Deutsches Creepypasta Wiki
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„Geh nicht in den Keller, Mom!“

Es sind diese Worte, die sie aufwecken. Seufzend dreht sie sich auf die Seite und öffnet die Augen.  Ihr Sohn steht vor ihr, im Schlafanzug, zitternd vor Kälte...oder vor Angst? Sie kann es nicht sagen…

„Rob...leg dich wieder hin.“, sagt sie. Doch Rob hört nicht. Wiederholt nur seine Worte: „Geh nicht in den Keller, Mom. Geh nicht nach unten. Niemals.“ Sie seufzt wieder. „Ich gehe nicht nach unten, Rob. Das weißt du doch.“

Das ist die Wahrheit. Sie war seit fünf Jahren nicht mehr im Keller. Seit dem Unfall.

Rob sieht sie noch immer an, mit weit aufgerissenen Augen. Sie würde so viel dafür geben, endlich einmal wieder eine Nacht durchschlafen zu können. Doch seit Monaten steht Rob jede Nacht vor ihrem Bett und weckt sie. Immer mit den gleichen Worten. „Geh nicht in den Keller, Mom.“

Im Traum würde ihr nicht einfallen, nach unten zu gehen. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen will...sie fürchtet sich. Der Schmerz der Erinnerung an das, was im Keller geschehen ist, ist zu stark. Es kommt ihr vor, als wäre es gestern gewesen.

An diesem verhängnisvollen Tag vor fünf Jahren stand sie gerade in der Küche und bereitete das Mittagessen vor. Vollkommen ahnungslos. Dann hörte sie den Knall. Er war unglaublich laut; eine Explosion. Das ganze Haus wackelte. Erschrocken rannte sie los, in den Keller. Was sie sah, schockierte sie. Der Wasserboiler war explodiert. Gerade zu dem Zeitpunkt, in dem sich ihr Mann und ihr Sohn im Keller aufhielten.   Ihr Mann erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Ihr Sohn leidet seitdem aufgrund seiner schweren Kopfverletzungen an einer geistigen Behinderung.

Es ist kein Wunder, dass er sich vor dem Keller fürchtet. Genau wie sie selbst. Während sie versucht, wieder einzuschlafen, denkt sie nach. Wovor genau fürchtet sich Rob? Manchmal sagt er Dinge wie „Es wird dich auch holen, wenn du nach unten gehst!“ Glaubt er, dass im Keller eine Art Monster lebt? Sein Geisteszustand gleicht dem eines Vierjährigen; aber ist er wirklich der Meinung, dass dort unten etwas haust?

Sie weiß es nicht. Und sie selbst? Wovor fürchtet sie sich? Der explodierte Boiler wurde nie repariert. Er funktioniert nicht mehr. Von ihm geht nicht die geringste Gefahr aus. Und der Neue, der eingebaut wurde, ist weitaus moderner; der Installateur, der ihn eingerichtet hat, hat ihr versichert, dass so etwas sich mit der neusten Technik nicht wiederholen kann.

Es ist allein die schmerzliche Erinnerung, die sie daran hindert, nach unten zu gehen. Die Angst davor, dass alles wieder hochkommt. Lange liegt sie so da und denkt nach. Sie kann nicht mehr einschlafen. Die Gedanken halten sie wach. Was soll sie tun? Eigentlich ist sie es leid, immer davonzurennen. Das macht es doch nicht besser. Würde sie endlich einmal wieder in den Keller gehen, dann würde dieses Gefühl der Furcht sicher verschwinden. Sie würde sich nicht mehr so viele, vollkommen verrückte Gedanken darüber machen, was dort unten sein könnte. Und sie könnte Rob mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass nichts da war. Vielleicht würden die Erinnerungen wieder hochkommen. Aber wäre das auf lange Sicht nicht besser, als die ewigen Alpträume und quälenden Gedanken? Bestimmt. Wenn sie nach unten ginge, könnte sie vielleicht endlich wieder ruhig schlafen.

Entschlossen richtet sie sich auf und schwingt die Beine über die Bettkante. Der Boden fühlt sich kalt an unter ihren nackten Füßen, als sie zur Tür und in den Flur geht. Es ist stockdunkel. Durch das kleine Dachfenster fällt kein Licht; anscheinend ist Neumond. Sie tastet an der Wand entlang nach dem Lichtschalter.

Klick.

Die Lampe flammt auf und taucht alles in ein grelles Licht. Ganz vorsichtig, so leise wie möglich, um Rob nicht zu wecken, geht sie die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss ist es totenstill. Auf den glatten Fließen verursachen ihre Füße nicht das leiseste Geräusch. Die Tür zur Kellertreppe liegt am anderen Ende des Flures; eine schwere, alte Eisentür, die sich immer nur mit größter Anstrengung öffnen ließ. Sie erwartet, dass die Tür nach all der Zeit verklemmt ist, doch zu ihrer Überraschung lässt sie sich mit nur wenig Kraftaufwand aufdrücken. Ein modriger Geruch schlägt ihr entgegen. Die grauen Steinwände sind feucht und größtenteils mit schwarzem Schimmel überdeckt. Ein Würgereiz überkommt sie und sie hat Mühe, sich nicht auf der Stelle zu übergeben. Langsam streckt sie ihre Hand nach dem morschen Geländer aus und setzt einen Fuß auf die erste Stufe. Ein Teil von ihr will einfach wegrennen, weit weg, doch der andere Teil möchte, dass diese Angst vor dem Ungewissen endlich verschwindet. Also zwingt sie sich, weiter zu gehen. Nach unten. Vor der Tür zum Kellerraum bleibt sie stehen. Auf einmal ist sie sich nicht mehr sicher, ob sie das wirklich tun soll. Doch jetzt ist sie schon so weit gekommen…

Kurzentschlossen drückt sie die Klinke herunter und öffnet die Tür einen Spalt. Ein widerlicher Geruch schlägt ihr entgegen. Es riecht, als wäre in diesem Raum irgendetwas gestorben und verrottet. Ein Waschbär vielleicht. Oder eine streunende Katze. Widerlich. Trotzdem geht sie nicht zurück. Sie betritt den Raum, tastet nach dem Lichtschalter. Ihre Füße treten in etwas nasses, kaltes. Bestimmt sind die Wasserrohe mit den Jahren undicht geworden. Sie muss sich die Nase zuhalten und durch den Mund atmen, um von dem ekelhaften Gestank nicht ohnmächtig zu werden. Eigentlich ist sie froh, den Tierkadaver, der hier irgendwo vor sich hin rottet, nicht sehen zu müssen, doch genau in diesem Moment findet sie den Lichtschalter.

Klick.

Der Raum wird in ein grelles Licht getaucht...und sie schreit los. Das, was sie sieht, übertrifft ihre schlimmsten Alpträume. Es gibt keinen Tierkadaver in diesem Raum. Der Verwesungsgeruch geht von etwas anderem aus.   Von den unzähligen, verstümmelten Körpern und den dazugehörigen Gliedmaßen.

MENSCHLICHEN Körpern und Gliedmaßen.

Sie ist wie gelähmt vor Angst. Versucht das, was sie sieht, zu begreifen.  Das ist unmöglich. Plötzlich hört sie etwas. Schritte, die sich ihr von hinten nähern. Erschrocken fährt sie herum. Vor ihr steht Rob. Seine Augen sind völlig leer, ohne jeden Ausdruck eines Gefühls.   Sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Will fragen, was zur Hölle hier los ist. Doch über ihre Lippen kommt kein Wort. Stattdessen fällt ihr Blick auf den Gegenstand, den Rob in der Hand hält.

Ein langes, scharfes Fleischerbeil. Bedeckt mit Blut. Vollkommen fassungslos, unfähig, sich zu bewegen, starrt sie ihren Sohn an.   „Er ist verrückt.“, schießt es ihr durch den Kopf. „Er ist...krank!“ Mit aller Mühe gelingt es ihr, die Worte auszusprechen, die ihr auf der Zunge liegen. „Was hast du getan, Rob?“

Er antwortet nicht. Kommt nur wortlos auf sie zu. Ihr ist klar, dass sie keine Chance gegen ihn hat. Er ist einen halben Kopf größer als sie, und viel kräftiger. Sie begreift es nicht. Versteht nicht, wie ihr Sohn so etwas tun kann.

„Warum, Rob?“, krächzt sie leise. Rob lächelt nur. Dann, ganz langsam, gebt er die Hand mit dem Beil.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht in den Keller gehen sollt, Mom.“

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