Deutsches Creepypasta Wiki

»Die nächste Ausfahrt verlassen, dann dem Straßenverlauf 30 Kilometer folgen«, weist mich die Stimme aus dem Navi an, als ich mit dem Mercedes SLR McLaren tief raunend über den Asphalt der einsamen Landstraße presche. Unter mir der fein-verarbeitete Ledersitz. Darunter eine Achtzylinderleistung mit 630 PS, vor mir das edle Armaturenbrett mit seiner luxuriösen und handwerklich-einzigartigen Verarbeitung. Und zusammen mit meinem makellosen Kleidungsstil, bestehend aus einem Maßanzug wie auch einer 18-Karat-Golduhr um mein Handgelenk reiht sich dies in die Persönlichkeit jemandes ein, dem die Welt nur so zu Füßen liegt. Mein Sinn für guten Geschmack ist einfach unvergleichlich. Die Frage lautet: Wer bin ich überhaupt? Vielleicht erfährst du es noch im Verlauf des Weges. Vorhin jedenfalls zog noch eine geisterhafte Vorstadt an mir vorbei. Alles schien so verlassen, als hätten dort Dreharbeiten zu einem dystopischen Film stattgefunden, bei dem rollende Heuballen die verlassene Kulisse perfekt unterstrichen hätten. Auch jedwede Straßen waren bis jetzt komplett leer, sodass ich den bisherigen Weg unbeschwert hinter mir lassen konnte. Nichts scheint heute unterwegs, was mich abbremsen oder anderweitig ins Stocken bringen könnte - wer würde sich mir auch schon freiwillig in den Weg stellen? Glaube nicht, dass mich der freie Verkehr heute verwundern würde; vielmehr möchte ich damit den Einfluss andeuten, der mir innewohnt. Ist dir überhaupt klar, wofür ich alles stehe? Ich bin einmalig und unsterblich. Ich bin jemand, für den so etwas wie Zeit keine Rolle spielt. Sozusagen bin ich ein insgeheimer Herrscher über alles Dunkle in der Welt.

»In 50 Metern rechts abbiegen...«

»Jetzt rechts abbiegen und dem Straßenverlauf weiter folgen.«

Manchmal erscheine ich bloß als Schmetterling, dazu imstande, mit wenigen Schlägen meiner Flügel am anderen Ende des Ozeans einen verheerenden Küstentaifun auszulösen. Manchmal bin ich die bösartige Stimme im Kopf, die befielt als heimtückischer Schatten mit der Messerklinge in den Eingeweiden seiner Opfer herumzuwühlen oder hinterrücks eine Person vor den heranfahrenden Zug zu stoßen. Ab und an verstreue ich ein klein wenig Missgunst unter den Leuten, um einfach nur die Ruhe zu stören. Wenn schädliches Suchtverhalten oder der innere Schweinehund um sich greift, bin ich ebenfalls in unmittelbarer Nähe. Heute bin ich als Staatsanwalt aufgetreten, der für einen Kindermörder eine Freiheitsstrafe von nur einem Jahr mit drei Jahren Bewährung einfädelte, statt eines höheren Urteils. Warum tat ich das? Weil ich mit übermenschlicher Befugnis ausgestattet bin. Weil es in meinem persönlichen Interesse steht, solch ein gewissenloses Mordstalent keinesfalls an den Knast zu vergeuden oder der Gesellschaft vorzuenthalten. Aber was war geschehen? Eines Tages spazierte der Angeklagte an einem kleinen Mädchen vorbei. Er drehte sich um, zückte eine Waffe und schoss ihr in den Rücken. Ohne besonderen Grund. Weil ihm schlicht danach war. Das Mädchen starb nicht sofort. Es kämpfte etwa 20 Minuten lang um ihr Leben. In dieser Zeit hatte er sich bereits entfernt, um sich im naheliegenden Supermarkt eine Tüte Chips zu kaufen -, kam jedoch dann wieder zurück... Zusätzlich mit einem Backstein in der Hand. Und was soll ich sagen? Mit mehreren Schlägen beendete er, was er zuvor begonnen hatte. Der Obduktionsbericht beinhaltete stumpfe Gewalteinwirkung als Todesursache. Die Abgebrühtheit des Killers hatte mich durchaus beeindruckt, womit er sich nebenbei erwähnt den späteren Zugang zu meinem Reich gesichert hat. Natürlich ist in Bezug zur Klarheit des Sachbestandes das Urteil nahezu lachhaft, und natürlich wird in manch einer dunklen Kneipenecke gemunkelt werden, dass solch ein lasches Urteil doch nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Doch da ich ein Mann von Welt bin, weiß ich heutzutage genau, dass ich vor allem dort leichtes Spiel habe, wo die meisten Menschen ihr blindes Vertrauen hingeben und nichts hinterfragen. Letzten Endes war nichtsdestotrotz alles nach dem Muster verlaufen, wie ich es vorgegeben habe. Und jetzt, ausgelaugt von einem langen Arbeitstag, konzentriere mich auf die Autostrecke vor mir. Ich schaue aus dem Fenster. Allmählich verändert sich die Straßenlandschaft.

»Die Straße bei der nächsten Ausfahrt verlassen.«

In der Vergangenheit bin ich unzählige Male als großer Weltpolitiker erschienen. Mit Lügen läutete ich glanzvolle Epochen ein und wurde so oft in der Geschichte von applaudierenden Massen in Empfang genommen. Wie oft nannten sie mich einen Friedensbringer, sich dabei letztlich doch immer wieder im Schutt und Asche liegenden Chaos wiederfindend. Ich bin ein Meister der Täuschung und verstreue überall mein Gift. Mit kriegsbilligenden Entscheidungen sowie dem Vorantreiben von Kriegsgütern fernab sicherer Parlamente für zerrüttete Regionen in der Welt vorgesehen, setzte ich stets eine strategisch-kalkulierte Spirale der Gewalt in Gang. Wie ein wachsender Schneeball den Abhang hinunterrollend, würde sich so die unwiderrufliche Eskalation kontinuierlich zuspitzen. Es ist die todbringende Melodie, die ausschließlich im paternalistischen Orchester ertönt, das ich mit dem Taktstock dirigiere. Und wenn sich dann die Leichen bis in den Himmel auftürmen, werde ich all meinen Freudentränen nur so freien Lauf lassen. Man könnte meinen, Mord und Hass zu befeuern, sei meine Aufgabe, nicht wahr? Als sei es meine einzig wahre Bestimmung. Und vielleicht steckt darin sogar ein Stückchen Wahrheit. Vielleicht ist eine Welt unter meiner Existenz einfach unvermeidlich. So unvermeidlich wie sich der vorbeiziehende Straßenrand dort draußen gerade verändert. Es herrscht nun eine kahlgefressene Einöde. Als ob soeben etwas eine verheerende Dürre entstünden ließe. Die Umgebung scheint inzwischen auch in ihrer Farbgebung immer wärmer und rötlicher zu werden. Trostlos wie die Marslandschaft. Hier wächst kein Gras mehr.

»Jetzt links abbiegen. Danach in 200 Metern bei der zweiten Ausfahrt abbiegen.«

»Jaja, Navi... Das weiß ich doch«, sage ich, während ich mir eine Zigarette am Lenkrad anzünde. Eigentlich habe ich überhaupt kein Navigationsgerät nötig, um den Heimweg zu finden, doch sorgt ein modernes Navi nun mal für eine deutliche Erleichterung im Straßenverkehr; eine durchaus nützliche Erfindung der sonst eher unnützen Menschen. Ich schaue wieder auf die trostlose Landschaft heraus, die an mir vorbeiziehend nur noch aus nacktem Felsen zu bestehen- und durch die sich die Straße entlang karger Gebirgsketten in Schlangenlinien ein und auszuziehen scheint. Auffällig sind ab hier zum einen aus dampfenden Felsspalten empor-züngelnde Flammen und zum anderen wahllos-herumliegende oder irgendwo aufgestellte Knochen als abschreckende Signalwirkung für Menschen, die sich zufällig hierhin verirrt haben. Kurze Zeit später ziehen die getürmten Klüfte wie Theatervorhänge links und rechts an mir vorbei; was dafür aber gezackte Bergerhebungen unter einem verdunkelten Himmel im fernen Horizont – düster und bedrohlich wie Saurons Reich Mordor aus „Der Herr der Ringe“ - ins Bild rücken lässt.

»Jetzt dem Straßenverlauf 30 Kilometer lang folgen.«

Ich drücke ein wenig mehr aufs Gaspedal, um gen Horizont vorzupreschen, wobei sich in der Ferne ein Tor gewaltigen Ausmaßes vor mir abzuzeichnen beginnt. Bevor ich zu diesem gelange, muss ich jedoch vorerst einen Kreisverkehr mit der Knochenskulptur einer einstig-unheimlichen Kreatur in dessen Mitte passieren. Auf dem Asphalt bis dahin besteht jenes Umfeld außerhalb meiner Windschutzscheibe aus nichts anderem als schwarzen Vulkangestein, sich aufbäumenden Flammen oder abgenutztes Gerippe. So manch humanoides Skelett spaziert sogar frei herum: Es sind die „Verdammten”. Menschen, die sich im Leben für krumme Wege entschieden und willenlos waren und deshalb für alle Ewigkeit an diesem Ort umherirren. Am Himmel kreisen geflügelte Knochenwesen über mir - die Torwächter. Sie alle sind mir selbstverständlich untertan. Was hast du denn erwartet? Dass ich Panik bekomme und wieder umdrehe? HAHAHA.

»Den Kreisverkehr bei der dritten Ausfahrt verlassen und dem Straßenverlauf folgen.«

Gesagt, getan, liebes Navi. Ich muss gähnen und mich einmal strecken, als mir der Gedanke meines gemütlichen Zuhauses durch den Kopf geht, das mich gleich erwarten wird. Ich lasse schon mal den Autositz nach hinten, um es mir etwas bequemer zu machen. Denn wenn ich sogleich das monumentale Tor passiere, befinde ich mich ähnlich einer Autowaschanlage in einer kurzen Warteschleife, bis ich es durchschritten habe. Meine gehörnten Schergen erwarten mich bereits, um mich mit ihren rötlichen Krallenhänden durch das glühende Portal zu lotsen. Home Sweet Home.

»Sie haben ihr Ziel erreicht! Sie sind erfolgreich zur Hölle gefahren.«

Ich drehe das Radio auf volle Lautstärke – aus dem Mick Jagger von den Rolling Stones »Pleased to meet you; Hope you guessed my name; But what's confusing you; Is just the nature of my game...« zu singen beginnt -, als meine Karre Stück für Stück hinter dem Portal verschwindet. Als ich den qualvollen Schreien der gepeinigten Seelen aus den Flammen lausche, kommt mir letzten Endes ein teuflisches Lächeln über die Lippen.

Mein Name ist Luzifer, und nach einem anstrengenden Arbeitstag sehne ich mich nach einem entspannten Feierabend in meinem geliebten Fegefeuer...