Deutsches Creepypasta Wiki
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Schnee und Kälte

Die Haustür schwingt langsam auf und ich atme die kühle Morgenluft ein. Kleine Eiskristalle schneiden mir in die Haut wie Messer, die sich in Fleisch bohren. Ich trete die ersten paar Schritte aus dem Haus. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Ich stapfe durch den Schnee zur Einfahrt und nehme unterwegs eine Schaufel mit. Es ist schwierig sich einen Weg hindurch zu bahnen, da es stockfinster ist. Ich muss in 15 Minuten den Weg fertig geschaufelt haben, damit ich nicht zu spät zur Arbeit komme.

Stark schnaufend, mache ich mich an die Arbeit und wuchte den ersten Haufen Schnee aus der Einfahrt weg. Mein Blick schweift über die leblose Umgebung. Nebelschwaben verleihen dem Wald eine unangenehme und mysteriöse Atmosphäre, während dunkle Wolken das restliche Mondlicht abblocken. Die Straße, zehn Meter vor mir, wurde schon von jeglichem Schnee befreit. Nur die winzige Nebenstraße, die zu meinem Haus führt, ist kaum erkennbar. Erstaunlich wie diese kleine Strecke vor mir meinen Weg zur Arbeit versperrt. Eine unscheinbare Barriere, die mein Wagen nicht überqueren kann.

Ich hebe die Schaufel, um die zweite Ladung Schnee von der Straße zu befördern. Scheinwerfer von einem vorbeifahrenden Wagen blenden meine empfindlichen Augen. Für mehrere Kilometer ist das hier das einzige Gebäude, deswegen ist es selten, hier ein Fahrzeug vorbeifahren zu sehen. Die Straße selbst wird auch nur ab und an befahren. Man hat so gut wie nie einen Grund diese Gegend aufzusuchen.  

Schwer atmend trage ich noch mehr gefrorenen Schnee von der Straße. Wenn ich nicht hier wohnen würde, hätte ich in diesem Wald höchstens einen Körper versteckt. Alles hier scheint nach Tod und Verwesung zu riechen. Die Bäume, die Luft, mein Haus, sogar mein Wagen. Wenn ich dieses Haus nicht von meinen Eltern geerbt hätte, wäre ich schon längst weggezogen. Dieses Haus hat schon bessere Tage gesehen. Die Dielen sind morsch und die Fenster undicht. Von den Wänden bröckelt Putz und das Gebäude scheint mir mit Stöhnen und Krächzen mitteilen zu wollen, das es renoviert werden will. Ich verdecke mit der Hand meinen Kopf, um den starken Wind abzuwehren. Die harten Eisflocken machen meine Aufgabe auch nicht einfacher.

Die Hälfte von der Einfahrt habe ich schon vom Schnee befreit, aber es kommt immer wieder Nachschub. Wenn ich mit einer Stelle fertig bin, taucht wieder ein ganzer Zentimeter Neuschnee auf. Soll ich vielleicht bei meinem Chef anrufen und sagen, dass ich nicht kommen kann? Doch dieser Mann zeigt nie Verständnis für solche Dinge. Also bleibt mir keine andere Wahl als weiterzumachen.

Meine Gliedmaßen lassen sich durch die Kälte schwer bewegen und um mein Gesicht ist ein konstantes Stechen zu spüren. Auch in meinen Kopf macht sich ein unerträgliches Pochen breit. Das Geräusch von knisterndem Feuer ist allgegenwärtig hinter mir zu hören. Doch ich habe mich schon so sehr daran gewöhnt, dass ich es ignoriere. Jedenfalls versuche ich, ihm keine Beachtung zu schenken. In den ersten Nächten, als es mich immer aufweckte, konnte ich vor lauter Wut und Panik nicht einschlafen. Doch jetzt versetzt es mich nur noch in eine tiefe Trauer. In eine Trance, wie das Wiegenlied meiner Frau, das sie zu meinen Kindern sang. Eine Erinnerung, die sich in mein Gehirn eingebrannt hat. Einmal um Mitternacht musste ich sogar zum Friedhof fahren, weil ich sie so vermisst habe. Viel zu sehr vermisst.

Aber trotzdem versuche ich diese Erinnerungen zu ignorieren. Genauso probiere ich auch das Lachen von Kindern, die draußen im Schnee spielen, zu ignorieren. Versuche die liebliche Stimme meiner Frau zu ignorieren. Versuche die Gestalten, die sich im Nebel bilden und fröhlich nach mir rufen zu ignorieren. Meinen Schmerz zu ignorieren. Doch es wird nicht besser.

Jede Nacht scheinen die Stimmen lebendiger und näher zu sein, als die Nacht davor. Das Bild von unserem in Flammen stehenden Haus wird immer deutlicher vor meinen Augen sichtbar. Wie ich den Schnee, der das Feuer nicht löschte, verflucht habe. Ein leichtes Lächeln zieht sich über mein gefrorenes Gesicht. Wie ernüchternd die Schuld auf das Wetter zu schieben, wo es doch offensichtlich ist, dass ich allein an allem Schuld trage. Ich war nicht für sie da.

Ich schiebe noch einen Schneehaufen weg. Schweiß klebt an meiner Kleidung. Bald bin ich fertig. Ich zucke urplötzlich zusammen. Ihre Stimmen flüstern undeutliche Worte in meine Ohren hinein. Doch ich bin nicht mehr so naiv. Ich weiß, das ich nur enttäuscht werde, wenn ich mich umdrehe. Auch wenn sie mich an der Schulter greifen und mich in den Nebel ziehen, ist es nur eine Einbildung in meinem Kopf. Auch wenn sie mein Gesicht zerkratzen, ist mir bewusst, dass es nicht real ist. Egal wie viel Blut auch über meine Augen rinnt. Auch wenn ihre verbannten und verfaulten Formen nach meiner Kehle greifen, lasse ich mich nicht täuschen. Es ist alles nur eine Einbildung. Genauso sehr wie die Stimmen, die ich in der Nacht höre. Wie sie laut und klar nach mir rufen. Nach Hilfe beten. Aber wenn ich meine Augen öffne, sehe ich nur das verrottete Gesicht meiner einst schönen Frau wenige Zentimeter vor mir schweben.

Ich bin jetzt mit den Schneeschippen fertig. Mein ganzer Körper brennt vor lauter Anstrengung und Kälte. Erschöpft reiße ich die Wagentür auf und sacke auf den Fahrersessel. Im Auto macht sich der Geruch von Tod und Verwesung breit. Keuchend rufe ich neben mir: » Schatz, kommen du und die Kinder auch mit in die Stadt? Ich dachte, ihr wolltet heute zu Hause bleiben.«. Es kommt keine Antwort. Ich sehe erwartungsvoll in den Rückspiegel. Zwei entstellte Fratzen starren mit ihren leeren Blicken zurück. Ihre Haut wurde weggebrannt und von den Haaren sind nur noch einzelne schwarze Strähnen zu sehen. Grüner Schimmel wächst auf der linke Wangenseiten, meines ältesten Sohnes. Fast hätte ich es vergessen:

Leichen können nicht reden.

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