Es ist ein wunderschöner Sonntagnachmittag, und ich sitze daheim und mache Hausaufgaben.
Echt klasse. "Oh Mann, das wird ewig dauern." Ich seufze. Warum muss so etwas immer mir passieren? So viele Strafarbeiten hatte ich noch nie auf. Ich habe solche Lust, in den Wald nahe an unserem Haus zu gehen. Mom ist bei meiner Tante, und mein Dad hatte sich schon lange von ihr getrennt. "Warum eigentlich nicht?", denke ich mir, während ich mir ausmale, wie es wäre, an so einem Tag spazieren zu gehen.
"Ja, tu es", haucht mir eine raue Stimme ins Ohr. "Ich fühle mich so allein, und Mama wird es nicht merken..." Was zum....? Ich drehe mich schnell um und rufe laut heraus: "Wer ist da? Kommen Sie sofort raus!"
Keine Antwort. Natürlich nicht! Das war bestimmt nur Einbildung.
Trotzdem überlege ich, auf die Stimme zu hören. Nach Minuten des hin und her Schwankens beschließe ich, in den Wald zu gehen. Ich schlüpfe also in meine Schuhe und laufe hinaus. Ich renne sofort in den Wald, in den Abschnitt, an dem es zwei Abzweigungen gibt. Ich sehe auf dem Weg dahin immer wieder nebelige Gestalten, die meinen Namen rufen. Seltsam. Aber ich beharre auf meiner Meinung, dass es nur Einbildung ist. Endlich komme ich an der Lichtung an. Doch es sind seltsamerweise drei Abzweigungen.
"Öm... okay, entweder ich brauche dringend eine Brille oder jemand hat den Weg hier her gebeamt." Ich versuche mich verzweifelt aufzuheitern, ohne Erfolg. "Ähm, was war das denn gerade? Oh, wie putzig!" Ein kleines rotes Eichhörnchen huscht an mir vorbei, direkt in die "neue" Abzweigung. Ohne zu zögern laufe ich ihm nach. Es springt auf einen Baum. Ich erwarte, dass es sich putzt, aber es setzt sich auf und schaut mich durchdringend mit seinen roten Augen an. "Warte mal. ROTE AUGEN?! Aaaaargh!"
"Habe keine Angst, du kennst mich doch." Die Stimme von vorhin. Was will sie? "Oh, was ich will? Ich will wieder mit dir zusammen sein. Ich vermisse dich sooo sehr. Bitte komm zu mir!"
Das sind die letzten Worte des Eichhörnchens. Ich habe keine Zeit, nur noch ein Wort zu sagen, denn sein Körper zerfällt zu Staub, nur die Augen bleiben übrig. Diese beginnen pulsierend zu leuchten und heftig zu bluten.
Ich höre einen Knall, die Augen zerplatzen. Ein Schwall Blut spritzt heraus. Alles landet mitten in meinem Gesicht.
"Aaaaaaaaah!! Mach das weg! MACH DAS WEG!!!" Ich beginne hysterisch zu kreischen. Gefühlt ungefähr 30 Minuten lang.
Dann beginne ich mich zu beruhigen. "Okay, ich werde jetzt ganz ruhig. Ich drehe einfach um, gehe nach Hause und mache weiter die Hausaufgaben."
Ich drehe mich um und sacke innerlich zusammen. "Der Weg... e-er ist vollkommen überwuchert", stottere ich.
"Nein, das kann nicht sein. Nein. NEIN!" Ich atmete einmal tief durch. "Okay. Ich werde mich irgendwie durchzwängen." Verzweifelt versuche ich, mich beim Durchzwängen nicht in Dornen zu verheddern.
Unmöglich. Die Ranken winden sich um mich und werfen mich zurück. "Das kann doch nicht wahr sein. Ich muss träumen!"
"Doch, Melissa. Das alles ist wahr, du träumst nicht. Komm doch zu mir. Du hast immer noch Angst. Vor MIR. Vor deiner BESTEN FREUNDIN. Ich bin sehr enttäuscht von dir." Damit verschwand das unbekannte Mädchen wieder im Nebel.
Freunde für immer...[]
"BLEIB DA! ALLES, WAS DU SAGST, IST GELOGEN!" Ich schreie mir die Seele aus dem Leib, wissend, dass sie mich hört. Irgendwas in meinem Inneren sagt mir, dass sie Recht hat. Aber ich will es nicht glauben.
Ich will stark sein. Ich beschließe, den Weg einfach weiter zu gehen. Keine Angst zu haben. Doch je weiter ich gehe, desto schwieriger wird mein Vorsatz. Aber ich wollte nicht weich werden. Ich ignoriere die nächsten sprechenden Eichhörnchen, ignoriere das spritzende Blut. Ich gehe einfach weiter.
Bis ich etwas Weißes sehe. Es ist der Rake. Nur ist er weiß und irgendwie... nebelig. Er sitzt mit dem Rücken zu mir über einer Leiche. Sie hat lange, braune Haare und ist weiblich. Ihre Augen sind weit aufgerissen und ihr Schädel gespalten. Ihr Herz liegt neben ihr in einer Pfütze voll Blut.
Ich unterdrücke einen Brechreiz. Ich kenne dieses Mädchen. Ihr Name ist Julia. Ich erinnere mich an alles. Wir waren beste Freunde, immer und überall zusammen. Eines Tages gingen wir zusammen in den Wald. Wir gingen tiefer hinein als je zuvor. Gerade als wir vor hatten, wieder umzukehren, hörte ich ein tiefes, hasserfülltes Knurren hinter mir. Ich drehte mich um und sah in die Augen des Rake. Dann rannte ich. Ich bekam starkes Seitenstechen, und rannte weiter. ich hörte die qualvollen Schreie meiner Freundin, und rannte.
Ich rannte bis nach Hause, kletterte durch das Fenster und warf mich in mein Bett. Ich schlief sofort ein, aber träumte davon, wie meine Freundin zerfleischt wurde.
Am nächsten Tag fand man ihre Leiche und ich hielt den Mund. Ich sagte nichts über ihren Tod. Nie! Das verfolgte mich meine Kindheitstage über, aber irgendwann vergaß ich alles.
Ich konzentriere mich schließlich wieder auf den Rake. Er dreht sich zu mir um, faucht und hinter ihm taucht meine Freundin auf. Julia schwebt über dem Rake und bricht in böses Gelächter aus.
"Oh, Melissa. Du hast mich vergessen." Sie wird wieder ernst. "Ich werde mich rächen, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass wir wieder zusammen sein können. Für immer!" Sie knurrt dem Rake etwas zu und zeigt auf mich. Bevor ich etwas sagen kann, springt der Rake auf mich zu und bohrt seine Krallen in meinen Brustkorb.
"Bis bald, Melissa! Ich wünsche dir eine schöne Reise."
Das ist das Letzte, das ich vernehme, ehe der Rake mein Herz durchbohrt.
Ihr fragt euch sicher, wie ich das schreiben kann, wo ich doch tot bin. Die Antwort ist einfach: ich bin in einer Art Zwischenwelt, die zwischen Leben und Tod steht, und ich will euch warnen. Lasst nie jemanden, der euch nahe steht, im Stich. Bitte. Ich muss aufhören. Julia kommt.