Deutsches Creepypasta Wiki
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Milly saß auf ihren Kindersitz in der Küche, ein Glas Milch in ihren kleinen Händen, und wartete geduldig, bis ihre Mutter sich ebenfalls zu ihr an den Tisch setzte, um mit dem Frühstück beginnen zu können. Vater war bereits auf Arbeit, und ihre ältere Schwester hatte das Elternhaus bereits im letzten Jahr verlassen und war zu ihrem Freund in die Stadt gezogen.

Für Milly war dies kein Gedanke, denn sie war erst vier, und das große Landhaus, in dem sie mit ihren Eltern lebte, kam ihr tausendmal schöner vor als die kleine Wohnung in der Innenstadt, welche ihre Schwester mit ihrem Partner teilte.

Neben den beiden saß aber eine weitere Person am Tisch – eine, die Millys Mutter nicht sehen konnte. Der-mit-dem-falschen-Namen hockte, leicht vorgebeugt, auf dem Stuhl, welchen normalerweise Papa besetzte, und starrte das kleine Mädchen mit seinen grossen, weissen Augen stumm und starr an.

Eine ansehnliche Gestalt hatte Der-mit-dem-falschen-Namen in der Tat nicht. Er war so schwarz, dass man nicht mehr als seine Umrisse erkennen konnte. Etwa zwei Meter hoch ragte sein schmaler Körper, so mager, dass er nur aus Knochen und einer sich knapp darüber spannenden Haut zu bestehen schien, über Milly und ihrer Mutter auf, die riesigen, weiß leuchtenden Augen ohne zu blinzeln auf das kleine Mädchen gerichtet. Seine langen Klauen, welche wie Fleischerhaken gebogen und blitzend scharf waren, hatte er, wie ein Mensch seine Hände, höflich auf dem Tisch platziert, das mit unendlich vielen spitzen Zähnen besetzte Maul stand leicht geöffnet.

Doch Milly hatte keine Angst vor ihm.

Als ihre Mutter sich setzte und der Zeitung zuwandte, winkte sie ihm kurz zu, wünschte ihm guten Appetit und begann, ihre Milch zu trinken. Zwar hatte sie Den-mit-dem-falschen-Namen noch nie essen gesehen, aber er musste seine vielen krummen Zähne ja aus irgendeinem Grund haben.

Auch, als Milly von ihrer Mutter in den Kindergarten gefahren wurde, war Der-mit-dem-falschen-Namen da. Er saß auf dem Sitz neben ihr und starrte sie unentwegt an.

Doch Milly hatte keine Angst vor ihm.

Auch während Milly mit ihren Freundinnen spielte, am Mittagstisch saß und an der Strasse wartete, bis ihre Mutter sie mit dem Auto abholte, blieb er stets bei ihr und starrte sie an – ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln. Immerzu stand oder sass er irgendwo und lauerte, ob nun auf dem Dach des pinken Prinzessinnenschlosses aus Holz, welches die Kindergärtnerin diesen Sommer gekauft und ins Spielzimmer gestellt hatte, in einer leeren Ecke des Klassenzimmers, in einem Baum im Garten bei der Rutsche oder auf der Zwischenwand des Klos – Der-mit-dem-falschen-Namen war immer da, und er hörte nicht ein einziges Mal damit auf, Milly anzustarren. Während er dies tat, rührte er nie auch nur einen Muskel. Wie ein unheimlicher Gargoyl ragte er über dem kleinen Mädchen auf.

Doch Milly hatte keine Angst vor ihm – nicht ein einziges Mal.

Bbb

Als ihre Mutter sie an diesem Abend ins Bett brachte, war er ebenfalls da. Wie immer. Reglos stand er in der Ecke ihres Zimmers und wartete, bis ihre Mutter das Licht ausgeschaltet hatte. Dann huschte er ans Kopfende des Bettes und blieb dort die ganze Nacht über stehen, immer ein klein wenig über sie gebeugt. Genauso wie er es jede Nacht zu tun pflegte.

Milly schloss ohne zu zögern die Augen und ignorierte das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie fühlte sich sicher, solange Der-mit-dem-falschen-Namen sie bewachte, und in dieser Sicherheit schlief sie auch ein.

Mitten in der Nacht wachte Milly urplötzlich auf, und sie fühlte sich überhaupt nicht gut. Nackte Angst erfüllte ihren kleinen Körper und liess ihr das Blut in den Adern gefrieren, obwohl sie noch nicht einmal wusste, wovor sie sich eigentlich fürchtete.

Langsam schaute sie hin und her, hielt Ausschau nach Dem-mit-dem-falschen-Namen. Nach seinen weiss leuchtenden, starrenden Augen. Doch ihr Zimmer war düster und leer, keine grosse, schmale Silhouette mit weiss leuchtenden Augen stach aus der Dunkelheit.

Plötzlich wurde Milly eiskalt, viel, viel kälter als je zuvor, und sie wagte nicht mehr, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Wie erstarrt blieb sie in ihren Bett liegen, rührte keinen Finger, und hoffte, dass bald das erste Morgenlicht durch ihr Fenster hereinscheinen und diese bedrohliche, schweigsame Dunkelheit, der sie sich scheinbar ganz allein stellen musste, vertreiben würde.

Mama hatte Den-mit-dem-falschen-Namen immer einen Albtraum genannt, doch dies war er nie gewesen. Dies war der Fehler in seinem Namen. Er mochte fürchterlich aussehen und riesengross sein, doch hatte er Milly niemals auch nur angerührt und ihr stets ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, indem er da war und über sie wachte.

Nun war er fort, und Milly wusste, dass sie in dieser Nacht in viel größerer Gefahr schwebte als je zuvor.

Man sollte sich freuen, wenn man nachts das Gefühl hat, beobachtet zu werden. Denn jene Monster, welche nur starren, sind nicht gefährlich. Sie jagen einem zwar Angst und Schrecken ein, rauben einem den Schlaf und halten einen bis in die frühen Morgenstunden wach, aber haben sie jemals einem Menschen etwas zuleide getan? Sie sind Freunde und Wächter, keine blutdürstigen Bestien, die nichts lieber täten, als einen zu Tode zu beissen, und wollen nur in Ruhe beobachten.

Man sollte sich eher fürchten, wenn sie plötzlich fort sind und man alleine in der Finsternis zurückgelassen wird.

Denn wie scheusslich und bösartig wird diejenige Kreatur, vor welcher sogar Wesen wie sie fliehen, sein?

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