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Kapitel 20: Kauna – Der Preis für großes Wissen[]

Mit letzter Kraft zog ich mich durch das kreisrunde Loch und kehrte in die Welt zurück.
Augenblicklich drang die Kälte auf mich ein, stach mir mit eisigen Nadeln in die Haut, ließ mich zittern und mit den Zähnen klappern. Wind war aufgekommen. Beißender Frost raubte mir den Atem.
Erschöpft lehnte ich mich an die Felswand neben dem Höhlenzugang, unfähig, auch nur einen Schritt weiterzugehen. Ich war noch nicht in Sicherheit und ich würde hier erfrieren, wenn ich nicht schnell eine rettende Idee hatte.
Mein Handy lag wohl in meinem Zimmer auf dem Nachttisch, ein anderes Telefon gab es hier nicht.
Zu Fuß konnte ich unmöglich den Weg zum Hotel bewältigen, denn für die 10 Minuten Autofahrt bräuchte ich zu Fuß bei guter Konstitution schon sicher eine Stunde. In meiner Verfassung würde ich auf den ersten 100 Metern zusammenbrechen.
Ich erinnerte mich daran, dass Volkers Wagen hier irgendwo stand. Ich musste nachsehen, ob mir das weiterhalf.
Ächzend rappelte ich mich auf und stolperte mit steifer werdenden Gliedern über die Rampe nach oben. Der Wind fegte mir wütend ins Gesicht. Ich schlang die nackten Arme schützend um den Oberkörper und taumelte weiter. Die beißende Kälte lähmte mich beinahe.
Der Wagen stand noch genau da, wo ich ihn beim ersten Mal gesehen hatte, als ich den Archäologen in der Nacht aus der Höhle holen musste.
Schuldgefühle schnürten mir die Kehle zu. Ich hätte ihn schon damals von der Ausgrabung ausschließen müssen! Diese schreckliche Wesenheit hatte ihn entweder getötet oder noch Schlimmeres mit ihm angestellt, dessen war ich mir sicher. Ich war verantwortlich, ich hätte schneller reagieren müssen. Ich war nicht offen genug für das Fremdartige und Unerklärliche gewesen, hatte es zu lange geleugnet, aus Scham, vielleicht den Verstand zu verlieren.
Verdammt, ich hatte Volker im Stich gelassen!
Unter anderen Umständen hätte ich in diesem Moment vielleicht geweint, aber Erschöpfung und Kälte ließen nicht zu, dass ich mich gehen ließ. Mein Überlebenswille brannte noch immer, wenn auch inzwischen auf Sparflamme. Ich schob den Schmerz beiseite und konzentrierte mich darauf, vorwärts zu stolpern.
Der Wagen kam in Reichweite. Ich stützte mich am Rahmen ab und bemerkte, dass die Fahrertür nur angelehnt war. War das nun gut oder schlecht? Das Fahrzeug stand doch mindestens zwei, wenn nicht sogar schon drei Tage hier. Ich wusste es nicht mehr so genau.
Mit zitternden Fingern zog ich am Türgriff. Nichts rührte sich. Sie musste festgefroren sein.
Mit der einen Hand zog ich am Türgriff, mit der anderen versuchte ich in den Spalt zwischen Tür und Rahmen zu gelangen, um mehr Kraft auszuüben. Die tauben Finger versagten mir zusehends den Dienst. Die Tür knirschte, ich zog ruckartig mit aller Kraft, die ich noch besaß, und wurde nach hinten geworfen, als die vereisten Stellen nachgaben.
Schnell krabbelte ich vorwärts, bevor der eisige Wind die Tür wieder zuwarf.
Mit Händen und Knien zog ich mich auf den Sitz und sperrte die Kälte draußen aus.
Im Bereich um die Tür herum hatte sich Raureif gebildet. Ein Zeichen, dass die Tür tatsächlich schon länger offen gestanden hatte.
„Es tut mir leid“, murmelte ich in die Stille. Wütend schlug ich mit beiden Fäusten auf das Lenkrad ein. Wieso musste mir so eine Scheiße passieren?
Was war das da unten? Volker hatte in seiner Beschwörung von der „Großen Mutter“ gesprochen.
Ich kannte die kleinen Idole der fettleibigen Urmutter, kopflos, mit riesigen Brüsten und gewaltigem Hintern. Man vermutete, dass sie als Fruchtbarkeitssymbole verehrt wurden, aber vielleicht irrte sich die Archäologie?
Die Felszeichnungen hatten das Götzenbildnis als Gottheit dargestellt, die Macht über die Tiere und Pflanzen besaß, sie nach Gutdünken gedeihen oder verenden lassen konnte. Wenn es eine Verbindung zwischen der rauen, mahlenden Stimme und dem Götzenbildnis gab, dann war dieses Wesen den Menschen feindlich gesonnen. Das passte zu meinem Empfinden, wenn ich den Steinkreis betrat und immer wieder an ein unsichtbares Gefängnis erinnert wurde. Mein Bauchgefühl hatte mich jedes Mal gewarnt, wenn ich mich dem Götzenbildnis näherte. Warum hatte ich nicht auf meine Intuition gehört?
Wieder hämmerte ich mit den Fäusten auf das Lenkrad.
Ganz einfach. Weil ein Baugefühl kein messbarer Beweis in der Realität war.
Weil ich mich lächerlich gemacht hätte, wenn ich dem Gefühl nachgegeben und entsprechende Maßnahmen ergriffen hätte. Das war doch Wahnsinn! Das konnte doch nicht echt sein. Ein Teil von mir zweifelte immer noch an allem, was ich bis jetzt erlebt hatte. Diese ganze Ausgrabung war bizarrer Irrsinn. Vom ersten Tag an hatte etwas Widernatürliches an meinem Verstand gezerrt und versucht, mich zu brechen.
Aber was war mit Volker? Er musste ungleich heftiger unter dem schleichenden Einfluss gelitten haben, wenn er der fremdartigen Wesenheit so sehr verfallen war, dass er sich schließlich opferte. Ich schüttelte den Kopf.
Eigentlich wusste ich gar nicht, ob Volker wirklich tot war. Ich nahm es an, weil er mir nicht mehr geantwortet hatte. Irgendwie hatte ich den Verdacht, dass er sich im letzten Moment dem gedankenmanipulierenden Einfluss der Wesenheit entziehen konnte, um mich aus dem Steinkreis zu schaffen. Aber was war danach mit ihm passiert?
Meine Finger glitten am Lenkrad entlang, berührten etwas Klapperndes an der Seite und ich bemerkte, dass der Schlüssel noch steckte.
Der Wagen sprang nicht an. Wahrscheinlich war die Batterie leer.
„Das wäre auch zu viel des Guten gewesen“, seufzte ich frustriert.
Was jetzt? Ich musste mich dringend aufwärmen, aber die Heizung funktionierte nicht.
Also kletterte ich über alle Sitze, durchsuchte das Handschuhfach und den Kofferraum. Ich fand eine kratzige Wolldecke, die Volker vermutlich für den Transport sensibler Gegenstände nutzte, damit empfindliche Oberflächen nicht verkratzten. Eingewickelt in die Wolldecke fühlte ich mich ein wenig besser, aber die Kälte hatte mir viel Wärme entzogen, die ich nicht so schnell wieder regenerieren konnte.
Dann fiel mir der Verbandskasten in die Hände und ich widmete mich erst mal dem langen Schnitt auf meinem Unterarm. Eine Weile überdachte ich noch meine Lage, kam aber immer wieder zu dem Schluss, dass das Auto meine beste Chance war. Es wäre Selbstmord, durch die Kälte zu marschieren, und die Erschöpfung forderte langsam ihren Tribut.
So rollte ich mich im Kofferraum zusammen, warf noch die Feuerwehrdecke als zusätzliche Isolation über mich und hoffte, dass man mich bald finden würde.

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Kapitel 21: Raidho – Kosmische Ordnung

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