Deutsches Creepypasta Wiki
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Dämon girl

Das Internet ermöglicht viele weitgehende Formen der Anonymität und das fand sie wunderbar. Hier konnte sie sein, wer auch immer sie sein wollte. Ob nun in Foren, Online-Rollenspielen, Chatrooms und so weiter.

Hier war sie Clara, Sandra, Mistra, die Schlächterin, oder Vic, der Zerstörer. Niemand kannte sie, nicht sie persönlich. Die Anderen kannten das, was sie vorgab zu sein und vor allem wer. Kann ich nicht einfach in einem dieser Rollenspiele leben? In diese eintauchen und nie wieder in diese beschissene Realität zurückkehren?, dachte sie immer, sobald sie ein MMORPG, also ein Multiplayer-Onlinespiel startete. Hier war sie die Heldin oder die absolute Antagonistin, aber sie war jemand. Keine Null, keine Niete, kein verdammtes Opfer der Gesellschaft. Stunden verbrachte sie im Internet, tagtäglich. Es war ihre Zuflucht. Es war das, was sie all die Schrecken dort draußen vergessen ließ. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe. In Frieden gelassen werden, mehr nicht.

Jeden Tag fragte sie sich, was sie verbrochen hatte, um in dieser Hölle leben zu müssen. Ist das die Strafe meiner vergangenen Fehler?, schoss es ihr durch den Kopf, als sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete. Sie putzte sich die Zähne, kämmte sich ihr dunkles Haar und verließ dann gemächlich das Badezimmer. Als sie die offene Küche betrat, war ihre Mutter bereits eifrig dabei, ihr das Schulbrot einzupacken. Das war ihr Ritual. Sie hatte ihrer Mutter schon etliche Male gesagt, dass dies nicht mehr nötig sei und erst recht nicht mehr mit siebzehn Jahren, aber wer hörte schon auf sie?

„Ignorier mich eben auch“, murmelte sie abschließend, und damit war die Sache erledigt. Wer war sie schon, dass man ihr Gehör schenken sollte?

„Mach dich fertig Schatz, sonst kommst du noch zu spät zur Schule!“, äußerte ihre Mutter, während sie hastig ihren Kaffee trank.

„Eigentlich… geht’s mir heute nicht gut…“, erwiderte sie vorsichtig.

„Ah! Wir fangen dieses Thema nicht wieder an. Du gehst zur Schule und Punkt!“, ermahnte sie ihre Tochter. Sie leerte ihre Kaffeetasse, schnappte sich ihre Autoschlüssel und verließ mit einem ‘Hab dich lieb‘ hastig das Haus.

„Hättest du mich wirklich lieb, würdest du mir verdammt nochmal zuhören“, flüsterte sie gebrochen.

Vorbei die Zeiten, in denen vorgetäuschte Magenschmerzen noch gezogen hatten. Seit sich ihre Noten verschlechterten, war ihre Mutter geradezu erpicht darauf, sicherzustellen, dass sie auch ja am Unterrichtsgeschehen teilnahm. Frei nach dem Motto: Hast du Bauchschmerzen, trink ‘nen Tee! Kopfschmerzen? Nimm eine Tablette, passt schon! Sie begann ihren Rucksack zu packen. Schulbücher, Hefte, das Mittag, etwas zu trinken und Mr. Frost. Mr. Frost war ein alter, abgenutzter Stoffpinguin. Ihr treuester Wegbegleiter seit ihrer Kindheit. Neben den Rollenspielen das Einzige, was ihr Trost spendete.

Zuletzt zog sie sich ihre graue Kapuzenjacke über, richtete die Kapuze und schloss die Haustür hinter sich. Wie immer wartete sie auf den Bus, wie immer nahm sie in der letzten Reihe Platz, sofern dort ein Sitzplatz frei war. Wie immer spürte sie, wie sich ihre Atmung beschleunigte, je näher sie dem Schulgebäude kam. Wie gewohnt begannen ihre Handflächen zu schwitzen, als sie ausstieg und dem Weg ins Innere des Gebäudes folgte. Und wie gewohnt gingen ihr dieselben Gedanken durch den Kopf.

Errege keine Aufmerksamkeit! Mach dich ganz klein! Gib keinen Laut von dir! Schau niemanden direkt an! Lauf ganz schnell in den Klassenraum!

Jeden gottverdammten Tag dieselbe gottverdammte Scheiße. Wie ein Kreislauf der Hölle, in dem sie gefangen war. An kalten, eisernen Ketten gebunden, nicht in der Lage, diese zu sprengen, wartend auf ihre Foltermeister. Nur, dass sich diese Foltermeister ‘Schulkameraden‘ schimpften.

Unruhig saß sie an ihrem Tisch. Der Klassenraum füllte sich nach und nach. Erst die Nerds, die vor Unterrichtsbeginn noch ein paar Runden Magic oder was auch immer spielten. Dann die Streber, die ihre Nasen in Bücher steckten. Die Ruhigen, die einfach nur auf die Schulglocke warteten, und zuletzt die Raucher und die ‘High Society‘, zu der sie, ohne jede Frage, nicht gehörte und auch nicht gehören wollte. Sie war die Ausgestoßene. Das Mobbingopfer. Das Mauerblümchen. Und auf ein Neues. Zuerst die Regeln durchgehen.

Errege keine Aufmerksamkeit! Sprich nicht ohne Aufforderung! Wirst du aufgefordert, überlege dir gründlich deine Antworten! Sieh niemanden direkt an! Konzentriere dich auf das Unterrichtsgeschehen! Schreibe mit! Hast du Fragen, stelle sie nicht, du kannst zuhause Herrn Google fragen! Bete, dass die Lehrkraft dich nicht anspricht! Bete, dass die Lehrkraft dich nicht zur Tafel bittet! Und vor allem, bete, dass es zu keiner Gruppenarbeit kommt!

Sie atmete kaum hörbar durch, als sie bemerkte, wie Miststück 1 und Mitläufer 1 bis 3 auf sie zukamen. Das war ihr Ding. Solche Bezeichnungen gab sie jedem. Ihre Hände begannen zu zittern. Die drei kreisten sie ein. Gesenkten Blickes biss sie sich auf die Unterlippe.

„Naaaa, Grudge-Girl? Hat dir deine Mami heute wieder etwas Geld mitgegeben?“, flötete Miststück 1. Sie schüttelte verneinend den Kopf.

„Ach nein? Das müssen wir in der Pause wohl mal prüfen. Weißt du, ich hab meinen Freundinnen doch versprochen, ihnen nach der Schule ein Eis auszugeben“, kicherte sie heiter.

Ihre Mitläufer stimmten mit in ihr dämliches Gekicher ein. Stumm betete sie, dass es das gewesen war und sie sich jetzt einfach wieder verziehen würden, doch dann kam Transi. Sie nannte ihn so, da sie fand, dass er optisch einfach aussah wie das Klischee eines solchen. Gezupfte Augenbrauen, Ohrringe, enge Jeans, Tops, die sie zuvor schon bei Mädchen gesehen hatte, und sie hätte ihre eigene Mutter sogar darauf verwettet, dass er sich puderte und Mascara benutzte. Und trotzdem war sie hier das Opfer. Zum Kotzen. Alles nur, weil sie nie ein wirkliches Selbstvertrauen aufbauen konnte. Lieber in ihrer eigenen Welt lebte und einfach introvertiert war. Aber nein. Eigentlich wünschte sie niemandem eine solche Behandlung. Alles, was sie wollte, war einfach nur zur Abwechslung in Frieden gelassen zu werden.

„Liebes, heute wieder in diesem hässlichen Fummel? Die Haare wenigstens gekämmt?“, grinste Transi höhnisch, während er an einer ihrer Haarsträhnen fingerte.

„Ew!“, entwich es ihm. Angewidert ließ er die Strähne los.

„Die hättest du ruhig mal waschen können, Ferkel!“, ermahnte Transi sie, während er sich zurück auf seinen Stuhl fallen ließ.

Miststück 1 beugte sich zu ihr hinunter. Sie starrte ihr in die blauen Augen.

„Vergiss nicht, Grudge-Girl… Wir warten auf dich“, wisperte sie breit lächelnd. Sie rümpfte die Nase, kramte in ihrer hochmodernen Tasche und zückte ein rundes Gefäß. Sie sprühte ihr das Parfüm direkt ins Gesicht. Vorausahnend hielt sie den Atem an und zählte die Sekunden.

„Gegen deinen Gestank“, lachte sie und verschwand an ihren Platz.

Leise pustete sie die Luft aus ihren Lungen und sah vorsichtig in die Runde. Alle starrten sie verächtlich, höhnisch und lachend an. Alle. Die Schulglocke läutete den Unterricht ein. Die Lehrkraft platzte mit dem letzten Läuten hinein und entschuldigte sich für die Verspätung. Das war nicht einmal die erste Stunde. Seit drei beschissenen Jahren war sie nun hier zum Opfer und Gespött für Jedermann auserkoren. Und mit jedem weiteren Jahr spürte sie, wie sie ihre Kräfte verließen.

Okay, okay… Das lief doch ganz gut. Das war nicht einmal ansatzweise so schlimm wie sonst. Da kamen schon ganz andere Dinge, krassere Dinge. Wie damals in der Vertretungsstunde mit... wie hieß der? Marvet? Marcet? Irgendwie so. Da hatte die gesamte Klasse sie bloßgestellt. Und der werte Herr Marvet-Marcet? Der hatte sich beinahe ins Höschen gepinkelt vor Lachen. Ja, ein Lehrer, der es richtig lustig fand, wie ausnahmslos jeder sie mit Essensresten bewarf, ihr ungeniert Kaugummi ins Haar klebte. Ihre Trinkflaschen über ihren Sachen leerte. Das war schon mehr als bloßes Mobbing, und dennoch… Das war, wie es ist und schon immer gewesen ist.

Nicht das erste Mal, dass ein Lehrer, eine fucking Vertrauensperson, sich diesem Treiben anschloss. Nicht das erste Mal, dass sie von einer solchen Vertrauensperson ausgelacht wurde. Sich jemandem anzuvertrauen hatte sie schon lange hinter sich gelassen. Die Leute wollten es entweder nicht hören, taten es mit Sätzen wie ‘Das wird schon wieder‘, ‘Lass dich nicht unterkriegen‘ und ihrem persönlichen Highlight ‘Sprich mit deinem Lehrer darüber‘ ab oder meinten, sie würde übertreiben. Es gab sogar welche, die meinten, sie wäre der Troublemaker der Klasse und würde sich nun beschweren, weil sich die Anderen zur Wehr setzen. Pff, klar doch. Und mit solchen Leuten sollte sie reden? Da schwieg sie lieber und fraß alles in sich hinein. Doch langsam fragte sie sich selbst, wie viel mehr sie noch würde ertragen können…

Was ihre Mutter betraf... Na ja. Bei drei Jobs, um Schulden abzuzahlen, war es kein Wunder, dass man weder die Zeit noch die Nerven für derlei Gespräche hatte. Sie gehörte übrigens in die Kategorie der Leute, die sagten, sie würde übertreiben.

Erneut ließ sie ihren Blick behutsam durch den Raum schweifen. Miststück 1 tuschelte mit Miststück 2. Beide sahen dabei wild grinsend zu ihr rüber. Wetten bezüglich eines teuflischen und abgrundtief üblen Plans dürfen dann abgegeben werden, dachte sie seufzend. Ihre Hände schwitzten unaufhörlich. Sie wurde immer unruhiger. Ich will hier raus! Ich will hier weg! Diese Stunde zog sich wie Kaugummi. Ihr war nicht entgangen, dass sie etappenweise panischer wurde. Leidend ersehnte sie das erneute Läuten der Schulglocke. Sich zu konzentrieren war jetzt eh vergebens. Die Angst schaffte keinen Platz für Formeln und Zahlen.

Und da war es endlich. Das befreiende Geräusch, welches das Ende der Unterrichtsstunde bekanntgab. Eilig packte sie den Block in ihren Rucksack und verschwand noch vor allen anderen. Sie rannte den Flur entlang, stieß die Tür zu den Mädchentoiletten auf und stürmte auf die erste freie Kabine, die sie erblickte, zu. Angstgetrieben sperrte sie sich selbst in dieser ein. Schließlich setzte sie sich auf die geschlossene Toilette und war bemüht, ihre Atmung zu normalisieren. In ihrem Rucksack kramte sie nach Mr. Frost, den sie auch schnell fand und sogleich fest an ihre Brust drückte. Dann zog sie die Beine an und atmete tief durch.

Das war wie jeden Tag. Es vergeht die erste Stunde. Ich renne panisch zum Klo, sperre mich ein, drücke Frosti und weine. Frosti drücken und weinen. Beruhigen und runterkommen, ging sie gedanklich durch. So war das. Andere setzten einen Haken neben den Dingen auf ihrer Einkaufsliste und sie setzte eben gedanklich hinter solchen Dingen ein Häkchen. Weinen? Check. Das abgenutzte Plüschi drücken, welches seine besten Zeiten auch schon hinter sich hatte? Check. Durchatmen? Check.

Sie schloss ihre Augen. Drei Jahre. Seit drei Jahren durchlebte sie diesen Alptraum. Anfangs war es noch ertragbar. Da begann es hier und da mit einigen dummen Kommentaren von ein, dann zwei Leuten aus ihrer Klasse. Schnell wurden aus zwei Leuten zwanzig. Jeder wollte ein kleines Stück ihres Selbst zerstören. Was ursprünglich mit ihrer und in ihrer Klasse begann, weitete sich schnell aus. Wie eine gottverdammte Krankheit, denn danach setzten die Parallelklassen nach. Leute, mit denen sie nichts zu tun hatte. Selbst die Schüler aus den unteren Klassenstufen sprangen auf diesen Zug auf. Und ab da wurde es echt hart. Jeder andere bis dato Geächtete war froh, diesem Status entkommen zu sein, und so mischte sich auch niemand ein. Lehrer sahen weg. Niemand hörte zu. Sie war alleine. Alleine gegen so ziemlich jeden an dieser Schule. Wie oft bat sie ihre Mutter um einen Schulwechsel.

„Das ist eine hochangesehene Schule. Weißt du eigentlich, wie schwer man dort einen Platz bekommt?“, entgegnete ihre Mutter verständnislos. Warum war es ihr so scheißegal, wie sich ihr Kind fühlte? Ständig tat sie ihre Sorgen und ihren Kummer ab.

„Keine Zeit, muss zur Arbeit.“

„Später, Schatz. Ich muss zur Arbeit.“

„Heute nicht Schatz. Ich bin erledigt.“

Eine erneute seelische Schmerzwelle durchflutete ihren Körper und erneut brach sie in Tränen aus.

„Ich will nicht mehr!“, stieß sie schluchzend hervor.

„Das soll enden. Einfach alles enden. Ich will, dass sie alle sterben. Jeder Einzelne soll dafür bezahlen, was er mir angetan hat. Sie sollen einfach alle verrotten!“

Ihre Schultern zuckten bei jedem neuen Schluchzer. Tränen rannen ihr unaufhörlich übers Gesicht. Sie verharrte eine Weile in dieser Position. Die Beine weiterhin an den Körper gezogen. Eingeklemmt zwischen Brust und Knie Mr. Frost, ihre Stirn ruhte auf den Knien. Allmählich beruhigte sie sich. Sie wurde von einer überraschenden Müdigkeit übermannt. Schließlich nickte sie ein.


Das schrille Läuten der Schulglocke ließ sie hochschrecken. War dies das Signal, dass die nächste Stunde begonnen hatte? Schleunigst steckte sie den Pinguin zurück in den Rucksack, öffnete die Tür und drehte den Wasserhahn am Waschbecken auf. Flüchtig wusch sie sich das Gesicht und sah in den Spiegel. Sie hörte, wie sich eine weitere Kabinentür öffnete, sie hörte, wie jemand pfeifend heraustrat. Sie warf demjenigen einen flüchtigen Blick zu und erschrak. Das war eine männliche Person. Ein junger Mann auf dem Mädchenklo.

Einfach großartig, dachte sie. War der schon von Anfang an da? Wenn ja, hatte er ihren peinlichen Ausbruch wohl mit angehört. Toll. Jetzt gab es für jemanden einen weiteren Grund, sie fertig zu machen, und da spielte es keine Rolle, weshalb sich ein Junge auf der Mädchentoilette aufhielt. Zügig drehte sie sich um und griff nach der Türklinke, um die Toilette zu verlassen, doch die Tür öffnete sich nicht. Irritiert zog und drückte sie wild, doch keine Chance. Als hätte man sie abgeschlossen.

„Gibt es ein Problem?“, hörte sie den Jungen hinter sich fragen. Langsam drehte sie sich zu ihm um. Er stand am Waschbecken und wusch sich in aller Ruhe die Hände.

„Die Tür lässt sich nicht öffnen“, murmelte sie kaum hörbar. Sie war darauf bedacht, ihn nicht direkt anzusehen. Alte Gewohnheiten.

Der junge Mann trocknete sich die feuchten Hände ab und näherte sich ihr. Sie sah auf seine lässigen Lederschuhe, während sie die Schritte, die auf sie zukamen, verfolgte. Er blieb dicht vor ihr stehen und griff nach der Klinke. Es quietschte kurz, als er sie nach unten drückte.

„Stimmt“, kicherte er. Er ließ von der Tür ab, wich aber nicht zurück. Langsam schlich sich Unwohlsein in ihr ein. Diese Nähe fühlte sich scheußlich für sie an. Zumal ihr der Typ nicht geheuer war.

„Warum starrst du die ganze Zeit den Boden an?“, wollte er wissen. Sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, also schwieg sie.

„Du kannst mich ruhig ansehen, Kat“, flüsterte er unheimlich. Doch der Tonfall, war nicht der ausschlaggebende Punkt für ihre plötzliche Gänsehaut. Der Typ nannte sie ‘Kat‘. Das tat sonst nur ihr Vater, und dieser war schon lange tot. Ihr Kinn bebte.

„Katherine? So hässlich bin ich nicht, versprochen“, zwitscherte er. Zögernd sah sie zu ihm auf, in das ihr unbekannte Gesicht.

Natürlich. Natürlich musste es so einer sein. Ein typischer optischer Gigolo. Der Schwarm einer jeden Dame. Blaue, unschuldig wirkende Augen. Ein charmantes, niedliches Lächeln. Makellose Haut und lockige schwarze Haare. Guter Körperbau und geschmackvolle Kleidung. Kann der Tag eigentlich noch schlimmer werden?, fragte sie sich selbst. Was konnte so einer von ihr wollen? War das eine Falle? War er jetzt mit der rühmlichen Aufgabe betraut, sich ihr Vertrauen zu erschleichen, dafür zu sorgen, dass sie sich unsterblich in ihn verliebte, um dann die nächste Bombe platzen zu lassen und auch noch das restliche Bisschen ihrer Person zu vernichten? Das musste die Erklärung sein.

„B-Bist du aus der Parallelklasse?“, murmelte sie.

„Nein“, lächelte er.

„Aus welcher Klasse bist du dann?“, erfragte sie vorsichtig.

„Aus keiner. Ich bin kein Schüler und gehöre auch nicht zu dieser Schule.“ Sie starrte ihn verdutzt an.

„Und… Wer bist du dann und was machst du hier?“ Er seufzte kurz.

„Das lässt sich schwer erklären. Jedenfalls bin ich kein Schüler und auch kein Lehrer. Genau genommen bin ich nicht einmal menschlich. Ich trage nur die Haut eines Menschen“, erklärte er heiter klingend. Ihre Gesichtszüge erstarrten.

„Aha…“, entgegnete sie und widmete sich abermals dem Türgriff.

„Du glaubst mir nicht, stimmt’s?“ Wortlos rollte sie mit den Augen.

Ich soll dir glauben, dass du... Was? ein Geist, Dämon, sonst was bist? Was hast du denn eingeworfen?, ging es ihr durch den Kopf. Sie verfluchte diese beschissene Tür dafür, verschlossen zu sein. Er seufzte erneut, dieses Mal lauter. Kat sah ihn über ihre Schulter an.

„Ich würde es dir ja beweisen, indem ich dir meine wahre Gestalt offenbare… Aber ich fürchte, dass würdest du nicht verkraften. Vor Furcht würde dein kleines Herz einfach aufhören zu schlagen“, entgegnete er schulterzuckend.

„Sicher…“, erwiderte sie resigniert.

„Ich habe eine Idee! Die letzte Kabine. Die Kabine, aus der ich trat“, begann er und deutete mit dem rechten Zeigefinger auf besagte Kabine.

„Was ist damit?“

„Schau selbst nach!“, grinste er und trat beiseite.

Zögernd bewegte sie ihre Beine. Einen Fuß vor den anderen setzend, überkam sie ein mulmiges Gefühl. Irgendwie artete das Ganze aus. Und zwar in eine sehr merkwürdige und unheimliche Richtung. Sie hatte Angst. Vor der letzten Kabine stehend, stieß sie mit der rechten Hand die Tür auf. Langsam schwang diese auf und offenbarte eine weibliche Schülerin auf dem Toilettendeckel sitzend. Blutüberströmt. Ihre Augen waren weit aufgerissen, als wäre das Letzte, was sie sah, etwas absolut Abscheuliches gewesen. Ihr Mund stand offen. Blut lief weiterhin ihr Kinn hinab und es sammelte sich auch in ihrem Mundraum. Zwei ihrer Finger zuckten noch. War sie etwa noch am Leben? Als das Mädchen ihren Arm nach ihr ausstreckte, löste dies Katherines Schockstarre und sie stürmte erneut auf den Ausgang zu. Mit aller Kraft schmiss sie sich gegen die Tür, hämmerte mit ihren Fäusten dagegen und schrie lauthals um Hilfe.

„Hilfe! Hilfe!“, kreischte der Gigolo spaßend und erhobener Hände mit. Sie hielt inne. Unter Tränen sah sie ihn an.

„Deswegen bin ich doch hier, Kat. Um dir zu helfen.“

„Wie dem Mädchen?“, flüsterte sie. Ihre Stimme klang dünn und heiser.

„Du hast ein komisches Verständnis für Hilfe“, entgegnete er kopfschüttelnd.

„Das war etwas anderes. Ich hab da diese Vorliebe, so ein kleines Laster, verstehst du? Ach, wie könntest du“, kicherte er erneut. Dieses Kichern ging ihr langsam tierisch auf die Nerven. Wie konnte man nur so oft kichern?

„Weißt du, menschliche Zungen sind meine Achillesverse. Sie sind so… deliziös. Es gibt einfach nichts Besseres“, erklärte er und leckte sich über die Lippen.

„B-Bleib weg von mir!“, kreischte sie. Beschwichtigend hob er seine Hände.

„Contenance, Liebes. Wie ich bereits sagte, bin ich hier, um dir zu helfen. Schließlich hast du nach Hilfe geschrien. Ich bin nur deinem Ruf gefolgt.“

„Was für einem Ruf? Was faselst du da?!“, schrie sie aufgebracht.

„Ich will nicht mehr! Das soll enden. Einfach alles enden. Ich will, dass sie alle sterben. Jeder Einzelne soll dafür bezahlen, was er mir angetan hat. Sie sollen einfach alle verrotten!“, wiederholte er energisch.

„Kommt dir das bekannt vor?“

Jetzt verstand sie nichts mehr. Wobei es keinen Unterschied zu vorher machte. Ihr Verstand hatte ab dem Moment ausgesetzt, in dem sie das Mädchen sah.

„Uns erreichen nur selten Wehklagen und Worte wie diese, musst du wissen. Du solltest dich geehrt fühlen“, erklärte er händereibend.

„Nur ausgesprochen starke, abgrundtief schmerzerfüllte und die sehnsüchtigsten Wehklagen dringen bis in unser Gehör. Und selbst dann entscheiden wir, ob und wem wir unsere Hilfe anbieten.“

Katherine ging in die Knie. Das war unvermeidlich. Ihre Beine zitterten so heftig, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen war.

„Das ist ein Traum, nicht wahr? Ich bin eingeschlafen und träume“, versuchte sie sich selbst zu beruhigen.

„Hoffentlich ist es einer der düsteren Sorte. Ein richtig guter Alptraum. Komm schon, Kat! Du wolltest es doch. Du willst Rache. Nimm mein Hilfsangebot an und räche dich nach Herzenslust an jedem Einzelnen!“

Sie dachte nach. War dabei, ihre Gedanken zu ordnen. Ja, sie wollte das. Das konnte sie nicht leugnen. Ungläubig sah sie zu ihm auf.

„Lass uns diesen Pakt schließen!“ Er reichte ihr die rechte Hand. Zögernd nahm sie diese und er half ihr auf die Beine zu kommen.

„Okay…Was willst du dafür?“, erkundigte sie sich gefasster. Vernunft war bei ihr nicht länger zu finden. Wie lange und wie oft hatte sie sich Rache gewünscht? Sie wollte einfach nur, dass es endete. Allmählich ließ sie ihre finstere Seite das Steuer übernehmen.

„Also. Ich habe genau die Richtigen für diesen Job“, sagte er lächelnd.

„Die Richtigen? Du machst es nicht selbst?“

„Ich? Nein. Ich bin nur der Vermittler… eine Art… Geschäftsmann.“

„Und wer sind die Richtigen?“, erkundigte sie sich neugierig.

„Gemach, Liebes. Zuerst die Formalitäten“, entgegnete er.

„Also. Ich habe zwei ‘Ungeheuer‘ für diesen Job vorgesehen. Wir handeln mit Lebenszeit, nicht mit Seelen, wie so viele immer annehmen“, erklärte er kopfschüttelnd.

„Lebenszeit? Wie viel denn?“

„Ruhig Blut. Ich erkläre es dir. Ich kann deine Lebenszeit sehen. Ich sehe bis auf die Sekunde genau, wie lange dir noch bleibt, aber ich kann diese Information nicht preisgeben. Vorschriften, du verstehst? Du könntest also dreißig Jahre haben, sechzig Jahre oder nur noch eine Woche. Bei zwei Ungeheuern würde dir die Hälfte deiner verbleibenden Lebenszeit berechnet werden, plus eines kleinen Bonus für mich“, zwinkerte er ihr zu.

Sie dachte kurz nach. Beschissener Deal, doch dieses Leben war noch um einiges beschissener.

„Weshalb sind denn gleich zwei notwendig?“, warf sie ein.

„Nun, es ist ein großes Gebäude mit vielen Schülern, nicht?“

„Aber…es müssen doch nicht gleich alle sterben, das…!“, wand sie erneut ein, hielt jedoch inne. Oder doch? Es hatte sich nie jemand für sie eingesetzt. Alle hatten weggesehen. Selbst die kleinen Hosenscheißer aus den unteren Stufen behandelten sie wie Dreck. Doch. Es musste sein.

„Was sagst du? Sind wir im Geschäft?“, fragte er hoffnungsvoll. Sie hatte einen Entschluss gefasst.

„Sind wir“, entgegnete sie noch etwas skeptisch.

„Wunderbar“, flüsterte er. Der Gigolo beugte sich zu ihr herunter und küsste sie.

„Damit wäre der Pakt besiegelt und die Bezahlung habe ich dankend erhalten“, nickte er ihr lächelnd zu.

Als wollte er ihr jemanden vorstellen, streckte er den rechten Arm aus. Ihr Blick folgte der Bewegung und blieb schließlich an einer Kabinentür haften.

„Ungeheuer Nummer 1 ist… Trommelwirbel! Der Weber!“, rief er heiter und mit diesen Worten öffnete sich die Tür unheilvoll langsam. Heraus trat eine magere, groteske Gestalt. Ihre Haut schien einfach übergeworfen. Sie schien zu groß, sodass man sie am Hinterkopf straffziehen musste, und bei genauerer Betrachtung sah sie es. Sie sah, dass es tatsächlich nicht seine eigene Haut war. Wie bei einer Maske waren Löcher für die Augen, die Nase und den Mund ausgeschnitten. Er war völlig haarlos. Die Augen waren pechschwarz und er trug einen dunklen, alten Smoking. Schlurfenden Schrittes stellte er sich neben den Gigolo. Sein Lippenfleisch fehlte und die Zähne schienen keine menschlichen zu sein. In einem verstörenden Takt klapperte er mit diesen. Das Geräusch war angsteinflößend.

„Sein Garn ist… nun ja, sehr speziell“, erklärte er lachend. Sie erwiderte nichts. Fassungslos starrte sie auf die Zähne des Webers.

„Hinter Türchen Nummer 2 ist… Kommt schon, Trommelwirbel! Die Verfressene!“, rief er wie der Moderator einer Gameshow. Sogleich öffnete sich die nächste Tür und heraus trat eine große Frau. Sie war in eine Art schwarzer Umstandskimono-Robe gekleidet. Die Robe saß locker und reichte ihr bis zu den Knien. Ihr langes, schwarzes Haar hing in fettigen Strähnen herab. Das Gesicht war kreidebleich. Ihr waren die Augen zusammengenäht worden und auch die Lippen waren vernäht, sodass sie weder sprechen noch sehen konnte. Verkrustetes Blut zierte ihre blasse Haut. Ihr Bauch war gewölbt, ähnlich wie der Bauch einer Schwangeren, nur dass diese Kugel nicht wohlgeformt war. Sie sah seltsam aus. Unförmig oder gar deformiert. Dunkles, getrocknetes Blut klebte an den Innenseiten ihrer Beine, dies sah man besonders, wenn sie sich bewegte. Auch sie gesellte sich zu dem Gigolo.

„Gut. Das wäre meine Auswahl. Sobald wir durch diese Tür gehen, unterstehen sie deinen Befehlen“, verkündete er. Katherine war sprachlos. Stille breitete sich aus, einzig das Zähneklappern des Webers war zu hören.

„Sie…sollen sie einfach töten“, äußerte sie etwas verwirrt.

„Ja. Das werden sie auch, aber lass mich dir einen Tipp geben! Weise den Weber, sobald wir die Toilette verlassen habe,n an, seinen ‘Garn‘ zu spinnen!“ Er betonte das ‘Garn zu spinnen‘ eigenartig. So als wäre es ein Code für irgendetwas. Sie nickte wortlos.

„Das wird ein Spaß, ich kann es kaum erwarten“, lachte er erfreut.

„Du kommst mit?“

„Selbstverständlich. Menschliche Zungen sind eine Delikatesse und hier gibt es mehr als genug, das lasse ich mir doch nicht entgehen“, säuselte er beinahe verträumt.

So begaben sie sich schließlich auf den Flur. Sie befanden sich im Erdgeschoss, über ihnen gab es noch zwei Etagen. Und außerhalb befand sich die Turnhalle, in der sich in diesem Moment höchstwahrscheinlich ebenfalls Klassen aufhielten. Da es so viele Klassen gab, hatten immer gleich mehrere gemeinsam Sportunterricht. Kein Schüler befand sich auf dem langen Flur. Sie waren alleine und es war ruhig. Sie sah den Weber zu ihrer Rechten an. Das Zähneklappern trieb sie beinahe in den Wahnsinn, doch schon bald würden panische Schreie, erbärmliches Flehen und die Geräusche reißenden Fleisches dieses ersetzen. Und tatsächlich sehnte sie sich so sehr danach. Sie wollte all diese Laute um sich herum vernehmen. Sie wollte in all diese Gesichter schauen und höhnisch dabei grinsen.

„Weber“, begann sie, ihn beobachtend. Dieser drehte zähneklappernd langsam seinen Kopf in ihre Richtung.

„Spinne deinen Garn!“, wies sie ihn emotionslos an. Er begann schon gleich damit, seine Hände zu bewegen. Anfangs glichen diese Bewegungen noch denen eines Dirigenten, doch bald wurden sie wilder, unkoordinierter, und er verkrampfte seine knochigen Finger in unnatürlichen Winkeln. Alles begleitet durch den Laut seiner zusammenschlagenden Zähne. Dann stoppten seine Bewegungen abrupt und erneut schlich sich Stille ein. Seelenruhig zog sich Kat die Kapuze ihrer Jacke über und warf dem Gigolo einen Blick zu.

„Dann wollen wir die Hühner mal aufscheuchen.“ Er klatschte laut in die Hände.

„Gib der Verfressenen den Befehl zur Ernte!“ Sie nickte.

„Verfressene…“ Sie sah die Frau an. Diese rührte sich nicht.

„Hol die Ernte ein!“, befahl sie ihr.

Katherine wich erschrocken zurück, als die Verfressene ihren Kimono öffnete und ihren Bauch entblößte. Die weniger runde Murmel war in der Mitte gespalten. Der Spalt öffnete sich schmatzend zu einem runden Schlund. Eine schwarze Substanz floss heraus. Es pulsierte. Es pulsierte immer stärker und es schien, als müsse sie sich übergeben. So weit hergeholt war die Beschreibung vermutlich auch nicht. Eine schwarze Masse wurde ‘ausgespuckt‘ und klatschte schmatzend auf den Boden. Die Masse begann sich zu formen und schnell erkannte man lange, groteske Gliedmaßen. Der Körper war schmal und drei deformierte Klumpen, die wohl Köpfe sein sollten, schaukelten hin und her. Überall klebte diese schwarze Substanz. Weitere dieser dunklen, schmierigen Kugeln wurden ausgespuckt und entfalteten sich ebenfalls. Binnen weniger Sekunden zählte sie ungefähr zehn dieser Dinger am Boden.

Nachdem sie sich alle geformt hatten, verstreuten sie sich blitzschnell kriechend in alle Richtungen. Katherine beobachtete einige dabei, wie sie Türen zu Klassenräumen im Erdgeschoss öffneten und hineinkrabbelten. Sie standen nicht, nein. Ihre ‘Arme‘ waren so unnatürlich gestreckt, dass sie die Türen mühelos vom Boden aus öffnen konnten. Die Verfressene hielt die Robe geöffnet, die ganze Zeit, als erwarte sie die Rückkehr ihrer Kinder. Es dauerte nicht lange, da waren bestialische Schreie zu hören. Sie kamen von überall. Hallten durch die Flure und Gänge. Die ersten Schüler sprinteten panisch aus den Räumen. Nach und nach wurden es immer mehr und mehr. Es war das reinste Durcheinander. Alle rannten um ihr Leben, bettelten, lagen am Boden, ob tot oder lebendig, und stürmten natürlich auf den Hauptausgang zu. Lautes Raunen drang zu Kat durch und die Verwunderung sowie die blanke Panik der Menschenansammlung vor dem Ausgang ließ sie aufschauen.

„Was ist das für ein Zeug?!“, schrie eine weibliche Schülerin verwirrt.

„Die Tür lässt sich nicht öffnen! Aua! Ich hab mich daran geschnitten!“, kreischte eine weitere.

„Was sind das für Fäden?! Sie sind überall! Ah, Scheiße!“ , rief ein männlicher Schüler, der bei dem Versuch, die Fäden zu lösen, einen seiner Finger einbüßen musste.

Dieses laute Geschrei. Alle durcheinander. Einer lauter als der andere. Das machte keinen Spaß mehr. Sie ignorierten Kat und ihre Begleiter ja völlig. Sie seufzte genervt.

„Hört! Hört!“, brüllte der Gigolo neben ihr in einer unnatürlichen Lautstärke. Es funktionierte. Jeder Anwesende drehte sich zu ihnen um, jeder sah sie an, jeder nahm sie nun wahr. Erneutes Entsetzen machte sich unter den Schülern breit, als sie den Weber und die Verfressene betrachteten, doch der Gigolo unterband ein erneut aufkommendes Durcheinander schreiender und kreischender Schüler.

„Ladys und Gentlemen, Schüler und Lehrer dieser Schule! Ich bitte um eure Aufmerksamkeit!“, rief er lautstark. Noch mehr Schüler und Lehrer rannten panisch die Treppe hinab, drängten sich aneinander und stießen sich sogar gegenseitig die Stufen hinunter. Sie hielten jedoch inne, als sie das Trio erblickten. Von oben hörte man nach wie vor Geschrei. Lautes Poltern, das klirrende Geräusch brechenden Glases und verzweifeltes Geheul. Klopfende, feuchte Laute ertönten. Erneutes Geschrei auf der Treppe, als sich die Kreaturen der Verfressenen an den Personen vorbeidrängten. Einige von ihnen zogen menschliche Körperteile mit sich, die sie in den geöffneten Schlund am Bauch der dämonischen Frau warfen. Dann formierten sich die kriechenden Wesen um ihre Mutter.

„Ich bitte nochmals um eure Aufmerksamkeit!“, rief der Lockenkopf erneut.

„Was zur Hölle ist hier los?! Wir wollen hier raus!“, unterbrach ihn eine männliche, stämmige Lehrkraft.

„Ich sagte: Schnauze!“, schrie Gigolo energisch.

„Ich werde an dem Nächsten, der es wagt, mich zu unterbrechen, ein Exempel statuieren!“

Kurz verstummten alle, doch dann brüllte derselbe Lehrer erneut etwas und auf den Lippen des Gigolos breitete sich ein unheimliches Lächeln aus. Ohne zu zögern begab er sich zu diesem Mann. Niemand wagte es, ihn aufzuhalten, niemand stellte sich ihm entgegen. Gigolo packte den Mann an der Kehle und schnürte ihm die Luft ab. Dann griff er in seinen Mund, umfasste dessen Zunge und zog genüsslich an ihr. Entsetzt beobachteten alle, wie die Zunge immer länger und länger wurde, bis sie schließlich mit einem abscheulichen Geräusch riss. Er ließ den Mann los und widmete sich der Delikatesse zwischen seinen Fingern. Der Lehrer röchelte, gurgelte und dunkelrotes Blut suppte die Stufen hinab. Jeder war zu einer Salzsäule erstarrt. Die Kleinen unter ihnen weinten bitterlich. Gigolo ließ sich die Zunge schmecken, während er zurücklief.

„Also… Noch jemand die große Klappe?!“, wollte er wissen. Niemand erwiderte etwas. Sie gehorchten aus Furcht vor demselben Schicksal.

„Schön. Wo war ich? Ach ja…“

„Für alle, die diese junge Dame nicht kennen. Das hier ist Katherine!“, stellte er sie dem Publikum vor.

„Ich bin mir sicher, die meisten von euch kennen sie. Die Meisten werden sie aber vermutlich nicht unter ihrem Namen kennen. Was hätten wir da? Ah… Ihr werdet sie unter Grudge-Girl, Fettsträhnchen, Asi-Braut und vielen anderen Bezeichnungen kennen!“

Nun starrten sie alle Kat an. Sie lächelte boshaft.

„Und diese beiden wundervollen Gestalten…“ Er breitete beide Arme aus und präsentierte den Weber zu seiner Rechten und die Verfressene zu seiner Linken.

„Diese Beiden sind ihre Diener! Diese Beiden gehorchen einzig ihren Befehlen und sie sind hier, um euch eure gerechte Strafe zukommen zu lassen, ist das nicht wunderbar?!“

„Strafe wofür?!“

„Ich kenne die nicht mal!“

„Das ist ein Alptraum, bitte lass mich aufwachen!“

„Ich will hier raus! Öffnet diese verdammte Tür!“

„Ich will zu meiner Mama!“,

schrieen alle durcheinander. Kat blickte auf die Masse und erspähte eine ihr bekannte Person. Sie lief auf den Mann zu. Als er sie erblickte, wich er zurück. Er rutschte auf Blut aus, konnte jedoch schnell wieder Halt finden.

„Lass mich in Ruhe!“, schrie dieser.

„Also erkennen Sie mich? Wissen Sie noch, wer ich bin, Herr Marvet? Oder war es doch Marcet?“, fragte sie frech lächelnd.

„Was willst du von mir?!“

„Rache“, antwortete sie ruhig.

„Fahr zur Hölle, du Monster!“, brüllte er aufgebracht und holte mit seiner rechten Faust zum Schlag aus. Sein Angriff drang nicht durch. Kat sah auf die Fingerknöchel vor ihrer Nase.

„Gewalt gegen Schutzbefohlene ist nicht cool“, flüsterte sie bedrohlich.

Dünne Blutspuren begannen die Hand, dann das Handgelenk und schließlich den Arm zu zieren. Kaum sichtbare, glitzernde Fäden waren zu erkennen, als die Hand in ihre Einzelteile zerlegt wurde. Dasselbe geschah auch mit seinem Arm. Marvet-Marcet schrie vor Schmerzen auf. So einen Schmerzensschrei hatte sie noch nie gehört. So viel Blut. Dieses Gefühl, als die Tropfen seines roten Blutes ihre Haut berührten, es war so berauschend. Sie brach in lautem Gelächter aus. Weiterhin lachend, streckte Kat ihren linken Arm in die Höhe.

„Ihr dürft beginnen!“, befahl sie ihren Dienern und ballte die Hand zur Faust.

Der Weber begann zähneklappernd erneut mit seinen Handbewegungen, während sich die Kreaturen der Verfressenen auf ihre Opfer stürzten, und auch die Verfressene selbst setzte sich langsam in Bewegung. Beim Gehen hob sie entweder ganze Körper oder nur Gliedmaßen toter oder gar lebende Menschen vom Boden auf und stopfte diese in die Öffnung ihres Bauches. Gelegentlich schnappte sie sich sogar welche, die an ihr vorbeirennen wollten, und führte die noch schreienden und zappelnden Kinder oder gar Lehrer in den Schlund. Ihre kleinen Kreationen zerfleischten Unzählige. Der Weber setzte sich irgendwann ebenfalls in Bewegung und sorgte dafür, dass die fliehenden und panischen Menschen in ein Netz seines unsichtbaren Garns rannten. Das Resultat war äußerst ungesund. Die sauber zerteilten Personen sammelte wiederum die Verfressene ein. Natürlich ließ sich Gigolo seine heißgeliebten Zungen nicht entgehen. Er benahm sich wie ein kleiner Junge an Weihnachten.

So viel Blut. Die Wände der Klassenzimmer, die Wände der Flure, ja sogar die Decke. Alles war in dieses Rot getaucht. Sie spazierte durch die nun rutschigen Gänge. Kat ließ sich treiben. Immer mehr tauchte sie in die tiefen Abgründe ihrer eigenen Seele ein. Sie stolzierte triumphierend. Unter ihren Sohlen zerplatzten Gedärme. Herrlich. Sie nahm die Treppe in die nächste Etage. So viele tote, verunstaltete, ausgeweidete und massakrierte Schüler wie Lehrer. Wohin sie sah. Es gab kein Entkommen. Vorsichtig stieg sie über Leichen. Ein abgetrennter Kopf rollte die Treppenstufen an ihr vorbei. Vielleicht versteckten sich noch welche? Sie hoffte auf ihre Mitschüler zu treffen.

Oben stand sie vor einem zerbrochenen Fenster. Verschiedene Werkzeuge lagen auf dem Boden verteilt. Sie beugte sich nach vorne und sah hinaus. Sie lächelte sanft. Augenscheinlich hatten einige es geschafft, des Webers Fäden zu durchtrennen, und in ihrer Verzweiflung waren sie aus dem Fenster gesprungen, unwissend, dass der Weber auch außerhalb sein Garn gesponnen hatte. Zumindest erreichten sie den Boden, wenn auch nicht im Ganzen, dachte sie befriedigt. Die nächste Stunde fand im Raum 2.01 statt und zu eben diesem begab sie sich. Die Tür stand weit geöffnet und eine Blutspur zog sich aus diesem den gesamten Gang entlang, als hätte man jemanden hinter sich her gezogen. Kat streckte den Kopf in den Raum und ließ den Blick durch diesen schweifen. Als sie ihn schließlich betrat, hörte man ein überraschtes Atmen, als hätte sich jemand erschreckt.

„Ist hier jemand?“, fragte sie in den leeren Raum. Sie war darauf bedacht, fürsorglich zu klingen, musste aber ein Lachen unterdrücken. Als sie keine Antwort erhielt, prüfte sie jeden Tisch und jeden Stuhl. Einige der Tische waren umgestoßen. Das Lehrerpult ebenfalls. Überall Blut. Die Fensterscheiben waren über und über mit tiefrotem Blut beschmiert. Dies ließ den Raum noch abschreckender wirken, als er ohnehin war. So sah mittlerweile vermutlich jeder Raum aus. Am Ende des Raumes waren zwei Tische ähnlich einer Barrikade aufgereiht. Zielgenau eilte sie auf diese zu und lugte über den Rand.

„Hi“, flüsterte sie unheilvoll, als sie in die Gesichter des sichtlich verstörten Transi und Miststück 1 sah, die sich ängstlich an ihn klammerte.

„Was willst du?“, erfragte Transi vorsichtig.

„Wir haben alles gehört!“, kreischte seine Partnerin.

„Na dann brauch ich ja nicht so zu tun, als würde ich auf eurer Seite stehen, nicht wahr?“, lachte sie spöttisch. Langsam näherten sich klopfende, feuchte Geräusche. Die schleimigen Kreaturen kamen. Je lauter der nahende Tod kam, desto verzerrter wurde Kats grinsender Ausdruck.

„Nein, nein, nein! Bitte nicht!“, kreischte Miststück 1 und drückte Transi noch fester.

„Doch, doch, doch!“, lachte Katherine in einer schrillen Tonlage.

Lange, schmierige Finger tasteten die Tischkante ab. Langsam krabbelten sie dahinter. Die angsterfüllten Schreie ihrer beiden Mitschüler hallten durch die Flure. Katherine drehte sich im Kreis. Sie vernahm das Geräusch brechender Knochen und widerliches Schmatzen.

„Nehmt euch alles! Reißt sie auseinander!“, stieß sie glücklich hervor.

Erneut zogen sich die Kreaturen mit jeweils einem Souvenir zu ihrer Mutter zurück und auch Kat verließ den nun wirklich leeren Raum. Sie spazierte summend durch den Gang. Vereinzelt nahm sie noch entferntes Wimmern und eilige Schritte auf den Treppen wahr, doch auch diese Laute verstummten innerhalb kürzester Zeit. Alle tot. Egal in welchen Raum sie sah, keiner war mehr am Leben. Alle tot.

Tot.

Tot.

Tot.

Am Ende des Ganges traf sie auf Gigolo, der eine transparente Box, prall gefüllt mit Zungen, in den Händen hielt.

„Hast du Spaß?“, wollte er wissen. Sie lächelte glücklich.

„Und wie. Aber wir müssen uns noch um die in der Turnhalle kümmern“, stellte sie aufgeregt fest.

„Das ist bereits erledigt, Liebes. Der Weber hat sämtliche Fluchtmöglichkeiten verhindert und die komplette Turnhalle ‘gesichert‘. Die armen Tölpel werden vermutlich nicht einmal bemerkt haben, was sie da erwischt hat. Pardon, durchtrennt“, kicherte er.

„Das war’s. Es ist keiner mehr übrig. Alle außer dir sind tot“, verkündete er stolz.

„Und was jetzt?“

Genau. Was war jetzt? Wie sollte es jetzt für sie weitergehen? Sie hatte ihre Rache bekommen.

„Können wir nicht noch weitermachen?“, erkundigte sie sich. Gigolo verneinte.

„Die Zeit ist abgelaufen, Schätzchen.“

„Zeit? Moment, es gibt auch außerhalb dieser Schule Menschen, an denen ich Rache üben will“, wand sie energisch ein.

„Nein. Die Zeit ist um. Was glaubst du, weshalb dieses Massaker hier so schnell vorbei war? Ich habe das Limit doch erwähnt?“, erklärte er und kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Nein, hast du nicht!“

„Hab ich nicht? Tatsächlich? Verzeihung, mein Fehler. Ich mache den Job noch nicht so lange“, gestand er.

„Das war’s?“, erfragte sie ungläubig.

Gigolo nickte zustimmend. Er näherte sich ihr und sah ihr tief in die Augen. Dann beugte er sich zu ihr hinunter und küsste sie erneut.

„Eine Sache noch“, begann er, nachdem er von ihr abgelassen hat. Sie sah ihn verwundert an. Er legte behutsam die Box ab. Seine rechte Hand schnellte an ihren Kiefer. Ihre Augen weiteten sich.

„Mein Bonus.“

Mit diesen Worten öffnete er ihren Mund. Sie wehrte sich mit all ihren Kräften, doch vergebens. Seine Finger bohrten sich an ihren Zähnen vorbei. Sie spürte, wie sich die kalten, blutigen Finger ihrer Zunge näherten. Er umfasste sie und begann zu ziehen.

„Weil du es bist, mache ich auch ganz schnell“, wisperte er.

Mit einem schnellen Ruck entledigte er sie ihrer Zunge. Blut lief ihr in Strömen übers Kinn und tropfte auf den bereits besudelten Boden. Sie sackte in sich zusammen, als er von ihr abließ. Sie führte ihre zitternden Finger an ihren Mund. Ihr wurde kalt. Immer kälter. Katherine sah, wie Gigolo pfeifend verschwand. Ihre Sicht verschlechterte sich zunehmend. Alles vor ihren Augen begann zu verschwimmen. Mehr und mehr, bis sie in die Bewusstlosigkeit abdriftete.






Das schrille Läuten der Schulglocke ließ sie hochschrecken. War dies das Signal, dass die nächste Stunde begonnen hatte? Schleunigst steckte sie den Pinguin zurück in den Rucksack, öffnete die Tür und drehte den Wasserhahn am Waschbecken auf. Flüchtig wusch sie sich das Gesicht und sah in den Spiegel.

„Du schaffst das!“, ermutigte sie sich selbst. Für einige Sekunden starrte sie in die Augen ihres Spiegelbildes.

„Du bist stark. Du schaffst das. Gib nicht auf!“

Mit diesen Worten sog sie tief die Luft ein und pustete diese geräuschvoll aus.

„Los geht’s!“

Sie wandte sich vom Spiegel ab und begab sich zur nächsten Unterrichtsstunde.


Autor

Dianart18

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