
Trotz, dass sie sich mit ihren ganzen Körpern fest in den Boden stemmten, rutschten die Männer immer wieder ab. Es war mitten im Sommer, doch seit Tagen hatte es nur geregnet. Als würde sich selbst die Sonne in eine dunkle Ecke des Universums zurückziehen, um sie zu beweinen. Der Regen jedenfalls ließ die trockene Erde des Friedhofs zu einer glitschigen Masse werden. Trotzdem gelang es endlich, den Sarg aus dem Grab zu heben und schnell eilte ich meinen Helfern herbei. Gemeinsam stellten wir die Kiste sorgfältig auf den Boden. Ungeduldig öffnete ich den Deckel, worauf die anderen augenblicklich zurückwichen. Einer nach dem anderen bekreuzigten sie sich und ein mancher murmelte unverständliche Worte in seine gefalteten Hände. Mir wurde schnell klar, was der Grund für die Reaktion der abergläubischen Osteuropäer war: Die Augen der Toten waren geöffnet, ich sah direkt in ihren tiefblauen Augen, wie sie trocken und mit einem matt weißen Schimmer ins Leere starrten.
Während bei meinen Helfern eine angespannte Diskussion auf Rumänisch auftrat, hatte ich nur Augen für das junge Mädchen vor mir. Wie ein Kunstwerk, das aus dem edelsten Marmor gemeißelt wurde, war sie in den Samt gebettet und trug dabei ein wunderschönes weißes Kleid. Ihre Hände lagen, eine über die andere gelegt, auf dem Bauch. Als würde sie geduldig auf etwas warten. Sanft plätscherte der Regen auf ihr blasses Gesicht, es war so rein und wunderschön. Zärtlich streichelte ich über ihre Wangen und lächelte sie dabei vertraut an. Ich konnte einfach meine Augen nicht von ihr ablassen. “Wir wollen einen Aufschlag, 100 Euro!”, drang es in einem ausländischen Akzent an mein Ohr. Anscheinend hatten sie ihre Diskussion beendet und einen von ihnen zum Rädelsführer erkoren. Der Mann weckte mich aus meinem tranceartigen Zustand, sodass ich mich erst langsam und genervt zu ihm drehte. “Wir haben den Betrag bereits ausgemacht, 300 Euro.” Der Rumäne schaute mich mit einem Blick an, der mehr durch Furcht als durch Wut gezeichnet war. “Ihre Augen…das ist kein gutes Zeichen, wir verlangen einen Zuschlag.” Ich ließ meinen Blick über die anderen streichen, ihre Gesichter sahen ähnlich drein. “Nun gut,” sagte ich schließlich “50 Euro für jeden.” Das Krähen der Raben machte sich breit, anscheinend lockte das Aas die Vögel an - das Aas, welches in dem Sarg vor uns lag. Doch sie war mehr als das, sie war eine Schönheit, viel zu jung gestorben. Der Rumäne blickte ängstlich um sich und schien nervöser zu werden. Er drehte sich kurz zu seinen Kollegen und auf ein kurzes Nicken ihrerseits wieder in meine Richtung. “Nun gut!” Sagte er schließlich, zitternd breitete er seine Hand aus. Zum Glück hatte ich für solch einen Fall etwas mehr Bargeld mitgenommen. “Aber erst helft ihr mir das Grab zuzuschütten und sie in den Wagen zu bringen.” Widerwillig nahmen die Männer ihre Schaufeln und legten los. Das Grab sah aus wie zuvor, ihre Angehörigen werden nicht merken, was geschehen war. Wir brachten den Sarg in meinen kleinen Lkw, den ich extra gemietet hatte, und verabschiedeten uns mit der Vergabe des Geldes. Bis auf den einen, der am besten Deutsch konnte. Ihn brauchte ich noch, um den Sarg in meine Wohnung zu bringen.
Dort hatte ich bereits ein Zimmer für die Ankunft meiner Geliebten hergerichtet. Ich wohne in einer wunderschönen neugotischen Villa. Klein, aber nicht minder pompös. Die Wände sind aus altem Sandstein, und die Decke des Gemachs meiner Lieben wird von einem reich verzierten gotischen Gewölbe getragen. Als wir sie schließlich dort aufgebahrt hatten, bat der Raum ein atemberaubendes Bild: Sie lag in der Mitte des Zimmers, auf dem samtigen Rot ihres Sarges ruhend. Um sie herum erhellten Kerzen das Gemach, kein künstliches Licht war nötig. Ich kniete mich vor sie und schaute tief in ihre Augen, während ich zärtlich die kühle Wange streichelte. Endlich waren wir zu zweit, uns konnte nun niemand mehr stören. Als ich daran dachte, fing mein Herz an schneller zu klopfen und ein leichtes Gefühl der Freude machte sich in meinem Bauch breit. Ich konnte es kaum abwarten, sie mit in mein Bett zu nehmen. Am nächsten Morgen wachte ich in ihren Armen auf, sanft lag ihre kühle Hand auf meiner Brust. Vor dem Aufstehen noch nahm ich einen tiefen Zug von ihrem Haar. Der süße Duft von Verwesung drang durch meine Nase und liebkoste meine Geruchsnerven. Dann machte ich Frühstück für uns, denn dieser Tag sollte einer der schönsten in meinem Leben werden. Nach der zweiten Nacht jedoch, geschah etwas Merkwürdiges. Ich wachte wieder in ihren Armen auf, den Rechten auf meine Brust gelegt. Doch als ich die Hand nahm, um sie zu küssen, erstarrte ich: Da waren Kratzer auf meiner Brust. Reflexartig schaute ich unter die rot lackierten Nägel - Blut. Der erste Schock wich schnell der Freude: War in ihr noch Leben? Ich stand auf und betrachtete sie von oben. Hatten sich gerade ihre Augen bewegt? Ich wusste es nicht, ich konnte mir alles einbilden. Irgendwann aber ließ ich meine Augen von ihr los, denn der Hunger übermannte mich schließlich. Ich aß nur eine Kleinigkeit, die Augen stetig auf sie gerichtet. Meine Küche ist neben dem Schlafzimmer, so dass ich bei offener Tür auf mein Bett schauen kann. Es geschah nichts weiter, zumindest nicht an diesem Tag. Wir verbrachten ihn zusammen, bis wir uns abends wieder gemeinsam schlafen legten. Arm in Arm, meine Augen auf sie gerichtet, bis die Müdigkeit schließlich das tat, was sie immer tut.
In der Nacht aber wachte ich von einem unvorstellbaren Schmerz auf. Er kam von meinem Hals und wurde immer stärker, bis ich schließlich wieder ganz schwach wurde und langsam einschlief. Als ich morgens aufwachte, lag meine Geliebte immer noch neben mir, doch diesmal schaute sie mir direkt in die Augen. Ich dachte an die Nacht und es war das erste Mal, dass mir ihr kalter, ausdrucksloser Blick Angst machte. Die Liebe überwand jedoch die Furcht, mein Mund verzog sich zu einem Lächeln und ich gab ihr einen Kuss. War das ein Atem, den ich spürte? Ganz leicht? Ich wusste nicht mehr, inwieweit ich meinen Sinnen vertrauen konnte. Da war wieder dieser Schmerz an meinem Hals. Instinktiv fasste ich an die Stelle, Narben, ich konnte zwei kleine Narben spüren. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf, ich musste dem auf den Grund gehen. Also führte ich meinen Daumen vorsichtig unter ihre Lippe und hob sie hoch: Blut! Da war tatsächlich Blut an ihren Zähnen! Erschrocken sprang ich auf, ließ aber den Blick nicht von ihr. Vorsichtig machte ich einige Schritte zurück, doch stürzte bald darauf schwächelnd zu Boden. Es gelang mir jedoch gerade so, mich an meinem Schreibtisch festzuhalten. Sie jedoch regte sich nicht, sondern blieb wie gefroren liegen, ihre Augen starr auf mich gerichtet, ohne zu blinzeln. Ihr denkt bestimmt, dass ich schreiend weggerannt bin, doch dem war nicht so. Meine Gefühle für das Mädchen, das dort lag, hielten mich bei ihr. Jetzt ist wieder Abend und ich spüre, dass es weitergehen wird. Während ich an meinem Laptop sitze und diesen Beitrag verfasse, hat sie sich aufgerichtet. Erst setzte sie sich auf die Bettkante und inzwischen steht sie in der Ecke meines Schlafzimmers, ihren hungrigen Blick auf mich gerichtet.