Deutsches Creepypasta Wiki
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A2

„Derok? Seid ihr es wirklich?“, fragte Ungo verwirrt, während er mit halb geschlossenen Augen und stolpernden, unsicheren Bewegungen auf den großen Rorak zuging.

„Ja, Ungo. Ich bin es“, antwortete Korf.

„Was kann ich für euch tun? Und warum seid ihr überhaupt hier?“, fragte Ungo skeptisch, „ich dachte, ihr bereitet den Sturm auf das Hauptquartier vor.“

„Das habe ich getan“, erklärte Korf, „allerdings mussten wir den Angriff verschieben, weil uns ein Vorstoß der Jyllen in die Quere kam. Wir haben sie letztendlich vernichtet, aber ihre Attacke und unser zwischenzeitlich notwendiger, taktischer Rückzug, haben uns weit von unserem eigentlichen Zielort abgetrieben. Hast du denn deine Mission erfüllt, Ungo? Hast du Korf und dieses Harexpack vernichtet?“

„Noch nicht, Kommandant. Aber bald. Ich werde euch nicht enttäuschen. Sie werden alle verrecken. Qualvoll. Ausnahmslos. So wie wir es abgesprochen haben. Doch sagt mir, wie kann ich euch helfen?“, fragte Ungo einmal mehr, während er inzwischen nur noch einen halben Meter von Korf entfernt war.

Neben Razza, Moydrur, Kandro, Arifa, Korf, dem Kwang Grong und mir war er die einzige Person, die in diesem Moment wach war. Alle Rorak-Soldaten und auch die anderen Söldner lagen still und schlafend auf dem Boden.

„Du musst mir sagen, wo du meine Toch … wo du Kora versteckt hältst“, verlangte Korf.

„Bist du verrückt geworden!“, fluchte Moydrur, der inmitten eines Kreises aus umherwirbelnden Nebelbänken stand und mit seinen Fingern leuchtende Symbole in die Luft malte, gepresst, „Dafür haben wir keine Zeit. Wir brauchen das Funkgerät!“

„Was? Aber das weißt du doch Derok“, stellte Ungo stirnrunzelnd fest, „Du bist doch Derok, oder?“

„Du ruinierst alles, du zu groß geratener Idiot“, tadelte Moydrur mit zitternder Stimme. Trotz seiner halb durchscheinenden Gestalt konnten wir erkennen, dass Schweißtropfen auf seiner Stirn glitzerten, „komm endlich zum Punkt!“

„Vergiss es“, sagte Korf enttäuscht, „Ich brauche deinen Kommunikator, Ungo. Meinen habe ich im Schlachtgetümmel verloren. Gib ihn mir!“

„Meinen Kommunikator …“, begann Ungo nachdenklich und seine Hände wanderten suchend in seine Uniform

Erleichtert atmeten wir und die Unterkarzone auf. Zumindest so lange, bis Ungos Hände innehielten und seine Lider plötzlich zu flattern begannen. „Korf!“, knurrte Ungo im plötzlichen Erkennen, „was geht hier vor?“

Korf erfasste sofort, dass Ungo ihm nun mit Sicherheit seinen Kommunikator nicht mehr überlassen würde. Und er handelte schnell. In einer fließenden Bewegung und mit einer Agilität, die man bei einem so großen, breit gebauten Mann nicht unbedingt erwartete, trieb er sein Kampfmesser mit voller Wucht in die Kehle des zweiten Unterkarzons.

Ungo, noch immer etwas Schlaftrunken von Moydrurs hypnotischen Einflüsterungen, erkannte seinerseits, dass er keine Chance besaß, dem Angriff auszuweichen. Dafür gelang es ihm noch einen Befehl zu rufen:

„Verräter! Rorak, tötet sie alle!“, brüllte er noch, bevor sein dicker Kehlkopf von dem glühenden Messer durchbohrt wurde und er röchelnd in die Knie ging. Korf verlor keine Zeit und versuchte, sich am Kampfanzug des Sterbenden zu schaffen zu machen, der sich jedoch nach Kräften wehrte und, obwohl am ersticken, seinerseits versuchte das Messer aus Korfs Händen zu winden.

Gleichzeitig erwachten die Rorak aus ihrem künstlich verstärkten Schlummer und Moydrur brach urplötzlich zusammen, während sich die von ihm erschaffenen Nebel auflösten.

Einige der Soldaten, die von Ungos letztem Schrei geweckt worden waren und nun beobachteten, wie Derok röchelnd in die Knie sank, hoben ihre Gewehre auf und stürmten auf uns zu. Die meisten von ihnen hielten ihre Waffen vorerst gesenkt, aber einige eröffneten sofort das Feuer. Der ohnmächtige Moydrur wurde trotz seiner nur halb physischen Gestalt in den rechten Oberschenkel getroffen, wo sofort gräuliches Blut hervor sickerte. Razza konnte sich vor den auf sie abgefeuerten Gräbern nur durch mehrere hektische Sprünge und Seitwärtsrollen in Sicherheit bringen und wir wurden von so vielen Kugeln durchlöchert, dass der Kwang Grong alle Hände voll damit zu tun hatte, unseren Tod zu verhindern. Seit unserer Zeit in Hyronanin hatten wir nicht mehr so schlimme Schmerzen verspürt. Dennoch feuerten wir einige Schüsse ab, die jedoch allesamt ins Leere gingen, während die Gegner immer näher kamen und immer besser zielten. Die meisten der Söldner hingegen waren noch immer nicht erwacht oder suchten noch nach Orientierung. Ein paar von ihnen wurden sogar direkt im Schlaf hingerichtet.

„Korf!“, rief Kandro, dem es gelang, einem der Angreifer ein paar Streifschüsse mit seinem minderwertigen Söldnergewehr zu verpassen, „gib endlich das Signal!“

Korf jedoch war bis jetzt noch immer damit beschäftigt gewesen, sich mit dem äußerst langsam sterbenden Ungo auseinanderzusetzen, der ihn gerade mit einem Kinnhaken fast seinerseits außer Gefecht gesetzt hatte. Endlich jedoch hatte Korf es geschafft, die alleinige Kontrolle über sein Messer zurückzugewinnen und sich das Problem mit einigen beherzten Stichen in Ungos Schädel endgültig vom Hals zu schaffen. Endlich ohne Störung begann er mit der systematischen Durchsuchung von Ungos Kampfanzug. Während die Driggdonn-Panzer anfingen, ihre Geschütze ebenfalls auf uns auszurichten.

„Verdammt, Korf. Beeil dich oder es wird zu spät sein!“, rief nun auch Razza, deren grob verheilte Wunde aus dem letzten Kampf durch ihre wilden Ausweichmanöver inzwischen wieder aufgerissen war.

Korf ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Erst als er endlich fündig geworden war und den gesuchten Kommunikator an der Leiche des Oberkarzons entdeckte, hob er den Kopf und gab das Signal, das er noch in der Nacht mit einigen der ihm freundlich gesonnenen Unterkarzone vereinbart hatte, während Moydrur die Aufmerksamkeit von Ungos Spitzeln so weit reduziert hatte, wie es ihm möglich gewesen war. „Hongiur!“, brüllte er.

Dieses Wort bedeutete in der Rorak-Sprache so viel wie „Blutbad!“ und kaum, da diese Losung ertönte, richteten die bislang untätigen Rorak-Soldaten ihre Waffen auf ihre Kameraden. Was dann folgte, war kein Kampf, sondern eine Hinrichtung. Diejenigen Rorak, die selbst nach seinem Tod noch treu zu Derok standen, wurden fast alle von ihren Kameraden dahin gemetzelt, bevor sie es überhaupt bemerkten. Andere wurden von den Söldnern unter Feuer genommen, die inzwischen allesamt wieder erwacht waren. Einige von Ungos Leuten schafften es noch sich zu formieren und das Feuer zu erwidern, aber da der Kwang Grong inzwischen unsere Wunden geheilt hat, waren wir so freundlich, uns um das Problem zu kümmern und ihre Gesichter in einem Gewitter aus Schatten und knisternder Energie schmelzen zu lassen. So dauerte es nur wenige Minuten, bis jeder Widerstand ausgelöscht war. Oder besser gesagt: Fast jeder Widerstand.

„Kleiner, pass auf, die Saktoren!“, donnerte Korf und bereits unmittelbar nach seiner Warnung, öffneten sich die Raketenluken der Driggdonn-Panzer mit einem mechanischen quietschen und die stählernen Kolosse spuckten ihre tödlichen Projektile aus. Die meisten davon zielten auf Karmon und mich.

Was in den folgenden Momenten geschah, ist mir heute nicht mehr vollkommen klar. Ich weiß noch, dass wir rannten, so schnell rannten, wie es uns die Panik und unsere halb mechanischen Beine ermöglichten. Ich weiß, dass wir Haken schlugen und ich weiß, dass wir die Sinnlosigkeit von all dem begriffen, als die erste Salve der Geschosse sämtliche Feuchtigkeit in unserer Haut und in unserem Fleisch erst zum Kochen brachte und dann verdampfte, wir augenblicklich erblindeten und taub wurden und ein Tsunami an Schmerzsignalen unsere Nerven überflutete und anschließend in kleine Scheiben zu schneiden schien. Dennoch weiß ich, dass wir noch ein paar Meter weitergekrochen waren, bevor die nächste Salve zuschlug. Das, dachten der Kwang Grong und ich in vollkommener Übereinkunft, konnten wir nicht überleben.

Und vielleicht haben wir das auch nicht. Wer weiß schon, welches Wesen, welches Bewusstsein von jenen wirren Reisen zurückkehrte, auf die unser Geist geschickt wurde, während unser Körper als verkohltes, schmelzendes etwas auf dem verstrahlten Boden lag? Wir sahen, wie Sterne geboren wurden und wieder zerfielen, fühlten, wie Äonen an tonnenschwerer Zeit über uns hinweg spülten, beobachteten die Abermilliarden von Pfade, die ein Leben in einem einzigen Augenblick einschlagen konnte, verloren uns in Meeren aus Kausalität und Kontingenz, tauchten von der Unendlichkeit hinab zum Kopf einer Nadel und fühlten, wie sich alles, was war, um eben diese Nadel drehte, ja förmlich auf ihr balancierte. Wir starben, verblühten, wurden neu geboren und schmeckten in unserem verzweifelten Hunger nach Klarheit einen Hauch vom bitteren Geschmack der deprimierenden Komplexität des Lebens. Irgendetwas, irgendeine der unzählbaren Versionen von uns kehrte jedenfalls nach all dem wieder in unseren Körper zurück. Dass es diesen Körper überhaupt noch gab, konnte nur bedeuten, dass die Driggdonn-Panzer ihr Bombardement eingestellt hatten.

„Hörst du mich, Kleiner?“, erklang Korfs raue Stimme durch meine noch immer dröhnenden und klingelnden, aber nicht mehr tauben Ohren.

„Ja …“, brachten wir unendlich schwach hervor und spürten doch, wie das Leben langsam in uns zurückkehrte. Bald würden wir uns erheben können. Noch nicht jetzt, aber bald, „was ist passiert?“

„Nachdem die Saktoren dich aufs Korn genommen haben, hat sich schwarzer Nebel um beide Panzer gelegt und ihre Waffenschächte haben sich geschlossen. Dann sind sie einfach davon gefahren. Und zwar so schnell, dass wir sie nicht einmal mehr richtig auseinandernehmen konnten“, erklärte Kandro, dessen Gesicht nun ebenfalls in meinem Blickfeld erschien.

„Sahkscha?“, vermuteten wir, „Hat sie uns gerettet?“

„Wer sonst?“, sagte Korf grinsend, „oder meinst, du dass die Piloten aus freien Stücken das Feuer eingestellt hätten?“

„Wohl kaum. Aber woher sollte sie von unserem Kampf gegen Ungo wissen? Sie mag die Panzer kontrollieren können, aber sie wird doch unmöglich die ganze Zeit die Geschehnisse rund um jeden einzelnen Panzer beobachten“, sagten wir, während wir uns, wenn auch nicht ohne ein Aufwallen von Übelkeit, in eine kniende Position begaben. Inzwischen war auch unser Augenlicht größtenteils wiederhergestellt.

„Das kann sie auch nicht“, erklärte Moydrur, der offenbar wieder bei Bewusstsein war, aber nicht viel besser aussah, als wir uns fühlten. Seine Gestalt flackerte, seine Bewegungen wirkten noch abgehackter als sonst und manchmal erweckte er den Eindruck größte Mühe damit zu haben, sich in dieser Existenzebene zu halten. Offenbar kostete ihn die Beeinflussung der Wahrnehmung von Rorak weitaus mehr Kraft als die Kontrolle anderer Wesen, „Sie wird sie zurückgerufen haben, um ihre Truppen zu verstärken. Ich denke, dass Derok seinen Angriff gestartet hat. Sahkscha wird nun alles an Truppen benötigen, was sie bekommen kann, wenn sie den Sturm, der auf sie zukommt, überleben will.“

„Habt ihr sie gewarnt?“, fragte ich und dachte dabei an den Kommunikator.

„Ging nicht“, sagte Korf niedergeschlagen, „Ungo hat ihn zerstört, bevor er abgekratzt ist. Aber anscheinend hat Sahkscha auch so gemerkt, was Sache ist.“

Auch wenn wir dabei von heftigem Schwindel befallen wurden, ließen wir unseren Blick über das Schlachtfeld schweifen. Die beiden Panzer waren tatsächlich verschwunden. Auf dem Boden lagen eine Menge Leichen von Rorak und einige von getöteten Söldnern, während die Überlebenden sich in getrennten Gruppen zusammengefunden hatten, um ihre Wunden zu versorgen und sich an dem verbliebenen Proviant zu bedienen. Neben Korf, Moydrur, Kandro, Arifa und den einfachen Soldaten konnten wir jedoch eine Person nicht entdecken. „Wo ist Razza?“, fragten wir.

„Nun, sie ist…“, begann Kandro herumzudrucksen.

„… Sie ist kotzen gegangen, Kleiner“, sagte Korf lachend, „sollte man bei jemandem von einem Volk, bei dem Verstümmelungen zum Alltag gehören, nicht meinen, aber offenbar war sie nicht in der Lage deinen neuen Look zu ertragen.“

„Wie sehe ich denn aus?“, fragten wir verwundert und zugleich schockiert. Waren wir entstellt? War das der Preis für unser Überleben gewesen?

„Lass es mich mal so ausdrücken“, sagte Korf, „Du siehst aus wie ein Müllhaufen, denn man in eine Wurstpelle gequetscht und eine halbe Stunde über dem Feuer geröstet hat. Nur nicht ganz so attraktiv.“

„Sehr charmant“, antworteten wir.

„Aber er hat recht“, sagte Arifa, „es grenzt an ein Wunder, dass du noch lebst, Oberkarzon. Dafür solltest du dankbar sein. Aber wenn du so den Jyllen gegenübertrittst, glaube ich eher, dass sie dich aus purer Abscheu erschießen, als dass sie dich in ihr Heer aufnehmen. Vielleicht halten sie dich sogar für einen Dämon aus dem Erdinneren.“

Beunruhigt von all diesen unheilvollen Andeutungen betasteten wir unser Gesicht und dann den Rest unseres Körpers. Dabei bemerkten wir, dass wir zum einen eine neue Uniform trugen, wahrscheinlich weil die andere zerstört worden war, und zum anderen, dass unsere Haut tatsächlich ein Gewirr aus Narben, Schorf, feuchten, wunden Stellen und mit Wundwasser gefüllten Blasen war.

Fantastisch, dachten wir. Nun waren wir wirklich bestens für eine Karriere als Kinderschreck gerüstet. Plötzlich kam uns ein anderer Gedanke: On-Grarins Peitsche und vor allem der Erreger, den uns Sandra direkt nach unserem Techtelmechtel übergeben hatte, um damit die Jyllen zu stürzen. Wo waren sie? Bevor wir anfingen wie verrückt nach diesen beiden Gegenständen zu suchen, flüsterte der Kwang Grong etwas in unseren Geist „ÖFFNE DEINE HAND“, sagte er und als ich ihm gehorchte, entdeckte ich dort nicht nur die kleine Scheibe, die die Peitsche symbolisierte, sondern auch die schwarze Kugel mit der feinen, silbernen Linie, die mir Sandra in die Hand gedrückt hatte. Beide waren intakt. „Gut das du mitgedacht hast“, lobte ich Karmon. „DAFÜR BIN ICH DA“, antwortete er und ich glaubte fast, so etwas wie Humor aus den Worten des sonst so ersten Kwang Grong herauszuhören, während ich meine Habseligkeiten in den Taschen meines neuen Kampfanzuges verstaute.

„Was geschieht nun?“, fragte ich in die Runde, nun wo diese Sorge ausgeräumt war. Auch Razza hatte sich uns inzwischen wieder angeschlossen, hielt den Blick jedoch von mir abgewandt.

„Tja“, sagte Korf nachdenklich und gleichermaßen frustriert, „am liebsten würde ich jetzt nach Kora suchen, aber der Haufen Schrott, den Ungo mir überlassen hat, bringt mich in dieser Hinsicht nicht weiter.“ 

„Wir könnten Sahkscha zur Hilfe eilen“, schlug ich vor, „jetzt wo ich dermaßen entstellt bin, stehen unsere Chancen auf Infiltration wahrscheinlich wirklich nicht mehr sonderlich gut.“

„Ach so ein Blödsinn. Arifa hat doch nur einen Scherz gemacht. Stimmt’s Arifa?“, fragte Korf.

Arifa schwieg. Der versteinerten Miene der verstoßenen Rorak war nicht zu entnehmen, ob Korfs Vermutung zutraf.

„Egal“, sagte Korf schulterzuckend, „jedenfalls glaube ich nicht, dass die Jyllen dich wegen deines Äußeren angreifen würden. So sind sie nicht. Außerdem willst du dich ja nicht als Schönheitskönigin, sondern als käuflicher Krieger anbieten und falls ich mich nicht täusche scheint sich dein Äußeres schon wieder langsam zu verbessern, wie auch immer das möglich ist.“

„ER HAT RECHT“, sagte der Kwang Grong in mir, „ICH KANN DAS REPARIEREN. ES IST NUR FLEISCH. ZELLEN. MOLEKÜLE. DAS BEKOMME ICH HIN. ICH BRAUCHE LEDIGLICH ETWAS ZEIT.“

Die implizite Frage, die in Korfs Worten mitschwang ignorierten wir ganz bewusst.

„Was Sahkscha betrifft“, fuhr Korf, der wohl Begriff, dass wir über dieses Thema nicht reden wollten, fort, „so würde ich ihr natürlich gerne sofort helfen, aber sie hat uns einen Auftrag gegeben und wir würden ihr einen schlechten Dienst erweisen, wenn wir ihn nicht erfüllen würden. Immerhin kann unsere Mission diesen Krieg beenden und ihr zur absoluten Macht verhelfen.“

„Das bringt ihr nichts, wenn sie tot ist und Derok auf dem Thron sitzt“, gab Arifa zu bedenken, „und uns würde das auch nichts bringen. Du bist ein Mann, Korf. Kannst du dir überhaupt vorstellen, was mit uns Frauen geschieht, wenn Derok die Macht übernimmt? Wir können uns wehren, ja. Aber die Männer sind bei uns, wie du weißt, in der Überzahl. Es wird einen Bürgerkrieg geben und der wird dann entweder in unserer Versklavung enden, oder in der Auslöschung unserer Spezies.“

„So weit wird es nicht kommen“, sagte Korf mit fast schon heiliger Überzeugung, „Sahkscha ist ein göttliches Wesen. Sie würde sich niemals von einem Emporkömmling wie Derok vom Thron stoßen lassen. Sie wird ihn besiegen und den Staub treten, wie es sich gehört.“

„Und was, wenn du dich irrst?“, beharrte Arifa.

„Wenn ich mich irren sollte, was nicht der Fall sein wird, werde ich es nicht dulden, dass so ein Haufen Abfall unser Volk führt“, erklärte Korf.

„Und was willst du dann dagegen tun?“, fragte Arifa.

„Na was schon?“, antwortete Korf, „ich würde ihn natürlich bekämpfen. Wir haben diese treuen Leute hier“ – er zeigte auf die überlebenden Rorak-Soldaten – „und wenn Adrian Erfolg hat und die Jyllen verrecken, wird noch eine Menge von deren Söldnern übrigbleiben. Die können wir dann sicher rekrutieren. Von sterbenden Verbündeten haben sie keine Bezahlung mehr zu erwarten und selbst diejenigen, die sich den Jyllen aus irgendeiner naiven Überzeugung heraus angeschlossen haben, werden in uns das geringere Übel erkennen. Derok hasst die Harex genauso sehr wie Ungo. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht. Unter seiner Herrschaft wäre der Tod wohl das Beste, was sie erwarten könnten, folglich wäre er ihr und unser gemeinsamer Feind. Mit der Hilfe der Söldner, der Feuerkraft von Adrian und unseren Getreuen stoßen wir dann zur Hauptstadt vor.

Dabei können wir uns gleich noch die Panzer der Jyllen schnappen und bemannen. Die sind zwar ein Witz im Vergleich zu einem Driggdonn-Panzer, aber auch nicht ganz unnütz, wie Adrian sicher bestätigen kann“, er warf uns einen schalkhaften Blick zu, auf den wir mit einem finsteren Gesichtsausdruck reagierten.

„Außerdem sind es viele und sie sind schnell. Weit schneller als Fußsoldaten. Wahrscheinlich werden wir damit in kürzester Zeit beim Hauptquartier ankommen und triumphal von Sahkscha empfangen werden, die dann zugleich ihre äußeren und inneren Feinde losgeworden ist. Andernfalls scheuchen wir diese Furzfresse vom Thron und Prügeln aus ihm heraus, wo er Kora versteckt hält. Er wird von den Kämpfen geschwächt sein und wenn die überlebenden Getreuen in der Hauptstadt unser Heer anrücken sehen, werden sie sich erheben und uns unterstützen. Problem gelöst.“

„Das könnte sogar klappen“, kommentierte Kandro nicht ohne Anerkennung in der Stimme.

„Genauso gut könnte es schiefgehen“, sagte Arifa pessimistisch, „aber du bist nun der Oberkarzon, Korf. Ich werde mich deinen Befehlen fügen, allein schon, weil ich zu müde bin, um eine weitere Revolte anzuzetteln.“

„Da bin ich aber froh, Arifa“, sagte Korf grinsend, „falls sonst keiner irgendwelche Einwände hat, würde ich vorschlagen, dass wir unsere Ärsche schnellstens aus diesem lebensgefährlichen Freiluftlabor hinaus und hin zur wirklichen Frontlinie bewegen.“

„Ich hätte in der Tat was dagegen einzuwenden“, sagte Moydrur.

„Ach ja? Und was?“, fragte Korf noch immer im leutseligen Ton, jedoch mit einer subtilen Schärfe in der Stimme, “und was wäre das?“

„Zum Beispiel, dass ich keine Lust habe zu sterben. Und ich denke, das trifft auf die meisten hier zu“, betonte der Scyone.

„Versteh ich“, knurrte Korf, „leider sieht der Plan genau dieses Risiko vor. Der Plan, dem du zugestimmt hast.“

„Ich? Ich kann mich nicht erinnern, dass mich irgendwer deswegen gefragt hat“, erwiderte Moydrur und erntete zustimmendes Nicken von Kandro, Razza und einigen nahestehenden, einfachen Söldnern. „Du hast all dem zugestimmt, als du ein Teil des Söldnerheers geworden bist“, konterte Korf.

„Was hatte ich denn für eine Wahl gehabt? Als vogelfreier Harex gedemütigt, erschossen oder gefoltert zu werden? Zu verhungern? Oder zu desertieren und dafür getötet zu werden? Nein, das kann man kaum eine Wahl nennen“, widersprach Moydrur.

„Aber jetzt willst du desertieren, wenn ich das richtig verstehe?“, fragte Korf lauernd.

„Nein. Das will ich nicht. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Diese ganze Finte ist doch vollkommen unnötig. Ich sage, wir trennen und kurz vor der Grenze und wir Söldner schließen uns den Jyllen an. Nach dem Ende der Mission können wir uns dann wieder treffen. Keine Toten. Keine Verletzten. Maximale Schlagkraft. Die anderen Söldner, die bei den Jyllen angeheuert haben, werden doch auch ganz einfach zu ihnen marschiert und von ihnen aufgenommen worden sein, ohne dieses ganze Theater“, sagte Moydrur.

Korf schlug sich demonstrativ vor die eingekerbte Stirn, „Anscheinend befindet sich auch dein Oberstübchen nicht ganz in dieser Welt, was?“, spottete er verächtlich, „Wir reden hier von Leuten, die sich durch große Teile des Rorak-Territoriums bewegen müssten, ohne rekrutiert oder getötet zu werden. Noch dazu, wo sich gerade keine Monolithen in unmittelbarer Frontnähe befinden. Mag sein, dass es einigen gelungen ist, sich durch unsere Reihen zu schleichen, aber niemals einer ganzen Gruppe.

Die Jyllen wissen das. Sie mögen hässlich sein, aber sie sind nicht dumm. Der Großteil der Söldner, der bei den Jyllen in Lohn und Brot steht, ist auf ihrem Gebiet nach Konor gekommen. Wenn ihr alle einfach so in ihr Territorium marschiert, werden sie euch über den Haufen schießen.“

„Was interessanterweise genau das ist, was du und deine Leute mit uns vorhaben“, bemerkte Moydrur spitz.

„Aber wir würden euch doch nicht alle …“, begann Korf und brach dann ab, als eine plötzliche Zorneswelle sein Gesicht zu einer geradezu dämonischen Fratze verzerrte, „Hör mal zu, du neunmalkluges Sumpfgeschwür! Du meinst vielleicht, dass du mir auf der Nase herumtanzen kannst, weil ich keine Leute auf Kanonen spieße und nicht halb so irre bin wie Ungo es war, aber da irrst du dich. Ich verlange Gehorsam und jeder aufgeblasene Wichser, der meint, ihn mir verwehren zu dürfen, wird einen Gräber in seinen Kopf bekommen. Ich werde ihn vielleicht nicht foltern oder ausweiden, aber sterben wird er. Das gilt für euch alle!“

Er blickte finster zu Razza, Kandro und den anderen Söldnern, aber auch zu mir und Arifa.

„Ich bin hier der Kommandant und ihr seid ein Teil dieser Mission und als solcher werdet ihr tun, was ich euch sage und damit Basta! Bekommt ihr das in eure Erbsenhirne?“, fuhr Korf fort.

„Wir haben dir geholfen das Kommando überhaupt erst zu übernehmen, falls du es schon vergessen hast!“, traute sich Razza zu bemerken.

„Dafür bin ich euch dankbar“, sagte Korf nun etwas sanfter, jedoch nicht minder autoritär, „aber ein Kommando ist nur dann etwas wert, wenn die eigenen Befehle befolgt werden. Ich bin nicht wie Ungo. Ich werde meinen Männern befehlen, nicht mehr von euch zu töten oder zu verletzen, als die Glaubwürdigkeit erfordert. Aber ich will jetzt kein einziges Wort mehr darüber hören. Wir brechen sofort auf. Je schneller wir diesen verfluchten Landstrich verlassen, desto besser!“ Mit diesen Worten verließ Korf die Gruppe und begab sich zu den Rorak-Soldaten, wahrscheinlich, um auch sie über den geplanten Aufbruch zu informieren.

„Der König ist tot, es lebe der König“, flüsterte Kandro zynisch, als Korf fort war, „Aus Rebellenführern erwachsen oft die größten Tyrannen. Das ist bei meinem Volk nicht anders.“

„Ganz Unrecht hat er aber nicht“, bemerkte Arifa, „immerhin kann Krieg nur funktionieren, wenn die Befehlskette beachtet wird.“

„Bei Ungo hattest du diese Bedenken aber nicht“, stellte Moydrur fest.

„Ungo war ein Irrer, der seine eigenen Befehle missachtet hat“, antwortete Arifa, „Korf ist das genaue Gegenteil.“

„Kein Wunder, dass du das glaubst“, bemerkte Razza, „immerhin wirst du wahrscheinlich eine von denen sein, die auf uns schießt. Ich würde aber vorsichtig sein. Vielleicht schieße ich ja zurück. Nur um es glaubwürdiger zu machen, versteht sich.“

Darauf antwortete Arifa nicht. Sie warf der Andrin lediglich einen vernichtenden Blick zu.

„Was meinst du dazu Oberkarzon?“, fragte Moydrur an uns gewandt, „Stehst du auf der Seite deines Freundes oder auf der der Gerechtigkeit?“

„Genau, welche Meinung hat eigentlich unsere laufende Augenfolter?“, wollte auch Razza wissen, aus deren Auge jedes bisschen Begehren verschwunden war. „Nichts für ungut“, fügte sie dennoch mit einem Lächeln hinzu, vielleicht um mir zu beweisen, dass sie doch nicht ganz so oberflächlich war, wie ihre gesamte Körpersprache es zum Ausdruck brachte.

„Darüber muss ich erst nachdenken“, sagten wir ausweichend.

„Denke lieber nicht zu lange nach“, warnte Moydrur, „ich habe Respekt vor dir und deinen Fähigkeiten, Oberkarzon, aber du solltest dich dennoch nicht auf die falsche Seite stellen, wenn der Moment der Wahrheit kommt.“

~o~

Es dauerte nicht lange, bis wir uns, wie von Korf angekündigt, in Bewegung setzten. Dies wurde auch dadurch beschleunigt, dass einer der Rorak, der der geisterhaften Jyllen-Stadt offenbar ein wenig zu nah gekommen war, plötzlich verschwand. Und damit meine ich nicht, dass er zu neugierig geworden war und sich auf einer Erkundungstour in den ausgestorbenen Straßen verirrt hatte. Nein, er hatte sich schlicht vor den Augen seinen Kameraden – und auch vor unseren Augen – in Luft aufgelöst. Dabei schworen einige, im selben Moment die schattenhaften Umrisse eines gesichtslosen, großen und überaus dicken Mannes gesehen zu haben, welcher seine fleischigen Hände nach dem Soldaten ausgestreckt haben soll, bevor dieser verschwand und der dabei einen ekelerregenden, stechenden Geruch verbreitetet haben soll. Wir selbst hatten dies nicht beobachtet, allerdings waren wir auch nicht in der Nähe gewesen. Dennoch fühlten wir uns an die seltsamen Phänomene in der Portalhöhle von Hyronanin erinnert.

Nach diesem Vorfall hatten es die Rorak und die Söldner jedenfalls gleichermaßen eilig zu verschwinden und auch wir hatten nicht wirklich etwas dagegen. Durch die besonderen Sinne und Fähigkeiten des Kwang Grong wussten wir, dass Moydrur nicht gelogen hatte, auch wenn er selbst das Ausmaß der Bedrohung womöglich unterschätzte. Dieser Ort tat uns nicht gut. Er beschädigte und zerstörte unsere Zellen auf eine Art, die sogar Karmon nicht auf Dauer würde heilen können, wenn wir zu lange hierblieben. Innerhalb weniger Tage, vielleicht sogar schon binnen Stunden würden wir beginnen zu altern, zu mutieren oder uns aufzulösen und das betraf alle, die nicht über ähnlich gute Heilfähigkeiten verfügten wie wir, in noch viel stärkerem Maße. Wahrscheinlich selbst die überlebenden Bravianer. Sie mochten gegen Krankheiten resistent sein, aber wir bezweifelten, dass das auch für den unheilvollen Einfluss dieser Umgebung galt.

Apropos Bravianer: die wenigen überlebenden Söldner, die diesem Volk angehörten, musterten uns und die Waffe an unserem Arm schon seit einiger Zeit immer wieder neugierig. Wahrscheinlich fragten sie sich insgeheim, ob wir tatsächlich ein Grong-Shin sein könnten. Ich denke aber heute, dass sie es – zumindest zu diesem Zeitpunkt – nicht wirklich für möglich gehalten hatten, dass diese Ehre jemand anderem, als einem Bravianer zuteilwerden konnte.

Jedenfalls ließen wir das Gebiet so schnell wie möglich hinter uns und spätestens als die vollständige Dunkelheit einem trüben Tag wich, wirkte das unser Besuch in dem verseuchten Areal wie ein böser Traum. Die Stimmung war dennoch nicht viel besser geworden, als zu der Zeit, als Ungo noch den Befehl gehabt hatte. Korf war tatsächlich kein Tyrann. Nicht nur, dass er sich keinen Spaß daraus machte, Leute auf Kanonenläufe zu spießen oder die Söldner in einer Tour zu beschimpfen, er gab sogar Anordnung, den Söldnern dieselbe medizinische Versorgung wie den Rorak zukommen zu lassen, selbst wenn die zuständigen Rorak-Sanitäter das nicht eben mit Begeisterung aufnahmen.

Doch trotz der besseren Behandlung blieben die Söldner nach wie vor Kanonenfutter, Lockvögel für eine taktische Finte und nun, wo der Geist der Rebellion schon einmal aus der Flasche war, wollten und konnten sie diese Kröte nicht mehr so einfach schlucken. Hinzu kam, dass unsere Truppenstärke inzwischen spürbar abgenommen hatte und dass wir die beiden Driggdonn-Panzer verloren hatten. Für einen entschlossenen Jyllen-Angriff wären wir inzwischen leichte Beute. Das wussten alle Soldaten, sowohl die Söldner wie auch die Rorak und offenbar zögerten letztere nicht, das Korf auch offen mitzuteilen. Nur so jedenfalls ließen sich die Flüche und der genervte Gesichtsausdruck erklären, als er die Vorhut aus Rorak-Soldaten verließ und fast schon hilfesuchend auf uns zugestürmtt kam. Seine Worte bestätigten unsere Vermutungen.

„Bin ich denn nur von Feiglingen umgeben?“, fluchte Korf.

„Wohl eher nicht“, widersprachen wir, während wir die aufmerksamen Blicke von Moydrur und den anderen Unterkarzonen wie Pfeile in unserem Rücken spürten, „wenn diese Leute feige wären, hätten sie weder den Jyllen Widerstand geleistet, noch eine Rebellion vom Zaun gebrochen.“

Über diese Worte musste Korf anscheinend Erstmal nachdenken, denn seine zornige Rede blieb ihm fürs Erste im Hals stecken, „Das … ja … ja, da magst du recht haben, Kleiner. Aber dann … dann haben sie sich die Feigheit eben gerade erst eingefangen. Wie einen Haufen unter dem Schuh oder wie die Larve ein Zormara-Parasiten. Sonst würden sie mir nicht die ganze Zeit die Ohren vollheulen. Korf, ich hab Angst, dass uns die bösen Jyllen verhauen, Korf, ich will einen Driggdonn-Panzer haben, Korf ich hab Angst, dass meine DNA zerstört ist, Korf, der dunkle Fleck auf meinem Gesicht war vor zwei Stunden noch nicht so groß, Korf, machst du mir ‘ne heiße Tasse Zuhhonka-Milch? Verflucht nochmal, ich dachte, dass wäre ‘ne Kampftruppe, keine Krabbelgruppe!“

Wir konnten uns ein kurzes Lachen nicht verkneifen, woraufhin sich Korfs Gesicht verdüsterte, „Was gibt’s da zu lachen, Kleiner? Mit so einer feigen Truppe laufen wir mit Vollgas in den Untergang und das fände ich ganz und gar nicht lustig!“

„Vielleicht würde es dir aber guttun, es nicht so ernst zu nehmen“, gab ich zu bedenken, „Das meiste von dem, was sie vorbringen, sind berechtigte Sorgen. Diese Ängste auszusprechen, hilft deinen Leuten, damit klarzukommen. Und dass sie dennoch weitermarschieren, zeigt doch, dass es funktioniert.“

„Oder hast du schon Fahnenflüchtige bemerkt?“, wollte ich wissen.

„Bislang noch nicht“, gab Korf zu, „auch wenn das Gequatsche so klingt, als wäre das nur eine Frage der Zeit. Aber vielleicht hast du auch damit recht, Kleiner: Besser sie heulen mir die Ohren voll, als dass sie weglaufen. Mehr Sorgen…“

Korf senkte die Stimme und bewegte sich auffällig nah an mein Ohr.

„…machen mir ohnehin die Söldner. Ganz besonders dieses Sumpfblümchen Moydrur. Ich bin mir fast sicher, dass der Vogel bald den nächsten Aufstand plant. Zwar tue ich alles, um den Söldnern zu zeigen, dass ich kein zweiter Ungo bin, aber ich bin mir nicht sicher, ob die das auch zu schätzen wissen und selbst wenn doch, hat Moydrur ja schon bewiesen, dass er in der Lage ist, sie an seinen Marionettenschnüren zu führen. Selbst mit Ungos Verstand hatte er herumspielen können. Zwar sieht er gerade etwas mitgenommen aus, aber das kann täuschen. Deshalb bin ich eigentlich hier, Kleiner. Du bist der Einzige, der Moydrur gewachsen ist. Ich muss wissen, ob ich auf dich und dein Ärmchen zählen kann, wenn es hässlich wird. Kann ich das?“

Wir sahen dem stattlichen, breitschultrigen Rorak schweigend in die Augen und erkannten, dass hinter seinem rotzigen Gehabe und seiner einschüchternden Statur wachsende Unsicherheit steckte. Seine Welt geriet aus den Fugen. Die gewohnte Befehlsstruktur wurde infrage gestellt, die Herrschaft seiner geliebten Sahkscha angezweifelt, seine Tochter befand sich in Gefangenschaft und die Söldner waren wohl tatsächlich so unzuverlässig, wie er vermutete. Er brauchte uns zum ersten Mal mehr, als wir ihn brauchten, und dieses Gefühl war gut. Besser als Ränge und Titel. Vielleicht sogar besser als Freundschaft. Zumindest empfanden wir es damals so. Also zögerten wir. Nicht so lange, dass Korf sich zum Nachhaken genötigt sah, aber lange genug, um ihm seine Abhängigkeit bewusst zu machen.

„Du kannst auf mich zählen, Korf“, sagten wir schließlich, „immerhin sind wir doch so etwas wie Freunde, oder etwa nicht?“

Korf wirkte verwirrt, so als könnte er mit dieser Frage nichts anfangen. Dann jedoch erhellte sich sein Gesicht, „Ja, ich denke das kann man so ausdrücken, Kleiner. Wir halten uns den Rücken frei, wie man bei uns sagt. Sollte Moydrur oder ein anderer dieser Pisser den Aufstand proben, machen wir ihn gemeinsam kalt, was?“

Wir nickten. Von unserem Gespräch mit Moydrur und den anderen erwähnten wir jedoch nichts. Stattdessen wechselten wir das Thema, „Warum hast du mir eigentlich vorher nie von Kora erzählt?“

Für einen Moment wirkte Korf durchaus verlegen und erst glaubte ich, dass er mir nicht antworten würde, dann jedoch sagte er: „Tja, Kleiner. Ist halt ‘ne sehr private Kiste. Außerdem sehe ich sie auch nicht sehr oft. Ich hab dir ja gesagt, dass Rorak-Kinder den Großteil ihrer Jugend in der Akademie verbringen. Wir Eltern dürfen sie dort zwar gelegentlich besuchen, um ihr Vorankommen zu beurteilen, aber sonst hält sich der Kontakt in Grenzen und auch nach der Akademie sieht man seine Kinder nur noch selten, weil sie häufig anderen Kommandos zugeteilt werden. Davon abgesehen legen die meisten Rorak auch nicht sonderlich viel Wert auf den Kontakt mit ihrem Nachwuchs. Sie hoffen eben, dass er ihrem Namen keine Schande macht und das war’s dann auch schon. Zwischen mir und Kora jedoch… besteht eine ungewöhnlich enge Bindung. Das Mädel ist zwar eine eiskalte Killerin und kennt auf dem Schlachtfeld keine Skrupel, aber an ihrem alten Herren hat sie trotzdem einen Narren gefressen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ihre Mutter schon früh gefallen ist. Außerdem hatten wir das Glück dem gleichen Kommando zugeteilt zu werden. Jedenfalls bevor Sahkscha andere Pläne mit mir hatte. Ich mag die Kleine wirklich. Und jeder Wichser, der ihr auch nur einen Kratzer zufügt, soll dafür mit grausamsten Schmerzen bezahlen. Verstehst du das?“

„Ich verstehe“, antworteten wir, „und ich werde dir helfen sie zu finden, sobald wir unsere Mission erfolgreich zu Ende geführt haben.“

„Tut gut das zu hören, Kleiner“, sagte Korf und wirkte dabei in der Tat sehr erleichtert, „jetzt muss ich aber wieder nach vorne und die Krabbelgruppe beruhigen, bevor die sich noch in die Hosen pissen.“

Dann drehte Korf sich um und verschwand erneut in der Menge der Rorak-Soldaten.

„Was hat er mit dir besprochen?“, fragte mich nicht etwa Moydrur, sondern Razza kurz nachdem Korf sich außer Hör- und Sichtweite befand. Offenbar konnte sie meinen Anblick inzwischen wieder ertragen, da der Kwang Grong – wie ich spürte – unser ursprüngliches Aussehen bereits fast vollständig wiederhergestellt hatte.

„Er hat mir von seiner Tochter erzählt“, sagte ich knapp.

„Der neue Anführer dieser Mission latscht einfach durch sein halbes Heer, um mit dir über seine Tochter zu quatschen?“, fragte sie skeptisch. Offenbar war sie nun so etwas wie Moydrurs Kundschafterin, falls sie nicht einfach nur der eigenen Neugier verpflichtet war.

„So groß ist dieses Heer nun auch wieder nicht“, antwortete ich, „außerdem sind wir Freunde, da kommt so was eben vor.“

Razza zog eine Augenbraue hoch, „Manche Freundschaften sind gefährlich“, sagte sie.

„Willst du mir drohen?“, antworteten wir lauernd.

Daraufhin lachte Razza und brachte dabei das Kunststück fertig sowohl eiskalt, als auch herzlich zu klingen „Meine Drohungen spreche ich nur selten mit Worten aus, Adrian. Ich will dich nur daran erinnern, dass dein feiner Freund unseren Tod will und dass ich – wie wohl jedes vernunftbegabte Wesen – den Freund meines Mörders als Feind betrachte.“

„Würde sich dadurch denn etwas zwischen uns ändern?“, fragten wir unbeeindruckt, „immerhin spielst du doch schon jetzt mit dem Gedanken mich abhängig zu machen und ins Unglück zu stürzen.“

„Oh Nein, DAS war ein Kompliment gewesen, mein fast wieder Hübscher mit den wundersamen Heilkräften“,

für einen Moment sah ich wieder eine verquere Leidenschaft in ihren Augen und auch wenn sie es nicht aussprach, konnte ich mir gut vorstellen, wie sehr sie darauf brannte die Grenzen dieser Heilkräfte mit Klingen, Nadeln und anderen Utensilien auszutesten, „das kam so nah an eine Liebeserklärung wie es bei einer Andrin nur möglich ist. Wenn du mich zur Feindin hättest, wäre das für dich noch deutlich unangenehmer. Und da wäre nicht nur ich, sondern auch Moydrur, von all den anderen Söldnern ganz zu schweigen. Selbst dieser selbstmitleidige Kannibale Kandro möchte ungern sterben. Sie alle möchtest du dir nicht zu Feinden machen.“

„Moydrur habe ich schon einmal besiegt. Und du hast auch gesehen, wie ich die Jyllen hinweggefegt habe. Denkst du ernsthaft, ich habe Angst vor euch?“, erwiderten wir arrogant.

„Ich habe auch gesehen, wie die Saktoren deinen Körper in einen hässlichen Haufen Matsch verwandelt haben“, warf Razza ein.

„Siehst du hier irgendwo Saktoren?“, gaben wir mit einem schmalen Lächeln zurück.

„Guter Punkt“, sagte Razza lachend, „aber auch wenn du dir zutraust uns alle zu besiegen: Was hättest du davon? Wenn du ganz allein aus einer Gruppe Rorak hinaus zu den Jyllen marschierst, erhöht das auch nicht gerade deine Glaubwürdigkeit. Und selbst, wenn sie dich dennoch aufnehmen und du deine Mission erfolgreich beendest: Was hast du dann gewonnen? Nur mit Korf und den paar von uns dezimierten Rorak-Soldaten wirst du Ungo kaum besiegen.“

„Falls er über Sahkscha triumphiert“, sagten wir.

„Ja, falls er das tut“, stimmte Razza zu, „allerdings bist du zu schlau, um deine Zukunft auf einer Wette aufzubauen, oder etwa nicht?“

„Ich hätte immer noch die Söldner der Jyllen“, gab ich zu bedenken.

„Wenn sie sich dir anschließen wollen, nachdem du alle getäuscht und kurz zuvor ein ganzes Volk ausgelöscht hast. Meinst du wirklich, dass sie dir danach noch vertrauen? Von Korf und seinen Rorak, gegen die sie schon oft gekämpft haben, einmal ganz zu schweigen. Wir hingegen sind von ihrer Art. Wir sind Andrin, Bravianer, Scyonen und Angehörige vieler anderer Völker, die dasselbe Schicksal teilen. Uns werden sie vertrauen. Und wenn alle Söldner von Konor sich einmal versammelt haben, wenn wir nicht mehr auf verschiedenen Seiten stehen, müssen wir vielleicht nicht mal mehr die Kämpfe eines anderen ausfechten. Weder die von Sahkscha, noch von Ungo oder den Jyllen. Dann können wir nach unserem eigenen Weg suchen. Wir könnten herausfinden, was es mit diesen Erdspalten und Monolithen auf sich hat und ob man irgendwie durch sie zurückreisen kann. Wir könnten Sahkscha dazu zwingen uns dabei zu helfen und ich sähe auch keinen Grund, warum sie es uns verweigern sollte. Sie hat keine Kriege mehr zu führen, wenn die Jyllen tot sind und ihr Volk mag keine Fremden. Sie könnte froh sein uns los zu sein.“

Wir waren uns da nicht so sicher. Wir wussten zwar, dass Sandra den Krieg beenden wollte, fragten uns aber auch, ob eine Gesellschaft wie die der Rorak wirklich für den Frieden geschaffen war. Über kurz oder lang würden sie wahrscheinlich wieder Krieg führen. Gegeneinander, gegen die Söldner oder – wenn sie einen Weg fanden dort hin zu gelangen – gegen die Völker anderer Welten. Diesen Gedanken behielten wir jedoch für uns.

„Für eine Andrin denkst du sehr altruistisch“, merkten wir stattdessen an.

„Wir sind vernunftbegabte Wesen“, erwiderte Razza, „wenn Kooperation uns hilft unsere ganz persönlichen Interessen zu verwirklichen, dann haben wir nichts dagegen. Ich würde jedem einzelnen dieser Söldner mit Freuden eine glühende Nadel durchs Auge treiben, aber das würde mich nicht zurück nach Andradonn bringen und das ist es nun mal, was ich wirklich will.“

„Warum?“, fragten wir, woraufhin Razza uns verwirrt ansah.

„Willst du selbst nicht nach Hause?“, fragte sie.

„Nein“, sagten wir nachdrücklich und zumindest in diesem Moment war dies alles andere als eine Lüge. Wir wollten sichtbare Spuren hinterlassen, das Universum nach unseren Wünschen formen und uns Völker, Welten und Dimensionen wie eine Sammlung von Souvenirs aneignen. Doch wir wollten ganz bestimmt nicht zurück in die erstickende Enge unserer Heimat.

„Das überrascht mich. Aber wie dem auch sei“, fuhr Razza fort, „wenn ich du wäre, würde ich mich jedenfalls eher für uns entscheiden, als für die Freundschaft dieses zu groß geratenen Witzboldes. Moydrur hat es dir bereits gesagt und ich kann es nur wiederholen: Wenn der Moment der Wahrheit kommt, solltest du weise wählen.“

„Und ich kann dir nur dasselbe sagen, wie ihm: Ich werde darüber nachdenken“, gab ich zurück.

„Nachdenklichkeit ist die Tugend der Schwachen, sagt man in unserer Heimat“, antwortete Razza.

„Dann muss ich mir ja darüber keine Gedanken machen“, erwiderten wir mit einem überlegenen Grinsen, „ich bin nämlich nicht schwach.“

Plötzlich erklang ein lautes Husten gefolgt von lauten, sich hektisch entfernenden Schritten. Wir beide drehten uns gleichzeitig um und beobachteten dabei, wie eine rothaarige Rorak von einem panischen Wegrennen in eine ruhigere Gangart wechselte.

„Arifa“, stellte Razza fest, „sie hat uns belauscht.“

„Dann sind die Rorak wohl die miesesten Spione, von denen ich je gehört habe“, antworteten wir.

„Das sind sie“, bestätigte Razza, „vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum sie diesen Krieg bislang noch nicht gewonnen haben: Rohe Gewalt liegt ihnen mehr. Aber dennoch wird sie Korf brühwarm von dem berichten, was sie von unseren Plänen gehört hat. Auch von deinem Anteil daran.“

„Und welcher Anteil sollte das sein? Ich habe mich nicht auf eure Seite geschlagen“, wandten wir ein.

„Du hast unsere Bitte aber auch nicht klar abgelehnt. Korf könnte das von einem Freund erwarten“, gab Razza zu bedenken.

Da könnte sie recht haben, dachten wir. Laut sagten wir jedoch: „Womöglich wird sie damit auch gar nicht zu Korf rennen. Vielleicht war sie einfach nur neugierig.“

„Wäre sie dann weggerannt wie ein Kind, das man dabei erwischt hat, wie es Süßigkeiten vergiftet?“, fragte Razza, „Nein. Ich denke, sie wird es dem Großen stecken und dann gibt es Krieg, und zwar ohne, dass wir vorbereitet sind oder das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben.“

Sie sollte Recht behalten. Arifa marschierte Schnurstracks auf die Gruppe der Rorak-Soldaten zu, die die Ausgestoßene verächtlich ansahen und teilweise anspuckten. Sie stand in ihrer Achtung offenbar noch niedriger als wir Harex-Söldner, aber anscheinend war Blut trotzdem dicker als Wasser und zudem war Korf wohl der vorurteilsfreieste Rorak, den wir bisher kennenlernen durften. Er würde ihr glauben und dann könnte es durchaus so kommen, wie Razza es prophezeit hat.

Trotzdem handelten wir nicht, aus dem gleichen Grund aus dem auch Razza nicht eingriff. Hätten wir das nämlich getan, hätten wir sie einfach erschossen, nun wo alle Augen auf sie und auch auf uns gerichtet waren, würde das Korf noch mehr über unsere Pläne verraten, als alles, was Arifa eventuell mitgehört hatte.

Also machten wir uns für das bereit, was da kommen würde. Auf einen Kampf, womöglich auf eine Flucht, vielleicht auch auf die Benutzung des Katalogs, aber mit dem, was dann tatsächlich geschah, hatten wir nicht gerechnet.

Arifa ließ sich vom Spott ihrer einstigen Schwestern und Brüder nicht beirren und bewegte sich stur durch die Gasse, die die Rorak bildeten, so als könnte Arifas Schande durch bloße Nähe auf sie abfärben.

Sie war nur noch wenige Meter von Korf, der sich gerade mit einem seiner Soldaten unterhielt, entfernt, als sie plötzlich stehen blieb, zum Himmel hinaufblickte und wie ein nasser Sack auf der Erde zusammenbrach, wo sie kurz krampfhaft zuckte und dann still liegen blieb.

„Moydrur?“, sprachen wir die naheliegendste Vermutung Razza gegenüber aus. Zufall konnte man bei solch einem Vorfall eigentlich ausschließen, wenn sich ein Wesen in der Nähe befand, das in der Lage war, andere zu kontrollieren und mit Träumen und Gedanken herumzuspielen.

„Möglich“, antwortete sie lächelnd und durchaus erleichtert.

Wir blickten wieder zu Arifa. Während sich die meisten Rorak um Distanz bemühten, befahl Korf seinen Sanitätern, Arifa zu untersuchen. Wir waren davon überzeugt, dass sie nur noch den Tod würden feststellen können.

„Aber ich dachte, seine Kraft wäre erschöpft. Er hat selbst gesagt, dass er seine Energie aus den Opfern bezieht, die er in den Nebel lockt“, merkten wir an.

„Wie naiv du manchmal sein kannst. Denkst du Moydrur spielt uns gegenüber mit offenen Karten? Wahrscheinlich hat er noch mehr als genug Kraft in sich. Außerdem kann er doch durch Träume reisen. Vielleicht genügt es ihm ja, die Seelen der Unglücklichen in den Nebel zu locken. Doch ich bin nicht einmal ganz sicher, dass er es selbst getan hat. Unter den Söldnern gibt es noch ein paar weitere Scyonen. Einer von ihnen hätte dieses Kunststück auf seinen Befehl hin vollbringen können“, erklärte Razza.

„Wenn die Scyonen so etwas vollbringen können, warum versuchen sie dann nicht direkt Korf aus dem Weg zu räumen und warum haben sie Ungo nicht auf diese Weise getötet?“, wunderten wir uns.

„Weil es verdammt schwer ist an die Rationen eines Rorak heranzukommen, der von genügend Leute bewacht wird“, antwortete Razza und holte grinsend ein kleines, leeres Glasfläschchen aus ihrer Uniform hervor.

„Du hast sie vergiftet?“, fassten wir das Offensichtliche in Worte.

„Ja und Nein“, antwortete Razza, „die Rorak sind gegen die meisten Gifte weitgehend immun, außer gegen jene, die so hoch dosiert oder generell so beschaffen sind, dass sie sich sofort durch Geruch, Geschmack oder Aussehen verraten. Töten kann man sie damit also kaum. Allerdings gibt es geschmacklose Substanzen, die zumindest einige Dinge bei ihnen bewirken können, wie etwa Durchfall, leichten Schwindel oder eine Schwächung des mentalen Widerstandes. Moydrur und ich ahnten schon seit Langem, dass Arifa zum Problem werden könnte. Deshalb habe ich mir noch in der Nacht unserer Rebellion an ihrem Tonnur zu schaffen gemacht. Wie man so etwas am besten erledigt, weiß in Andradonn jedes Kind.“

Die Vorstellung neben einer Frau geschlafen zu haben, die Gifte mit sich führte und zu gebrauchen wusste, war mehr als nur beunruhigend, selbst wenn wir wussten, dass wir dank des Kwang Grong in der Lage waren mit solchen Anschlägen fertigzuwerden.

„Weiß Kandro davon oder sonst jemand von den anderen?“, fragten wir.

Razza schüttelte den Kopf „Kandro mag ein Kannibale sein, aber er hat dennoch einen seltsamen Ehrenkodex. Auch die Bravianer sind zu ehrenhaft und die meisten der anderen Söldner sind zu schwer einzuschätzen. Nur Moydrur, ich und seine Scyonen sind eingeweiht. Scyonen verraten einander nicht. Sie sind dazu nicht fähig. Schon rein biologisch nicht. Untereinander haben sie eine Art fest verdrahtete Moral.“

„Was ist mit den anderen Andrin“, wollten wir wissen?

„Andrin tun nichts lieber, als einander übers Ohr zu hauen. Da würde ich unser Geheimnis lieber noch Korf persönlich anvertrauen, als einem von uns.“

„Aber warum erzählst du MIR das alles?“, fragten wir verwundert.

„Weil wir beide Verschwörer sind, Adrian. Du steckst bereits knietief da drin, selbst wenn du es dir selbst noch nicht eingestehen willst. Und ich weiß, dass deine Interessen sich mit den meinen decken“, erwiderte sie.

„Und du nennst MICH naiv?“, fragten wir grinsend.

„Du solltest niemals Menschenkenntnis mit Naivität verwechseln“, antwortete sie schmunzelnd.

~o~

Nachdem Arifa wie erwartet für tot erklärt, und zwar nicht bestattet, aber auf Korfs Wunsch auch nicht mit einem weiteren Harex-Schandmal versehen oder von Gräbern aufgefressen wurde, setzten wir schon bald unseren Weg fort. Razza hatte sich nach unserer kleinen Unterredung wieder zu Moydrur und den anderen begeben und mich einsam an der Spitze des Söldnerheeres zurückgelassen, wahrscheinlich um ihrem Mitverschwörer Moydrur Bericht zu erstatten und um Korfs Misstrauen nicht unnötig zu schüren. Wir blieben jedoch nicht lange allein, denn schon nach etwa einer halben Stunde suchte uns Korf zum zweiten Mal auf.

Nun wirkte er sogar nach außen hin völlig nervös und unsicher. Womöglich lag das auch daran, dass seine Leute ihn missbilligend beäugt hatten, weil ihr Kommandant den seltsamen Harex erneut um Rat zu bitten schien. Dieses Verhalten kratzte an seiner Autorität und würde ihm womöglich noch gefährlich werden. Jedoch hatte er diesen Rat wohl dennoch bitter nötig. Er bemühte sich zwar um eine harte, ernste, selbstsichere Fassade, was ihm aber ungefähr so überzeugend war, wie bei einem Kind, welches in seinem Kaufladen Erwachsener spielte.

„Was ist los, Korf?“, fragten wir sofort.

„Hallo Adrian. Es ist… Arifa… sie“, begann er stotternd.

„Ich habe es mitbekommen“, sagten wir, „Sie ist zusammengebrochen. Hast du eine Ahnung, warum das passiert ist?“

„Das ist es ja gerade …“, erwiderte Korf, „die Quacksalber haben gesagt, es kann ein Hirnschlag gewesen sein. Vielleicht ausgelöst durch das verseuchte Gebiet, in dem wir uns aufgehalten haben, vielleicht auch einfach durch Stress.“

„Und daran glaubst du nicht?“, fragten wir.

„Nicht wirklich. Klar, ich hab schon Soldaten zusammenbrechen sehen, ohne dass der Feind seine Finger im Spiel hatte. Krieg ist ein hartes Geschäft und selbst die Härtesten sind damit manchmal überfordert und dieses Gebiet in das Ungo uns geführt hatte, war wirklich scheiße unheimlich. Gut möglich, dass sie sich da was eingefangen hat. Aber warum dann nur sie und warum gerade jetzt, wo sie mir anscheinend etwas sagen wollte? Das kann doch kein Zufall sein.“

„Zumindest schwer daran zu glauben“, gaben wir zu.

„Adrian“, sagte Korf plötzlich nachdrücklich, wenn auch eher flehend als aggressiv, während er uns an unserem Uniformkragen zu sich zog, „was wollte sie mir sagen?“

„Woher sollte ich das wissen?“, fragen wir zurück, ohne eine Miene zu verziehen.

„DU BIST DER OBERKARZON DES BESCHISSENEN SÖLDNERHEERS!!“, donnerte er wütend, ließ uns los und stieß uns dabei ein Stück von sich, wobei wir ins Straucheln gerieten, aber schnell wieder unser Gleichgewicht zurückgewannen, „du marschierst mit diesen Leuten, du schläfst neben ihnen, du isst mit ihnen, du REDEST mit ihnen, verflucht! Wenn es einer weiß, dann du.“

„Beruhig‘ dich Korf“, sagten wir so ruhig wie möglich, „ich mag ihr Oberkarzon sein, aber ich bin kein Gedankenleser. Ich weiß nicht von allem, was den Söldnern durch den Kopf geht.“

„Aber du musst…“, begann Korf aufbrausend, sackte dann jedoch sofort wieder in sich zusammen, „tut mir leid Kleiner. Ich wollte nicht so austicken. Hast ja recht. Es ist nur… irgendwas geht hier vor, von dem ich nichts verstehe und das fuchst mich.“

„Schon in Ordnung, mein Freund“, sagten wir, „ein Kommando zu führen ist nun einmal eine große Verantwortung. Gerade in solchen Zeiten.“ Dann klopften wir dem großen Mann sanft auf die Schulter. Zuerst schien ihn das zu irritieren. Dann jedoch erhellte sich sein Gesicht ein wenig und in seinen Augen glitzerte Feuchtigkeit. Waren das Tränen? Waren das tatsächlich Tränen? Sie hatten nie seine Augen verlassen, aber heute denke ich dennoch, dass es sich genau darum gehandelt hatte.

„Ich habe dir versprochen, dass ich an deiner Seite bin“, erinnerten wir ihn.

„Danke, Kumpel“, sagte Korf gepresst, „das ist mir viel wert. Aber trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass da was im Busch ist. Dass Arifa nicht einfach nur ein harmloses Pläuschchen mit mir halten wollte. Dir ist wirklich nichts aufgefallen? Nichts, was darauf hinweist, dass jemand einen Aufstand plant, nichts, was dir irgendwie komisch vorkam? Vielleicht an Moydrur oder Razza?“

Wir schüttelten den Kopf, „Die Stimmung ist nicht grade toll, soviel ist sicher. Die Söldner meckern wie Soldaten eben meckern, aber ich traue keinem von ihnen einen weiteren Umsturz zu. Sie sind zu müde dafür und in gewisser Weise auch zu feige. Ganz besonders Moydrur. Seit der Aktion mit Ungo ist er nur noch ein Schatten seiner selbst und Rara eignet sich mehr zur Folterknechtin als zur Attentäterin oder Rädelsführerin. Wenn überhaupt, dann …“

Wir ließen bewusst eine kurze Kunstpause mit dem Ergebnis, dass Korf nach unseren nächsten Worten lechzte wie ein hungriger Hund nach seinen Leckerchen, „Ja, wem würdest du so etwas zutrauen?“, fragte er aufgeregt, „sag es, verdammt!“

„Am ehesten würde ich noch Kandro zutrauen gegen dich zu intrigieren. Er hat mir kürzlich erzählt, dass er in seiner Heimat ein gefürchteter Assassine gewesen war, dass er dutzende von Köpfen gesammelt und in einem Schrein aufgestellt hatte und dass er diese Zeit vermisst. Vielleicht fehlt ihm in seiner Sammlung noch der Schädel eines Rorak-Kommandanten. Immerhin hat er sich auch lautstark über dein Festhalten an Sahkschas Plan beschwert. Ich wüsste zwar nicht, wie es ihm gelungen sein soll, Arifa unbemerkt zu ermorden, aber wenn sie zu dem gleichen Schluss gekommen ist wie ich und sie in Kandro eine Bedrohung gesehen hat …“

„Dafür wird dieser Kannibale bezahlen“, knurrte Korf, „eine solche Gefahr muss so bald wie möglich beseitigt werden. Danke, Kleiner“, sagte er und klopfte uns seinerseits so kräftig auf die Schultern, dass ich befürchtete, dass er sie uns auskugeln würde und ging dann mit schnellen Schritten davon, ohne unsere hastig zusammengestrickte Geschichte irgendeiner Prüfung zu unterziehen. Das war aber auch nicht verwunderlich. Er wollte daran glauben. Er wollte einen Sündenbock, ein Problem, dass er sehen und aus der Welt schaffen konnte, indem er es tötete. Das war alles, wonach er verlangte. Und wir hatten es ihm gegeben.

~o~

Kandro starb nicht mehr an diesem Tag. Korf mochte vor lauter Verunsicherung und Selbstzweifeln fast von Sinnen sein, aber er war nicht so dumm ihn vor aller Augen zu ermorden, wo er doch nichts weiter als „Beweis“ hatte als die Worte eines Harex.

Stattdessen marschierten wir alle, Schlangen und Mäuse, Schafe und Wölfe, gemeinsam voran und legten ein gutes Stück unseres Weges zurück. Von Zeit zu Zeit erblickten wir versprengte Rorak-Trupps und Späher, die uns manchmal kommentarlos passierten, manchmal aber auch erst nach einer kleinen Unterredung mit Korf wieder abzogen. Keiner dieser Trupps schloss sich uns an, da sie andere Missionen zu erledigen hatten und wahrscheinlich zum Teil auch auf dem Weg zum Hauptquartier waren, um für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen. Ab und zu sahen wir die verrottenden Leichen von Jyllen auf dem Boden oder entdecken die ausgeschlachteten Überresten von Jyllen-Panzern, aber noch begegneten wir keinem weiteren ihrer Trupps. Dieses Gebiet war fest in Rorak-Hand, wenn auch noch nicht seit langer Zeit. Die Frontlinie – und zwar diesmal die echte – rückte immer näher und wer ganz genau hinhörte, konnte das ferne Donnern von Raketen, das Rattern von Gewehren, das Zischen von Säurestrahlern oder das schrille Kreischen hungriger Gräber hören.

Entsprechend war die Nervosität mit Händen zu greifen und das lag nicht nur daran, dass das Ziel der Mission in greifbare Nähe rückte. Auch die Auswirkungen von dem kurzen Aufenthalt Nahe der verlassenen Jyllen-Stadt zeigten sich immer deutlicher. Sowohl Rorak als auch Söldner klagten zunehmend über Übelkeit, eitrige Geschwüre, hartnäckigen Husten oder plötzliche Schwäche und auch wenn vorerst keiner von ihnen an diesen Beschwerden verstarben, wuchs die Angst davor selbst wie ein Geschwür.

Und so erregte es kaum Aufsehen, als ein melancholischer, heimatloser Kannibale aus Dank Qua, der seine Hände wie zum Gebet gefaltet hatte, seine Augen am nächsten Morgen nicht mehr öffnete und sich nun entweder an einem friedlicheren Ort, oder – falls Moydrur Recht behielt – im Bauch eines grauenhaften Monsters befand. Selbst Arifas rätselhafter Tod hatte im Lichte dieser Ereignisse viel von seiner Rätselhaftigkeit verloren.

Die Stimmung war an einem neuen Tiefpunkt angekommen und insofern sorgte es fast schon für Erleichterung, als Korf ein paar Stunden später das verkündete, was wir alle bereits mit unseren eigenen Augen sahen. „Dort hinten. Die Front!“

Der Begriff „Front“ war in diese Sinne missverständlich, denn dieser Ort mochte vielleicht den aktuellen Grenzverlauf zwischen den umkämpften Territorien der Rorak und der Jyllen markieren, aber zumindest im Moment tobten hier keine Kämpfe, auch wenn von Westen und Osten noch immer die Geräusche des Krieges zu uns hinüberwehten. Die Leichen dutzender Rorak-Soldaten, die hier halb verätzt oder durchlöchert herumlagen, zeigten jedoch, dass dies kein Dauerzustand war. Jyllen-Leichen erblickten wir keine, was jedoch nicht daran liegen musste, dass ihre Seite keine Verluste zu beklagen gehabt hatte. Viel wahrscheinlicher war es, dass man die Toten eingesammelt und bestattet hatte, denn nicht allzu weit entfernt zeigte sich im Nebel des trüben Vormittags eine Jyllen-Stadt.

Diesmal jedoch glaubten wir trotz der noch immer sehr großen Entfernung das Leben darin förmlich wuseln und pulsieren zu sehen, glaubten Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Jyllen-Frauen und Jyllen-Männern darin ihre Arbeit verrichten, Manöver abhalten, miteinander interagieren, Spaß haben und leben zu sehen. Diese Stadt war wehrhaft, sie war keine schutzlose, hoffnungslos naive Beute, die man im Vorbeigehen pflücken konnte, so wie es Cestral einst für uns gewesen war.

Dennoch wurde uns in diesem Moment endgültig bewusst, dass wir auf der falschen Seite standen. Die Jyllen waren keine Aggressoren, sie würden niemanden von sich aus mit Krieg überziehen und selbst wenn Krieg nur selten in moralischen Kategorien funktionierte, selbst wenn es unter ihnen sicher einen Anteil Arschlöcher gab, so wie man auch unter den Rorak Individuen mit Herz und Mitleid fand, konnten wir diese Tatsache nicht leugnen. Dennoch war uns das kein Anlass, um im letzten Moment die Seiten zu wechseln. Im Gegenteil: Dieses Wissen erfüllte uns – zumindest damals – mit einer perversen, schmutzigen Befriedigung. Wir hatten unsere Seite gewählt und nun würden wir alles dafür tun, dass sie den Sieg davon trug.

Plötzlich sahen wir, wie sich eine Masse aus wuselnden Punkten aus der Jyllen-Stadt löste und auf uns zustrebte. Noch würden sie uns aus dieser Entfernung nicht erkennen können, selbst wenn sie sogar von einigen Zrym begleitet wurden, die sich als flatternde schwarze Schatten am Horizont andeuteten, aber es wäre nur noch eine Frage der Zeit. Wenn das geplante Manöver durchgeführt werden sollte, musste es jetzt geschehen.

Jeder der Anwesenden wusste das. Wir wechselten Blicke mit Razza, mit Moydrur, mit Korf, mit den einfachen Söldnern, mit Rorak, mit Bravianern und Andrin. Wir erkannten Angst, Verzweiflung, Mut, Erwartung, Mordlust, Zögern, Selbstmitleid und Hass. Tausend Emotionen, die auf einen einzigen Kristallisationspunkt zuliefen. Dann donnerte Korfs harte und zugleich von Selbstzweifeln getränkte Stimme über die Ebenen. „Feuer!“

Ein paar Herzschläge lang blieb es still. Dann wurde das Feuer eröffnet. Razza feuerte dem nächststehenden Rorak-Soldaten direkt ins Gesicht, sprang vorwärts und schoss einem weiteren in die Brust, wonach sie dem Sterbenden  nur so zum Spaß den Arm so weit verdrehte, bis er am Gelenk brach. Die Angehörigen des seltsamen Bio-Kollektivs fanden sich erneut zu ihrer titanischen Gestalt zusammen und schlugen mit bloßen aus einzelnen Wesen bestehenden Händen die Köpfe von Rorak-Soldaten ein, die nicht mal einen Handschlag unternahmen, um sich zu wehren. Zwei der grotesken Stockwesen nahmen Anlauf und bohrten sich ihren Gegnern mit voraus gestreckten Klauen wie abgeschossene Bolzen in den Bauch und auch wir verteilten unsere Schattenstrahler großzügig im Rorak-Heer. Ein Drittel der Rorak-Truppen starb in diesem ersten Angriff, ohne auch nur einen Schuss abgegeben zu haben und wir erkannten auch sofort warum: Moydrur und vier weitere Scyonen, hatten sich versammelt und schienen in einer gemeinsamen Anstrengung auf den Verstand der Soldaten einzuwirken. Anders als Moydrur bei den Söldnern, konnten sie den widerstandsfähigeren Geist der Rorak-Soldaten nicht vollständig übernehmen, sie jedoch offenbar zumindest daran hindern, ihre Waffen zu benutzen. Es war den Scyonen jedoch anzusehen, wie viel Mühe ihnen das bereitete.

„Was geschieht hier, Kleiner?“, stotterte Korf verwirrt, „Der Plan… ihr solltet weglaufen. Nicht …“

„Tut mir leid, Kumpel, sagten wir und zielten zuerst auf Korfs Kopf, entschieden uns aber im letzten Moment anders und erledigten stattdessen zwei der Rorak-Soldaten, die sich durch besonders viele fremdenfeindliche Bemerkungen ausgezeichnet hatten und die sich ebenfalls in der Nähe befanden. Wie gefällte Tannen schlugen sie auf der Erde auf.

In diesem Moment hörten wir ein vielfaches Stöhnen und bemerkten wie das Leben in die verbliebenen Rorak zurückkehrte und sie sofort damit begannen das Feuer auf die Söldner zu eröffnen.

„Dafür wirst du krepieren, du verräterisches Stück Scheiße!“, brüllte Korf wütend und schleuderte einige seiner Gräber in unsere Richtung, die uns offenbar nicht verschmähten, auch wenn wir kein Jyllen waren.

Drei davon zertraten wir mit unseren mechanischen Füßen, ein paar weitere ließen wir mit unserem Schattenstrahler verglühen. Einer schaffte es jedoch bis zu unserem Bauch, wo er sich entschied, sich mit seinen kleinen, scharfen Klauen und seinem hässlichen Gebiss in uns hinein zu wühlen. Unser dünner Kampfanzug bot uns kaum Schutz vor diesem Angriff und das Wesen war bereits kurz davor unsere Bauchdecke zu durchstoßen, als wir es mit einem beherzten Ruck samt Brocken von Haut und Gewebe von uns wegrissen. Während der Kwang Grong erneut unsere Heilung übernahm, brachte ich uns vorerst auf Distanz zu dem rasenden Rorak, der uns weiterhin mit Gräbern eindeckte.

Plötzlich hörten wir einen seltsam, geisterhaften Schrei und während wir vor Korf flohen, der uns tausendfache Verwünschungen in unserer und in seiner Sprache hinterherrief, erkannten wir, dass dieser Schrei von Moydrur stammte. Der Scyone hatte sich einmal mehr über die Maßen verausgabt und drohte nun, genau wie seine Kumpanen, zur leichten Beute zu werden, da er kaum noch in der Lage war seine Waffe zu heben oder auszuweichen. Eine Gruppe von fünf überlebenden Rorak hatte sich offenbar zum Ziel gesetzt die gleichermaßen wehrlosen wie gefährlichen Feinde zu überwältigen und stürmte bereits auf sie zu. Razza, die zusammen mit zwei Bravianischen Söldnern die Aufgabe übernommen hatte, die Scyonen zu schützen, tat ihr Bestes, die Rorak mit Schüssen aus ihrem Gewehr auf Distanz zu halten, aber es war offensichtlich, dass die drei es alleine nicht schaffen würden, zumal die anderen Söldner in harten Kämpfen mit den zwar dezimierten, aber immer noch starken und verdammt wütenden Rorak-Kriegern gebunden waren. Wir müssen ihnen helfen, wurde uns bewusst, und so richteten wir unseren Schattenstrahler auf die Rorak und…

… schleuderten das Geschoss harmlos in den Boden als ein grausamer Schmerz in unserem Rücken explodierte. Einen Augenblick später packten uns Korfs Pranken und drehten unseren Kopf so weit herum, dass er uns beinah das Genick gebrochen hätte. Wir versuchten uns herauszuwinden, aber zumindest vorerst gelang uns das nicht. Die Wut musste ihn stärker und schneller gemacht haben, als wir es für möglich gehalten hatten.

„Sieh mich an, Kleiner“, zischte er, „ich will, dass du hinterhältige Ratte mir in die Augen siehst, wenn ich dir den Gräber direkt in dein stinkendes Harex-Hirn schieße, dort, wo keiner deiner schmutzigen Zaubertricks dich heilen kann. Nur schade, dass das so schnell gehen wird. ICH WILL, DASS DU LEIDEST, DU JÄMMERLICHES STÜCK DRECK! Aber leider haben wir nicht die Zeit dafür. Ich hätte dich damals mit dem Panzer töten sollen, statt dich nur zu verstümmeln. Aber das kann ich jetzt nachholen. Tschüss, Kleiner“, sagte er, während er uns den Lauf seiner Waffe direkt auf die Stirn presste, „ich werde auf deinen Kadaver pissen und auf deinen beschissenen Katalog!“

In diesem Moment geschahen drei Dinge zugleich. Erstens gelang es dem Kwang Grong und mir endlich Korfs Griff zu sprengen, zweitens ertönte der schrille Schrei eines Zryms über uns und drittens schlugen gleich mehrere Säuregeschosse in Korfs Rüstung ein und schleuderten ihn zu Boden.

Zum Glück gelang es uns, dem Großteil der umher spritzenden Säure durch eine Seitwärtsrolle zu entgehen. Selbst die wenigen Spritzer, die wir abbekamen, fraßen sich binnen Sekunden bis auf unsere Knochen und der Kwang Grong hatte größte Mühe unser Gewebe wieder nachwachsen zu lassen.

Korf hatte weniger Glück. Während das nasse Klatschen von Säuregeschossen und das Schmerzensgebrüll mehrerer Rorak-Soldaten von der Ankunft der Jyllen und von deren Eingreifen zu unseren Gunsten kündeten, wandten wir uns zu unserem einstigen Freund um. Noch immer bedauerten wir es ein wenig, dass wir ihn verraten mussten, aber die Logik und das größere Ziel, auf das wir hinarbeiteten, hatten uns keine Wahl gelassen. Trotzdem war der Anblick, den Korf bot, verstörend.

Seine Beine waren trotz des stabilen Kampfanzuges zu mehr als zwei Dritteln weggefressen und selbst die dicken Knochen, die wie der Rumpf eines Schiffswracks aus dem zersetzten Fleisch hervorragten, begannen sich blubbernd und zischend aufzulösen. Seine Arme sahen nicht viel besser aus und auch sein Unterleib war kaum mehr als eine glänzend rote, schäumende Wunde. Noch jedoch lebte er, und sein Gesicht, welches uns mit einer Mischung aus Hass, Enttäuschung und Trauer ansah, war größtenteils unversehrt.

„Warum, Kleiner?“, fragte er uns. Jegliche Wut war aus ihm verschwunden und Schmerz und Enttäuschung hatten ihren Platz eingenommen.

Wir antworteten ihm nicht, lauschten nur dem Zischen, mit dem sich die Säure durch sein Fleisch fraß und dem bemerkenswert leisen Wimmern, das aus seiner Kehle kam. „Ich habe dich echt gemocht, weißt du?“, zwang er sich trotz seiner Pein zu sagen.

„Ich dich auch“, sagten wir wahrheitsgemäß, während wir den Schattenstrahler auf seinen Kopf richteten.

„Wirst du wenigstens nach Kora suchen?“, fragte Korf vor Schmerz stöhnend, „wirst du diesem alten Frontschwein zumindest diesen Freundschaftsdienst erweisen?“

„Nein“, sagten wir sanft, „aber diesen Dienst erweise ich dir“. Mit diesen Worten drückten wir ab und löschten nach der Hoffnung auch das Dasein von Korf aus.

„Du hast die richtige Wahl getroffen“, sagte Moydrur hinter uns. Die Stimme des Scyonen war noch geisterhafter und brüchiger als je zuvor. Seine Gestalt war inzwischen so transparent, dass sie sich kaum noch von der Umgebung unterschied. Zudem begann sie immer wieder zu flackern und völlig zu verschwinden. Den anderen Scyonen schien es ähnlich zu ergehen.

„Nein, das habe ich nicht“, antworteten wir wahrheitsgemäß, „aber die Vernünftigere. Was geschieht mit dir?“

„Ich habe mich ein wenig überanstrengt und habe nun nicht mehr genügend Kraft, um meine Existenz in dieser Ebene aufrechtzuerhalten?“, antwortete Moydrur.

„Du wirst sterben?“, wollten wir wissen.

Moydrur schüttelte den Kopf, „so leicht wirst du mich nicht los, Oberkarzon. Aber ich und meine Brüder und Schwestern werden uns eine Zeitlang in die gestaltlose Welt zurückziehen und dort Kraft tanken. Wir können natürlich nicht ewig dort verweilen, da wir sonst den Kontakt zu unserer weltlichen Existenz verlieren und letztlich wirklich sterben. Aber für eine Weile wirst du mich nicht sehen. Viel Glück bei deiner Mission, Oberkarzon!“

Mit diesen Worten löste sich Moydrur und kurz danach die anderen Scyonen auf und ließen nichts als leere Luft zurück.

Wir waren noch fasziniert von diesem Schauspiel, als Razzas aufgeregte Stimme ertönte: „Adrian, schau!“, sagte sie und zeigte in den Himmel.

Und tatsächlich gab es dort etwas zu sehen. Der größte Zrym, der mir je begegnet war, setzte gerade zum Landeanflug an, wirbelte mit seinen vier kurzen Flügeln eine Menge Staub auf und setzte dann überraschend sanft auf dem Boden des Schlachtfeldes auf, auf dem inzwischen kein einziger Rorak mehr lebte. Dann entließ das Flugwesen mit einem schmatzenden Geräusch eine großgewachsene, aber dabei zierliche Jyllen-Frau aus seinem gallertartigen inneren, deren gelbe Uniform mit roten Mustern verziert war, die nicht blutrot wie bei den Rorak, sondern schon fast von einem rosafarbenen Ton waren, der gut zur Farbe ihrer Haut passte. Die Haltung der Frau, während sie mit ihren vielzehigen, schlaksigen Beinen erstaunlich elegant auf uns zulief, war aufrecht und selbstbewusst, ohne dabei arrogant zu wirken. Ihr Gesicht, unterhalb ihres kurzen, neongelben Haarschopfs war auch nach menschlichen Maßstäben ansprechend und überraschend freundlich. Ihre hellgelben Augen versprühten jedoch eine Art von analytischem Scharfsinn, der klarmachte, dass sie nicht umsonst zur Anführerin ihres Volkes gewählt worden war.

„Scavinee“, sprach ich meine Vermutung aus. „Höchstpersönlich“, stimmte mir Razza zu.

~o~

Aus den Aufzeichnungen von Scavynee 33-Z.Evul, 441. Arnivel der Jyllen.

Ich weiß nicht mehr genau, was mir durch den Kopf ging, als ich diesem Mann zum ersten Mal begegnete, der – wie mir seine Kameraden berichtet hatten – der Anführer jener Söldner gewesen war, welche die Kühnheit besessen hatten, sich direkt an unseren Grenzen mit einer Gruppe von Rorak anzulegen. Ich weiß aber, dass ich diesen unerwarteten Kampf interessant genug fand, um Hyuna zu besteigen und mich unseren Spähern anzuschließen und ich weiß, dass wir praktisch keine andere Wahl gehabt hatten, als diesen offensichtlichen Rebellen beizustehen.

Wir hatten ihnen helfen müssen, schon allein, weil es eine Schande gewesen wäre, Krieger im Stich zu lassen, die den Mut besaßen sich gegen jene kriegslüsternen Tyrannen aufzulehnen, die auch wir seit Jahrhunderten bekämpften. Dies getan zu haben, bereue ich trotz allem nicht. Denn wenn wir andere Völker so behandeln würden, wie die Rorak es taten, hätte unser ganzer Kampf keinen Sinn gehabt. Doch ich weiß auch, dass ich damals viele Fragen in mir getragen hatte. Fragen, die sein junges, verschlossenes Gesicht und die düstere Aura, die ihn trotz aller Freundlichkeit umgeben hatte, geradezu provozierten. Auf viele davon sollte ich Antworten bekommen. Schmeichelhafte und schockierende, mysteriöse, wortgewandte und interessante. Die Schlimmsten jedoch waren die Ehrlichen gewesen. Sie bekommen zu haben… ja, das bereue ich zutiefst.

Fortgeschritten:

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