Ein sechstes Mal wiederholte der Lehrer den selben Satz, während ich, wie es für mich typisch war, in der letzten Reihe an meinem Handy Nachrichten schrieb. Unserem Lehrer, dessen Namen ich mir nie merken konnte, fiel die mangelnde Konzentration der Schüler nicht auf. Nicht selten war er mit dem Unterricht per se zu überfordert, um seinen Schülern irgendeine Form von Aufmerksamkeit zu widmen.
Der Lehrer wiederholte den Satz ein siebtes Mal. Erst jetzt schenkte ich ihm Teile meiner Aufmerksamkeit. Irgendetwas über griechische Philosophie faselte er. Inzwischen realisierte ich, dass ich mich im Religionsunterricht befand. Die dürre Gestalt vor dem Lehrerpult konnte nicht einmal mit ihrer piepsigen Stimme die erste Reihe unter Kontrolle halten. Mit verschwitzten Händen fasste er sich an seinen gräulichen Rauschebart. Vielleicht hätte seine Frau, ein fettes Warzenschwein, unterrichten sollen. Oft sah man, wie unser Lehrer von ihr in einem schwarzen Polo abgeholt wurde. Das Warzenschwein schrie immer über den kompletten Pausenhof nach ihm, ein Bild für die Götter. Als ich meine Gedanken über das absurde Pärchen schweifen ließ, zwang mich ein Gedanke zu würgen, laut genug, dass es nicht nur allen Schülern, sondern auch der überforderten Lehrkraft auffiel. Ich stellte mir vor, wie unser Lehrer dieses stinkende Ungeheuer fickte. Während mich die gesamte Schülerschaft ungläubig anstarrte, erklang die piepsige Stimme des Lehrers: ,,Oh, wir haben einen Neuen!"
Eine Mischung aus Verwunderung und Schrecken breitete sich in mir aus. Ich strich über mein Gesicht. Meine Haut war weich, mein Bartansatz verschwunden.,, Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass wir einen neuen Schüler haben'', sprach mein Lehrer verwundert. Ich sprang auf und rannte in Richtung Toiletten. Ich verließ, ohne ein Wort zu verlieren, den Klassenraum. Als ich mich in der Jungentoilette wiederfand, schaute ich in den Spiegel. Mein Gesicht war... jung. Ich war ein Kind, vielleicht elf Jahre alt. Mit elf Jahren bin ich damals auf die Realschule gewechselt. Alles konnte nicht real sein... es wirkte wie ein Albtraum. Ich war ich... vor sieben Jahren. Was war mit den ganzen Erinnerungen? Gerade eben noch hatte ich mich mit einer hübschen Schülerin aus der Oberstufe verabredet! Vor wenigen Minuten hatte ich mir noch Hoffnungen gemacht, sie diese Nacht zu vögeln. Ich schaute auf mein Handy. Ein altes Teil von Sagem für 30€. Meine Eltern hatten es mir zu meinem elften Geburtstag geschenkt. Im Fernsehen wurde vermehrt von Kinderschändern berichtet und meine Eltern sorgten sich um mich.
Verstört und fern jeder Vernunft holte ich aus und schlug mit meinem Kopf gegen den Spiegel ... wieder und wieder. Der Spiegel zersplitterte und ich verlor Stoß für Stoß mein Bewusstsein. Als ich aufschaute, befand ich mich in meinem Klassenraum. Ich tippte auf meinem Handy herum, als unser Religionslehrer denselben Satz ein achtes Mal wiederholte. Als ich zu ihm aufschaute, starrte er mich verwundert an und sprach :,, Oh, wir haben einen Neuen!"