.

Wer andere besiegt, hat Kraft.

Wer sich selber besiegt, ist stark.

Wer sich durchsetzt, hat Willen.

Wer sich selber genügt, ist reich.

Wer seinen Platz nicht verliert, hat Dauer.

Wer auch im Tode nicht untergeht, der lebt."

[Laotse (6. oder 4. - 3. Jh. v. Chr.), eigentlich Laozi, nur legendenhaft fassbarer chinesischer Philosoph, Begründer des Taoismus]


Dunkelheit umgab mich. Es war nass und eiskalt. So kalt, dass mein Körper schmerzte und ich mich kaum bewegen konnte. Nein, lag dies wirklich an der Kälte? Ein unheimlicher Druck lastete auf mir. Doch ich rührte mich nicht. Meine ausgedöhrten Lungen brannten wie Feuer und schrien gequält nach frischen Sauerstoff, der ihnen schon seit viel zu langer Zeit verwehrt geblieben war. Doch ich kam diesem verzweifelten Wunsch nicht nach. Wie hätte ich auch? Ein einziger Atemzug würde meinen sicheren Tod bedeuten.

Stattdessen streckte ich weiterhin alle Glieder von mir, trieb in der Dunkelheit und lauschte. Doch es war still. Ohrenbetäubend still. Angespannt umklammerte ich das Etwas fester, was ich später als Baumwurzel identifizieren würde. So sehr mein Körper auch meuterte und meine Lungen beinah zerbarsten, ich durfte nicht loslassen.

Doch urplötzlich verschand der Druck von meinem Rücken. Ich hörte etwas. Ein Schmatzen. Schritte. Schmatzende Schritte. Im Schlamm? Sie entfernten sich!

Ich hielt es nicht mehr aus. Mit letzter Kraft riss ich den Kopf gegen die Gewalt dessen, was mich umgab, nach oben. Grelles Licht wurde mir förmlich ins Gesicht gespuckt. Es blendete mich. Kühlschwarzer Schlamm sickerte aus meinen Haaren, lief in meine Augen und Ohren. Weiße Phantome kamen mir entgegen und begrüßten mich an der Oberfläche. Mit kalten Fingern berührten sie meine verschmierte Haut. Gierig saugte ich den eisigen Dampf in seine Brust.

Angestrengt blinzelte ich dem plötzlich scheinenden Mond entgegen. Ich sah Bäume. Krüppelbirken und Fichten. Eingekleidet in Gewänder aus graugrünen Flechten und Algen. Windschief verwachsen und traurig verkümmert standen sie vereinzelt am Rande des dunkel gähnenden Wassers. Hier und da unterbrochen von Heidekraut und knochigen Geäst. Silberne Spinnfäden hingen wie Watte darin und bewegten sich Gespenstern gleich im eiskalten Nebelhauch des Moores, welches mich noch immer zu verschlucken versuchte.

Doch ich war ruhig. Ja fast beängstigend ruhig. Fest umklammert hielt ich die lebensrettende Wurzel, stemmte mich mit beiden Beinen gegen zwei Felsen, welche dafür sorgten, dass ich flach wie eine Wasserleiche auf dem unsicheren Untergrund lag, noch halb vom Schlamm bedeckt. Aber ich war ruhig. Denn egal was passierte, ich durfte weder schreien noch weinen, klagen und rufen. Denn in der Ferne, dort in der Narbe Brachland, welche den Wald vom Moor trennte, entfernten sich einige schwarze Gestalten von mir. Kriechende, kauernde, scheußliche Kreaturen, vor denen ich noch vor einigen Minuten wie der Teufel durch den Wald geflohen war. Es waren einige dieser aggressiven Sorte, denen man lieber nicht die Stirn bieten sollte, wenn man an seinem teuren Leben hing.

Ich dankte im Stillen Gott, dem Schicksal, Karma oder sonst wem dafür, dass ich auf der Flucht vor den Monstern ausgerechnet eine so unglaublich flache Stelle des Moores fand. Eher ein Zufall, als Geschick. Der scharfe, modrige Gestank von Verwesung und toten Blättern, den das Wasser absonderte, überdeckte meinen eigenen süßen Geruch. Dies hatte Thomas mir einst ganz genau erklärt. Wie ironisch, dass ausgerechnet ein Jahrhunderte altes Moor, welches immer wieder hungrig unachtsame Wanderer verschlang, mir am heutigen Tage das Leben rettete. Vorausgesetzt, ich würde es irgendwie schaffen, mich aus dem Matsch zu befreien, selbst wenn diese Stelle noch so flach war...

CP C+C Jacob

Es dämmerte bereits, als ich schlussendlich hustend und spuckend meinem feuchten Gefängnis entkam. Meine letzten Kräfte hatten bereits meinen magernen Körper verlassen. Ich musste mich ausruhen. Keuchend lehnte ich mich gegen einen toten Baum und sank erschöpft zu Boden. Seit einigen Tagen schon hatte ich nichts richtiges mehr gegessen. Seit ich von Thomas und seiner Gruppe getrennt wurde. Ich hatte mich schon lange mit dem Gedanken angefreundet, sie nie wieder zu sehen. Zumindest nicht lebend.


Ich war noch zu klein, als jenes Ereignis passierte. Darum war ich quasi mit dem Tod aufgewachsen. Wörter wie Sicherheit und Schutz waren mir fremd. Solange ich mich erinnern konnte, war ich ein mehr mal weniger hilfreiches Mitglied dieser Gruppe von Rockern. Dort hatte ich die Rolle des Jüngsten besetzt. Meine Mutter war verzweifelt und halb verhungert mit mir zu Thomas gekommen, dem Anführer. Er hatte uns aufgenommen. Und beschützt. Ja, Mutter musste sich gut mit Thomas verstanden haben. Schließlich wurde sie jeden Abend in sein Zelt gerufen, zusammen mit zwei anderen Frauen. Die anderen Männer hatten mir dann immer gesagt, ich dürfe auf keinen Fall hinein. Und wenn ich es doch versuchte, setzte es Prügel bis mir der Schädel brummte. Oder schlimmeres...

Ich wischte mir den schwarzen Schlamm aus dem Gesicht und schloss für ein paar Sekunden die Augen. Mmh, wie sah Mutter nochmal aus? Ich hatte sie zuletzt als kleines Kind gesehen. Genau, sie hatte die selben dunklen Haare wie ich, nur viel länger. Auch meine grau-grünen Augen hatte sie mir hinterlassen. Allerdings war sie dünn wie eine Bohnenstange gewesen, ihre weiche, weiße Haut spannte sich geradezu über ihr Gerippe. Ein Wunder wie die Zombies überhaupt etwas zu kauen an ihr fanden. Das wäre ja so, als ob man auf einem Zahnstocher rumbeißen würde...

Bei dem Gedanken überkam mich eine Welle von Hunger, der mich schließlich zwang meinen Platz zu verlassen und wieder tiefer in den Wald vorzudringen. Das purpurne Licht der aufgehenden Sonne schien vereinzelt zwischen den Ästen der hohen Kiefern hindurch, welche sich langsam und ächzend in einem geheimen Rythmus wiegten. Ein Hämmern ertönte in der Ferne und das dumpfe Ächo hallte in meinen Ohren wieder. Vermutlich ein Buntspecht. Ich leckte mir über die Lippen (eine Eigenart von mir), beschleunigte meineSchritte und lief zwischen den Kiefern über ein weiches und doch schmerzhaftes Bett aus Nadeln und Zapfen, welches den gesamten Waldboden bedeckte und kleine Sträucher und Gräser bereits im Keim gnadenlos erstickte. In solch monotonen Wäldern war kein Platz für frisches Blattwerk. Die hohen Nadelbäume raubten allen anderen Pflanzen gierig das Sonnenlicht.

Irgendwann erreichte ich schließlich eine geeignete Stelle. Ein mächtiger Baum, der dominant seine Äste den anderen Bäumen regelrecht in die Rippen bohrte. Behutsam tastete ich seine raue Rinde ab. Im Vergleich zu den anderen Hölzern rundherum, war diese hier fett und vollgesaugt mit Wasser und Nährstoffen; Leben, dass der Baum seiner Umgebung stetig entzog. Lächelnd zückte ich mein Bowie Messer. Es war bereits alt und die Klinge schartig, vermutlich hatte es Vater oder so gehört, aber in diesem Fall erfüllte es seinen Zweck. Geschickt schnitt ich ein kleines Stück Rinde an und riss es schlussendlich mit einem Ruck heraus. Wind fuhr durch die Äste des Baumes und er schüttelte seine Zapfen, welche auf mich niederprasselten.

“Stell dich nicht so an.”, murmelte ich grinsend und blickte zu dem Riesen empor. “Ich habe auch Hunger.”

Gierig verschlang ich das Stück und wischte mir über die Lippen, eher ich ein Weiteres anschnitt. Und dann noch eins. Ringsherum um den Stamm zog ich Streifen um Streifen ab, ähnlich den Rehen im Winter. Geschmacklich zwar eine Beleidigung, aber sättigend.

Als ich den letzten Rest Rinde herunterriss, hellte sich meine Miene plötzlich auf. Unter der Haut des Baumes war eine fette, weiße Kreatur zum Vorschein gekommen. Mehrere Glieder schmiegten sich ans Holz und ein wohlgenährter Körper zog sich blitzartig zusammen.

Mein Augenwinkel zuckte, als ich die fette Made nam und sie in den Mund steckte. Der Trick dabei war sich vorzustellen, dass dieses kleine wabbelige Tier, welches einem die Speiserröhre hinunterkroch, in Wirklichkeit ein schönes, saftiges Stück Fleisch war. So richtig rot und blutig. Ähnlich wie das Fleisch, was Thomas immer von seinen Streifzügen mitgebracht hatte. Das klappte eigentlich immer.

Plötzlich hielt ich in meiner Bewegung inne. Was war denn das? Es roch... verbrannt. Ich schnupperte angestrengt. Ja, es lag eindeutig ein unangenehm stechender Brandgeruch in der Luft. Es roch nach verkohlten Holz und... Benzin. Ganz eindeutig. Neugierig sah ich zum Himmel und drehte mich langsam um die eigene Achse wie ein Brummkreisel, bis ich entdeckte, was ich suchte.

Hinter den Baumwipfeln stieg, einem bedrohlichen Giganten gleich, eine dunkle Rauchsäule empor. Eine Schar Saatkrähen flatterte aufgebracht gen Himmel; versuchten den Wald und all seine Bewohner mit ihrem durchdringendem Geschrei vergeblich zu warnen. Ich leckte mir die Mundwinkel und überlegte. Feuer hieß Gefahr, soviel war mir bewusst. Aber es konnte auch ein starker Verbündeter sein. Zombiefleisch brannte gut. Und wo Feuer ist, sind Menschen normalerweise auch nicht weit...

Schlussendlich siegte meine Neugier über die Vernunft und ich machte mich in die Richtung auf, in der ich das Feuer vermutete.



Die wilde Glut nagte hungrig an den im heißen Hauch peitschenden Zweigen, wirbelte schwarzen Staub über Gräser, Müll und alte Wohnwagen, durch deren rostiges Metall sich die Feuersbrunst fraß. Wie eine gigantische offene Wunde wirkte die brennende Lichtung inmitten des Waldes, auf der eine Art provisorischer Campingplatz sich grotesk an die Natur zu schmiegten versuchte. Ich stand etwas abseits im Dreck und beobachtete das mir dargebotene Spektakel. Der sandige Boden war durchtränkt von Blut. Doch keine Leichen waren zu sehen.

“Schade eigentlich...”, dachte ich seufzend und im selben Gedankengang, kam ich zu dem Schluss, dass es so vermutlich besser war. Leichen waren immer so aggressiv.

Fast schon unbedarft spazierte ich zwischen den brennenen Schrottteilen der Campingwagen umher. ich versuchte mir vorzustellen, wie es wohl wäre, in solchen Dingern zu leben. Soweit ich wusste, gab es sie früher häufiger; man fuhr damit weg, wenn man frei hatte, um Spaß zu haben. Eine seltsame Vorstellung.

Ein Geräusch riss mich abrupt aus meiner Fantasie zurück in die hässliche Realität. Sofort verspannten sich alle Muskeln in meinem Körper und ich bückte mich leicht, bereit loszurennen, wenn es denn sein musste. Ich spitze die Ohren.

Es war eine Art Weinen, ja eher Winseln. Es klang wie ein kleiner Hund, der von seinem Herrchen getreten wurde. War es menschlich? Ich konnte es nicht genau sagen. Falls es ein verletztes Tier sein sollte, war es die erste echte Mahlzeit seit Langem. Und falls es ein Mensch sei sollte... tja... Pech gehabt.

Vorsichtig ging ich dem Geräusch hinterher. Mit jedem Schritt wurde es lauter. Diese klagenden Laute, die hohen schrillen Töne, Schluchzen. Ich war erstaunt, wie schwer mein Körper sich plötzlich anfühlte. Mein Herz schmerzte, als wolle es zerbersten. Es war mir so elend wie nie zumute. Ich packte mir an die Brust. Wie konnte ich jetzt nur krank werden? Entgeistert bemerkte ich, wie meine Augen sich plötzlch mit Wasser füllten. Wie ungesund sich das anfühlte!

Die Quelle des Geheuls befand sich scheinbar in einem alten, aber immer noch intakten Wagen, der etwas abseits von den anderen im Gestrüpp stand. Die braunen Pflanzen überwucherten dieses riesige Stück Rost, als wollten sie es einer Schlange gleich, erwürgen. Ich zwängte mich mühsam durchs Geäst, Dornenranken zerrissen meinen schwarzen Jumpsuit und die darunterliegende bleiche Haut. Ich merkte wie etwas Warmes meinen Arm hinunter lief, doch es störte mich nicht weiter. Ich kannte nun wirklich schlimmeres, als so einen banaler Kratzer.

Am Wagen angekommen überlegte ich kurz. Das Geheul war verstummt. Kein Laut war mehr zu hören. Doch ich war so unglaublich neugierig! Vorsichtig öffnete ich die knarrende Tür und spähte hinein.

Es hätte ein so hübscher Anblick sein können. Verblichene Häkelvorhänge an den Fenstern, bunt geblühmte Teetassen auf dem Tisch verteilt. Der Boden war mit einem uralten Teppich von persisch anmutenden Stoff ausgelegt. Es roch muffig. Topflappen und Bilder hingen an der Wand. Doch alles war mit einer Zentimeter dicken Staubschicht bedeckt, die sich wie ein schützendes Tuch über alles gelegt hatte. Alte Konservendosen und Müll lagen am Boden, die Wände verostet. Der Zahn der Zeit hatte ganze Arbeit geleistet. Schubladen waren durchwühlt, deren Inhalt im ganzen Wagen verteilt war, als wäre eine Granate eingeschlagen. Scheinbar war ich nicht der erste Besucher. Ich machte ungläubig ein paar Schritte hinein. Ich sah Dinge, die ich nicht kannte und einige von denen ich sich nicht sicher war, was sie sein sollten. Behutsam, als wäre sie ein großer Schatz, zog ich eine verbogene Gabel aus dem Sofakissen. Gedankenversunken drehte und wendete ich sie in meiner Handfläche. Mein linkes Bein kribbelte, es fühlte sich... taub an? Verwirrte sah ich an mir hinab... und erblickte eine grässliche Fratze, die ihre verfaulten Zähne in mein Fleisch grub.






~~ Akaya ~~

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