Deutsches Creepypasta Wiki
Advertisement

Wohnkomplex[ität][]

Treten Sie ein. Treten Sie ein. Nur keine falsche Scheu!

Der Ersteindruck mag ein wenig überwältigend sein, aber lassen Sie sich davon nicht abschrecken. Vertrauen Sie mir, es wird sich für Sie lohnen! Schon bald werden Sie hier nie wieder wegwollen.

[Nie mehr.]

Wenn Sie mir dann bitte folgen mögen?

Wie Sie sehen, befinden wir uns unlängst im prunkvollen Kern dieses wunderschönen, unvergleichlichen Objekts, dem Zentrum der Macht, wie ich es so gerne nenne, da es so gewaltig und eindrucksvoll auf seine Betrachter einwirkt. Ein jeder der es betritt, fühlt sich klein und unbedeutend [was Sie auch sind] und wenn ich ehrlich sein soll, werden Sie sich vermutlich nie daran gewöhnen, aber eben diese Empfindung macht einen nicht zu verachtenden Teil des Charmes dieser Immobilie aus, finden Sie nicht?

Nein? Was soll…

Schon gut, machen wir einfach weiter, ja? [Sie haben sowieso keine andere Wahl.] Sie werden schon noch warm mit unserem heimlichen Favoriten. [Vertrauen Sie mir! – ja nicht…]

Ich laufe hinter der schick gekleideten Maklerin hinterher. Sie stolziert wie ein Pfau im Schweinestall umher, präsentiert ein Lächeln, das aus Scheiße Gold zu machen versucht und lügt derart schlecht, dass die Balken des Hauses, das sie anpreist, sich biegen und brechen.

Dennoch folge ich ihr, bin ihrer grellen Worte hörig, hinter deren Fassade sich eine grässlich verzerrte, dämonenfratzenartige Wahrheit verbirgt. Zu grausam und schrecklich, um auch nur über sie nachzudenken, beschleicht sie mich doch unentwegt, flüstert mir zu, jagt mir Schauer den Rücken entlang, lässt das Blut in meinen Adern zu beißender Kälte erstarren.

Was tue ich hier? – schon wieder?

Warum bin ich hier? – schon wieder?

Warum kann ich nicht entkommen? – niemals?

Fragen über Fragen und keine Antworten, nur Lügengeflechte, die immer dichter werden und doch die im Inneren liegende Kernaussage nicht zu verbergen vermögen, die ich zu akzeptieren, mich aber nicht in der Lage sehe, weil es einem Aufgeben gleichkäme, weil es bedeuten würde, hier nie wieder rauszukommen. – [Nie mehr.]

Was halten Sie von einem Rundgang durch die Eingangshalle? Ich möchte Ihnen ausgiebig Gelegenheit verschaffen, sich einen Eindruck von dem Zentrum zu machen, ehe wir fortfahren. [Ersticken Sie vor Ehrfurcht!]

Ich brauche das nicht, muss das Zentrum nicht erkunden, das habe ich bereits oft genug getan und nie nur den Hauch eines Sinns darin gefunden. Es ist so erdrückend, dass mir jedes Mal die Luft wegbleibt, wenn ich es erstmalig betrete. Selbst Stunden später lässt der Druck auf meinen Lungen nicht nach und Stunden kann man damit zubringen, diesen verfluchten Ort auszukundschaften, ohne nur ansatzweise jeden Winkel davon gesehen zu haben.

Die „Eingangshalle“ aka das „Treppenhaus“, wie ich es nenne – nur klingt dieser Name eben zu lapidar und schmucklos für die feine Dame –, ist im Grunde nicht viel mehr als das: Die erste überdimensionale Räumlichkeit, die irgendwo in meterweiter Höhe zu scheinbar unzähligen kleineren Räumlichkeiten abzweigt, hinter denen sich mutmaßlich Wohnungen verbergen, so man sie denn so nennen will.

Gleichzeitig ist es aber so viel mehr als das… [Die Unendlichkeit. Alles und nichts; nichts und alles. Der letzte Ort, den du jemals sehen wirst.]

Der Boden des Treppenhauses [der Eingangshalle!] besteht die meiste Zeit aus schlichten, gräulichen Platten, während die Wände mattweiß sind. Alles erstrahlt in grellem Tageslicht, obwohl es keine Fenster gibt, durch die es scheinen könnte. Erkennbare Lampen existieren nicht und wenn doch, dann hängen sie von einer Decke, herab die ich bisher nie zu Gesicht bekommen habe. Manchmal – nachts? – ist es dämmrig, aber gelegentlich ist das Treppenhaus auch kein Treppenhaus mehr, sondern eine Pforte zur Vorhölle, also will ich mich nicht an solchen Kleinigkeiten stören.

Manchmal ... ja manchmal besteht der Boden aus blankpolierten Fliesen. Manchmal ... manchmal frage ich mich, ob es nicht doch Fenster in diesem hermetisch abgeriegelten Raum gibt, und gleichzeitig wünsche ich mir, diese niemals zu finden, da ich eine Welt, in der ein solches Gebäude existieren kann, nicht sehen wollen würde. Ich glaube nicht, dass mein ohnehin schon mürbe gewordener Verstand diesen Anblick verkraften könnte. Ich habe die Außenwelt nie gesehen, immerzu nur das Innere dieser Ausgeburt der abartigen Fantasien eines verstörten, wahrhaft kranken Geistes. Von mir aus kann es gerne dabei bleiben, besser noch, von mir aus, muss ich nie wieder hierherkommen! [Nie mehr.]


Wie Sie sehen, wurden beim Bau dieses Hauses nur die feinsten, qualitativ hochwertigsten Materialien verwendet. Es wurde unter dem Vorsatz errichtet, für die Ewigkeit [die Unendlichkeit] zu existieren. Wenn Sie mich fragen, haben die Bauherren ihr Ziel erreicht und sich dabei selbst übertroffen. Ganz gleich, welche Natur- oder anderweitige Katastrophe unseren schönen Planeten ereilen mag, dieses Gebäude wird bestehen bleiben. Wer braucht schon einen Atomschutzbunker, wenn er hier leben kann? [Das ist der Moment, in dem Sie lachen sollen.]

Es ist ein Denkmal für die Ewigkeit, für eine Rasse, die nie Unsterblichkeit erlangen kann, aber hiermit dem zumindest ein Stück näherkommt, finden Sie nicht? [Stimmen Sie mir zu, oder schweigen Sie – für immer.]

Wenn der Preis für die Unsterblichkeit wäre, Teil dieses Mahnmals des rohen, unverfälschten Wahnsinns zu sein, dann möchte ich lieber auf der Stelle tot umkippen.

So sehr es mir danach verlangt, ich kann ihr diese Worte nicht an den Kopf knallen. Mein Mund bleibt geschlossen, [auf ewig] versiegelt, wie immer, wenn ich hierherkomme. Ich kann die Hallen des Irrsinns nur als stummer Beobachter durchschreiten und in diesem speziellen Fall, der Person folgen, die mir an die Seite gestellt, die mir aufgezwängt wurde.

Ein Kopfschütteln jedoch, das bringe ich zustande. Zu meiner Zufriedenheit verstimmt es die Maklerin sichtlich. Ihre kalten, blauen Augen gleichen Dolchen, die mich zu durchbohren ersuchen. Ich wünsche fast, sie wären dazu tatsächlich in der Lage…


Hiermit endet unser Rundgang durch die Eingangshalle, aber seien Sie nicht traurig, Sie werden genügend Gelegenheit bekommen, dessen Atmosphäre in vollen Zügen in sich aufzunehmen. Für den Moment aber, wollen wir weitermachen oder besser gesagt: hoch hinaus. [Ihr Einsatz!]

Bleibt nur die Frage, was Ihnen genehmer ist: Die Treppe oder der Fahrstuhl, ich kann Ihnen versichern, dass beide Mittel die Erfahrung absolut wert sind!

Ich bin überrascht darüber, dass sie mich so schnell entlässt. Allerdings ist das Treppenhaus bei meinem heutigen Besuch auch ungewohnt klein. Es ist immer noch deutlich breiter und tiefer als es sein müsste – meterweite Fläche, die mit nichts gefüllt ist, außer dem Boden, auf dem wir wandeln –, eine maßlose Verschwendung an Platz, die einzig dem Zweck dient, mit überdimensionalen Ausmaßen zu bestechen, zu beeindrucken oder einzuschüchtern – vermutlich Letzteres –, aber eben dennoch kleiner, als ich es bisher gewohnt bin.

Die Überlegungen über den sich stetig verändernden Raum, sowohl in seinen Größenverhältnissen als auch in seiner Gestaltung, verlieren sich in der Vorstellung auf das Bevorstehende in Nichtigkeit.

Pest oder Cholera? [Du hast keine Wahl, entscheide dich!]

Der Fahrstuhl steht als eine der wenigen Konstanten in der Mitte des Treppenhauses. Er besteht fast vollständig aus Glas, wobei es hierbei einmal mehr unterschiedliche Variablen in Form von verschiedenen Verkleidungen gibt, die die „wertvolle“ Erfahrung damit, keineswegs verbessern.

Das gläserne Ungetüm ist groß genug, dass ein gutes Dutzend Menschen bequem darin Platz finden. Es steht fast vollkommen frei im Zentrum des Zentrums, wird lediglich von einem schmalen Stahlgerüst umrahmt, welches es durch eine zusätzliche Seilkonstruktion unendlich in die Höhe ziehen kann. Unendlich deswegen, weil ich, so sehr ich mich auch bemühe, beim Hinaufsehen das Ende, sprich die Decke, des Gebäudes nicht ausmachen kann.

Ist beim Bau des Wohnkomplexes bezüglich der Fläche nur „ein wenig“ über die Stränge geschlagen worden, so sind die Herren beim Hochziehen ins Absurde abgerutscht. Natürlich gibt es keine Bauherren, ebenso wie dieses Gebäude nicht wahrhaftig physisch existiert. Alles nur ein Fiebertraum, eine Wahnvorstellung, das Machwerk eines geistig Verrotteten, nicht mehr als ein faulender Leichnam, der aus einem stinkenden Moloch hervor steigt und seine von Maden zerressenden Krallen nach mir ausstreckt.

Furchterregend, aber eben trotzdem nicht mehr als das. Ich muss nur lange genug durchhalten, dann kann ich fliehen. Erneut. [Ein letztes Mal; und dann nimmermehr.]

Die zweite Option, die mir nicht gewährt, sondern nur illusorisch präsentiert wird, damit ich das Gefühl bekomme ein Mitspracherecht zu haben, ist eine schlichte Treppe. Mehr gibt es dazu für den Augenblick nicht zu sagen, außer dass sie zumindest durch ihre Breite im Verhältnis zu den Dimensionen des Treppenhauses fast lächerlich schmal und zu stark an die Wand gedrängt wirkt.

Und nein, der wahre Albtraum besteht nicht darin, sie unendlich weit nach oben, ohne Aussicht auf ein sich näherndes Ende, zu steigen, auch wenn ich zugeben muss, dass dieser Umstand zusammen mit dem Engegefühl in meiner Brust, nicht gerade eine verlockende Vorstellung darstellt.


Ich habe eine Idee, wir machen einfach beides! Ein großartiger Einfall, nicht wahr? [Sie brauchen nicht antworten. Nein ernsthaft, lassen Sie es!] So bekommen Sie einen umfangreichen Eindruck all der Annehmlichkeiten, die Ihnen dieses Haus zu bieten hat.

Sie müssen wissen, der Aufstieg ist auf beide Arten ein unvergessliches Erlebnis, das jedes Mal aufs Neue mit unvorhersehbaren Überraschungen aufwartet. Die Bauherren [die Alten, die Unendlichen] haben keine Mühe gescheut, jede Sekunde Ihres Aufenthalts hier, zu etwas ganz Besonderem zu machen. Die monumentale Pracht der Eingangshalle, die sie verzaubern und für sich einnehmen soll, während sie sie gleichzeitig an ihre nichtige Bedeutung im großen Ganzen erinnert, war erst der Anfang!

Ich weiß all diese Dinge längst, warum erzählt die Maklerin sie mir in aller Ausführlichkeit? Wie viele Male war ich schon hier? [Nicht oft genug.] Wie viele Stunden, wenn nicht Tage und Wochen habe ich damit zugebracht, mich in diesem Labyrinth zu verirren, dass so einfach, so simpel und doch so unendlich komplex und kompliziert errichtet ist?

Ich hoffe inständig, bete förmlich, dass es das letzte Mal ist. Die Zeit streicht unentwegt voran, langsam zwar, aber stetig, zumindest darauf kann ich mich verlassen: irgendwann, so zäh die Uhrzeiger auch voranschreiten mögen, entkomme ich diesem Höllenloch immer. [Verlass dich nicht drauf.]

Bis der erlösende Moment aber kommt, ist es jedes Mal eine Qual, eine Folter, die von Mal zu Mal weniger zu ertragen ist. Ich fürchte mich davor, dass noch ein paar weitere Besuche zu diesem schrecklichen Ort, meinen Geist brechen könnten. [Das werden sie; schneller als du denkst!]

Für den Augenblick versuche ich nicht zu viel darüber nachzudenken, es ist schon schwer genug mich nicht in der schieren Größe [der Unendlichkeit] dieses Gebäudes zu verlieren, sowohl physisch wie geistig.


Folgen Sie mir, hier entlang. Wir werden einige Etagen die Treppe hinaufnehmen und dann in den Aufzug umsteigen. Nehmen Sie sich Zeit, jede Stufe in vollem Umfang unter Ihren Füßen zu spüren, lauschen Sie dem Knarzen, ertasten Sie das geschmeidige Holz des Geländers und das Wichtigste: Lassen Sie sich leiten, achten Sie nicht darauf, wo Sie hingehen, die Treppe wird Sie führen. [Hinab in das infernalische Getöse; hinauf in die frostigen Sturmwinde.]

Alles in mir widerstrebt gegen die Bewegung meines Beins, welches dazu ansetzt zu der Maklerin auf die erste Stufe hinaufzusteigen. Es gibt nichts, was ich dagegen unternehmen kann. Ab hier an, beginnt der simple und doch wirkungsvolle Abstieg in den Wahnsinn eines unmöglichen Hauses.

Auf der ersten Stufe ist alles normal, einfach nur eine Treppe, die nach oben zu weiteren Etagen führt. Meine Begleiterin ist vorgegangen, jetzt dreht sie sich zu mir um, schaut auf mich, mit ihrem falschen Lächeln herab, das dazu auffordert weiterzugehen. Nur Mut, sagt es, kommen Sie, es wird sich lohnen. Eine unvergleichliche Erfahrung, die Sie niemals vergessen werden. [niemals.]

Ich mache einen weiteren Schritt und noch einen, behalte die Maklerin, in der Hoffnung so an der fragilen Realität festhalten zu können, fest im Blick. Ein Wimpernschlag, mehr ist nicht nötig, um meine bis hierhin noch verhältnismäßig gefasste Selbstsicherheit ins Wanken zu bringen.

Obgleich ich sie nicht aus den Augen gelassen habe, befindet die Fremde, die unerwünschte Führerin durch dieses Irrenhaus, sich plötzlich mehrere Meter einen Treppenabsatz über mir entfernt. Vor Schreck – obgleich ich mit dergleichen gerechnet habe, hat mich das Geschehen kalt erwischt –, stolpere ich über meine eigenen Füße, gerate so sehr ins Straucheln, dass ich mich an dem metallenen Geländer festhalten muss – von dem fein gearbeiteten Holz ist auf einmal nichts mehr zu sehen –, um nicht rücklings herabzustürzen, wobei ich mir längst nicht mehr sicher sein kann, nur einige, wenige Stufen zu fallen. [ein bodenloses Loch.]

Die kurze Unachtsamkeit sorgt dafür, dass die Maklerin gänzlich aus meinem Blickfeld verschwindet. Ich hebe den Blick, um nach ihr Ausschau zu halten, wobei ich feststellen muss, dass sie auf einmal unter mir steht und ich mich im Begriff befinde, die Treppe hinabzusteigen, statt hinauf. Wenige Meter weiter, steigt sie jedoch schon wieder an. Ein völlig unnötiger Knick also, der keinem anderen Zweck dient als dem unwilligen Gast, welcher die Sinnhaftigkeit einer jeden überflüssigen oder verqueren Konstruktion in Frage stellt, den letzten Nerv zu rauben. [Und noch mehr.]


Habe ich Ihnen zu viel versprochen? Ganz sicher nicht. Und dabei stehen wir erst am Anfang unserer abenteuerlichen Reise hinauf [hinab] in die oberen [unteren] Etagen dieses Meisterwerks der Ingenieurkunst.

Habe ich Sie schon auf das gusseiserne Geländer hingewiesen? Hören Sie nur, wie es bei der leisesten Berührung sanft vibriert. Spüren Sie, wie das Echo durch Ihren Körper strömt, ihn erfüllt [aushöhlt]? Lassen Sie ruhig zu, dass es Ihren Geist auf eine meditative Reise schickt [von der Sie nie zurückkehren], während Sie federleicht über die Stufen dahingleiten. Sie sind extra so konzipiert worden, dass das Besteigen Ihnen keine Mühe bereitet. Faszinierend, nicht wahr?

Sie wollen mich einlullen, mich schläfrig machen, meine Abwehrhaltung schwächen, aber nicht mit mir! Weder werde ich meditieren, noch dahingleiten, jeder Schritt soll mir eine endlose Qual sein, wenn ich dafür nur meinen Verstand beisammen halte und das surrende Gesinge des Geländers [eine Melodie, längst vergangener Tage], welches durch ein gelegentliches Streichen der Maklerin über das Metall ausgelöst wird: Ich ignoriere es, so gut ich eben kann, während ich mich gleichsam so weit wie möglich davon fernhalte, um es ja nicht selbst anzustoßen.

So bringen wir Treppenabsatz um Treppenabsatz hinter uns. Zwischenzeitig verändern die Gegebenheiten sich immer wieder. Statt hinauf laufen wir hinab oder mitten in das Treppenhaus hinein. Die Stufen unter meinen Füßen ändern regelmäßig ihre Beschaffenheit, nehmen wieder die Form von Holz an, welches durch eine markante Maserung besticht, die, sofern man sie in Bewegung betrachtet ein fließendes Muster ergibt, das fähig wäre, selbst den konzentriertesten Menschen in einen hypnotischen Zustand zu versetzen.

Dergleichen verschaffe ich Abhilfe, indem ich mich Aufmerksamkeit ganz der, für diesen Besuch, neuerlichen Konstante widme: Der Maklerin, die mir durch ihr Gehabe gehörig auf den Senkel geht und deren unentwegtes Geplapper eine ähnlich einschläfernde Wirkung hat, wie das rhythmische Stapfen meiner Füße, gleichsam aber als Fixpunkt dient, um nicht von der Reizüberflutung überwältigt zu werden.

Wir laufen höher und tiefer und höher, ohne irgendwo anzukommen. Da die abstrusen Situationen sich mehr und mehr in Grenzen halten oder ich mich zu sehr an sie gewöhne, gewinne ich langsam an Zuversicht zurück. Einer von zwei [vielen] Fehlern, die ich erst erkenne, als ihre Konsequenzen mich ereilen. Sich auf etwas von Bestand, in einem Haus, in dem nichts und rein gar nichts Bestand hat, zu verlassen, ist Fehler Nummer zwei[tausend].


Sie dürfen frohlocken, gleich schon erreichen wir die erste Etage und das innerhalb von nicht mal einer dreiviertel Stunde! Sie können sich wirklich glücklich schätzen, schon so bald die wahrhaft bedeutsamen Bereiche dieser Immobilie erblicken zu dürfen.

Manch einer unserer Kunden verbringt Jahre in Zentrum der Macht, ohne nur einen Fuß auf die erste Treppenstufe zu setzen. Nicht, dass diese Erfahrung weniger glorreichen Ausmaßes wäre, immerhin sollte ein jeder, dem die Ehre zuteilwird, diese unbeschreibliche Manifestation wahren schöpferischen Könnens erleben zu dürfen, nichts als tiefste Dankbarkeit empfinden. [Knien Sie nieder, vor der Herrlichkeit, derer Sie Zeuge sind!]

Gerade will ich durch ein Kopfschütteln meinerseits zum erneuten stummen Protest ansetzen, um meiner Verweigerung irgendwelchen Götzenbildern meinen Tribut zu zollen Ausdruck zu verleihen, da ist das Ziel dieser Regung schon wieder verschwunden.

Mein Fokus gerät, dicht gefolgt von meinem Körper, außer Kontrolle. Für eine Schrecksekunde verliere ich sprichwörtlich den Boden unter den Füßen, ehe ich mit den Armen rudernd zurücktaumeln kann und mich auf sicheren Grund rette. Erschöpft und mit rasendem Pulsschlag, lasse ich mich an der Wand hinter mir hinabgleiten, um auf einer der Stufen zum Ruhen zu kommen, während meine Augen ununterbrochen in die Leere starren die sich auf einmal vor mir aufgetan hat.

Da wo eben noch die Treppe weiter hinaufgeführt hat, ist nunmehr nichts außer einer Todesfalle, die mich meterweit in die Tiefe stürzen lassen würde, sollte ich erneut so unvorsichtig agieren. Erst einige Absätze weiter, führt der Aufstieg in einer Art weiter, die suggeriert, dass es völlig normal wäre, dass es innerhalb eines Treppenhauses zu solch drastischen Unterbrechungen kommt.

Ungläubig starre ich weiter auf den Punkt, der mich fast das Leben gekostet hätte. Kann ich innerhalb dieser Mauern sterben? [Du bist längst tot.] Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen, es herauszufinden…

Ich sitze noch einige Minuten an Ort und Stelle, wage nicht mich, zu bewegen, aus Angst, weitere Teile des Grunds, von dem ich bisher immer angenommen habe, dass er mich zumindest nicht umbringen würde, könnte einstürzen oder schlichtweg unter mir verschwinden.

Es ist schon bei früheren Besuchen vorgekommen, dass Stufen vor mir aufgehört haben zu existieren oder ins Leere führten, allerdings immer so, dass ich das Ende rechtzeitig auf mich habe zukommen sehen. Dann hilft nur zurückmarschieren sich den neuen Gegebenheiten fügen, endlose Stufen hinab und hinauf und querbeet durch einen sich ständig verändernden Irrgarten [das ewige Labyrinth] blindlings zu folgen, weiteren Sackgassen auszuweichen und zu hoffen, irgendwann irgendwo anzukommen, wobei es keinen Ort innerhalb dieses Gemäuers gibt, den zu erreichen es wert wäre, weswegen Flucht die einzige Sehnsucht ist, die mich antreibt, obgleich ich weiß, dass das Umherirren allein mir diese nicht ermöglichen wird. [Du kannst nicht entkommen. Niemals.]

Nach einer Weile habe ich mich genug von meinem Schock erholt, dass ich mir zutraue, mich langsam und vorsichtig wieder zu erheben. Es geschieht nichts, die Treppe bleibt unverändert. [Noch.]

Gerade als ich mich umsehen will, wo ich denn – mutmaßlich – weiterkomme, ertönt von weit oben eine vertraute und mittlerweile verhasste Stimme.


Was machen Sie denn da unten, Sie sollten mir doch dicht auf den Fersen bleiben [mein treues Geleit in die Unterwelt sein.] Ich verstehe Sie ja sehr gut, Sie möchten jeden Winkel dieses wundersamen Hauses genauestens untersuchen, es bis ins kleinste Detail kennenlernen, fester Bestandteil davon werden [binden Sie sich, werden Sie eins mit der Unendlichkeit], aber für die Zeit der Führung muss ich darauf bestehen, dass Sie an meiner Seite bleiben. Also hopp hopp, kommen Sie hinauf. Ich warte [schon zu lange.]

Für einen kurzen Augenblick muss ich dem Impuls widerstehen, einfach über das Geländer zu steigen und mich fallen zu lassen [spring!] Wie hoch bin ich mittlerweile? Zehn Meter? Hundert? Spielt das eine Rolle?

Ich traue mich nicht herabzusehen, weil meine Höhenangst mir gebietet, mich von dem Abgrund [der dich schon längst gefangen hält – sieh‘ hinab, starre hinein!] fernzuhalten.

Hinaufsehen bereitet mir jedoch eine ähnliche Übelkeit. Zwar sehe ich die Maklerin in vergleichsweise geringer Entfernung, allerdings könnte sie genauso am Ende des Horizonts oder eines verfluchten Regenbogens stehen.

Vor mir breitet sich ein Wirrwarr aus, das eines Escher würdig ist. Die Treppen führen nicht mehr länger nur hinauf, hinab, ragen in den Raum hinein oder enden unvermittelt an willkürlichen Positionen, nein, sie sind verdreht, hängen kopfüber und sind teilweise nicht einmal mehr als begehbare Formen erkennbar.

Es ist mir unmöglich, weiterzugehen. [Lauf!]

Es ist mir unmöglich, zu rasten. [Bleib‘ hier!]

Es ist mir unmöglich, noch eine Sekunde länger innerhalb dieses Irrenhauses zu verbringen. [Für immer!]

Alles in mir schreit danach meinem Fluchtinstinkt zu gehorchen, doch kann dieser mich nur in mein Verderben führen, da ein falscher Schritt, mein letzter sein würde. Gleichzeitig ist es mir ohnehin nicht möglich zu fliehen, da ich ein Sklave dieses Ortes und dazu verdammt bin, zu tun, was er von mir verlangt wird. Eine fremde Macht zieht mich sacht, aber bestimmt zu der Maklerin hin. Früher oder später werde ich mich ergeben müssen und losgehen, ganz gleich, ob ich einen sinnhaften Weg zu ihr finde oder nicht.

Just als ich verzweifelnd auf die Knie fallen und schreien möchte, ehe ich mich in Embryonalhaltung begebe, um mich für den Rest meiner kümmerlichen Existenz weinend und schluchzend hin und her zu wiegen, wird plötzlich alles gerade und ins rechte Lot gerückt.

Ich stehe auf dem Absatz einer gewöhnlichen Treppe, die mir seltsam vertraut ist. Warmes Sonnenlicht, scheint mir durch ein Fenster hinter mir auf den Rücken. Eine Ahnung beschleicht mich, woher ich dieses Treppenhaus kenne, sie lässt mein Herz vor Freude jauchzen.

Heimat.

Ich bin nicht zu Hause, aber zumindest an einem Ort aus meiner Vergangenheit. Ein Anker, der genau rechtzeitig kommt, mich aus den tosenden Fluten eines Meeres zu fischen, dass sich bestrebt zeigt meinen schwächlichen Körper unter seiner tonnenschweren Last zu zermalmen.

Die Glückseligkeit ist nicht von Dauer, denn kaum mache ich einen Schritt in das bekannte, normal-dimensionierte Treppenhaus hinein, zerfällt es schon in seine Bestandteile.

Ehe ich mich versehe, finde ich mich in einer panischen Flucht wieder. Mein Bewusstsein muss kurzzeitig ausgesetzt haben, denn ich wache mitten im Sprinten auf, wie ich immer zwei Stufen gleichzeitig eine Treppe hinaufrenne – die gleiche, vertraute und nun doch bis zu Unkenntlichkeit entstellte –, ohne irgendwo anzukommen.

Sie reicht unendlich in die Höhe, sie reicht unendlich in die Tiefe, sie endet plötzlich vor mir, sie endet plötzlich hinter mir, ich stehe inmitten einer freihängenden Konstruktion, die alles andere als stabil und mehr als sanierungsbedürftig wirkt.

Hektisch sehe ich mich um, suche nach einem Ausweg, einem Seil, an das ich mich klammern kann und finde nichts. Dann: eine weitere Vertraute. Eine Bewohnerin dieses Hauses, deren Gesicht – das nicht vorhanden ist – vage Erinnerungen wachruft.

Sie läuft unter mir – neben mir – über mir – irgendwo innerhalb dieses Irrgartens umher, scheinbar ungestört, ohne den Hauch einer Ahnung über den Schrecken, dem sie schutzlos ausgeliefert ist. Ich möchte sie fragen, wie sie das macht, wie sie dort hinten – kilometerweit entfernt und doch direkt bei mir – die Treppe entlanglaufen kann, ohne in Panik zu verfallen, sich hoffnungslos zu verlaufen oder den nächstbesten Abgrund hinabzustürzen.

Sie versteht mich, obgleich ich nicht sprechen kann. Ihr Gesicht drückt Mitgefühl und Irritation gleichermaßen aus. Sie möchte mir helfen und hält mich für unrettbar geistesgestört. Ehe ich eine weitere Frage stellen kann, ist sie schon entschwunden.

Ich breche an Ort und Stelle zusammen. [Ruh‘ dich aus. Schlaf‘ ein, mein Kind.]


Jetzt hören Sie aber auf mit dem Unsinn, ich habe wirklich genug von Ihren Albernheiten. Stehen Sie gefälligst auf, Sie blamieren mich noch! [Ich stoße Sie die Treppe hinab, wenn es sein muss! Entweder Sie oder ich.]

Vorsichtig blinzele ich. Habe ich es geschafft? Bin ich entkommen?

Sobald meine Augen auf die schwarzen Lack-Oxfords mit dezentem Absatz fallen, die direkt vor mir stehen und von denen einer ungeduldig trippelt, weiß ich, dass ich noch immer gefangen bin. Doch wenigstens ist der Boden unter mir glatt, keine kantigen Stufen bohren sich in meine Rippen oder meine Hüfte. Dennoch tut mir alles weh, jeder Muskel schmerzt, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Meine Lunge brennt, mein Herz pocht wild, ich bin schweißgebadet.

Man verlangt von mir aufzustehen. Ich glaube nicht, dass ich dazu fähig bin, obgleich ich weiß, dass die dolchartigen Blicke nunmehr keine leere Drohung mehr sind. Wenn ich nicht tue, was die Maklerin [die treu ergebene Dienerin des Hauses] von mir verlangt, wird sie mich töten und unter dem Fundament ihrer geliebten Immobilie [ihres heimlichen Favoriten] begraben.

Also stemme ich die Hände in den Grund und hieve mich hoch, auch wenn es meine gesamte Kraft, vor allem aber Überwindung kostet.


Na geht doch, war das jetzt so schwer? Reißen Sie sich ein wenig zusammen und diese Besichtigung kann noch zu einem erfolgreichen Ende für uns beide geführt werden. [Ihre Verfehlung wird mir zur Schuld.]

Für den Bruchteil einer Sekunde glaube ich zu sehen, wie das Gesicht der Maklerin, wie ein Teil einer Häuserfassade, zu bröckeln beginnt [wir sind eins!] Dann ist es wieder da, das perfekte Lächeln, die strahlenden, kalten Augen, der bohrende Blick. Was bleibt ist der Hauch einer schmerzverzerrten Miene, welche sich in ihren kaum merklich verzogenen Lippen widerspiegelt.

Sie ist selbst nur eine Gefangene, wie ich, doch kann ich kein Mitleid für sie empfinden, nur an mein eigenes Entkommen denken. [Jeder für sich allein.]

Mir scheint, wir haben der Besichtigung der Treppe für den Moment Genüge getan und sollten uns nun dem zweiten Meisterstück des Transports, innerhalb dieses beschaulichen Gebäudes widmen: Dem Fahrstuhl [der gläserne Sarg.]

Tatsächlich stehen wir quasi schon vor dem instabilen Albtraum. Lediglich eine ungefähr zehn Meter langer, schlichter Steg aus Stahl, mit deutlich massiver wirkendem Geländer als die gesamte Konstruktion des Seilzugsystems, trennt uns von dem nächsten Abschnitt, der stufenweise abwärts in die Wirren der geistigen Verrohung führt.

Ohne Zeit zu verschwenden, geht meine Führerin auf das stählerne Gerüst zu, welches den Quader in Position hält, in den wir sogleich einsteigen wollen [müssen.]

Allein bei dem Anblick wird mir direkt flau im Magen, weil ich mir, wie so oft, zwar vornehme innerhalb des Fahrstuhls nicht nach unten durch den Glasboden zu schauen, doch jetzt schon weiß, dass ich es trotzdem tun werde.

Wir kommen direkt vor dem Monstrum zu stehen, welches augenblicklich geräuschlos und geschmeidig seine Pforten [sein klaffendes Maul] für uns öffnet. Die Maklerin steigt ein, ohne zu zögern, ich bleibe hinter ihr zurück. Sie dreht sich um, bemisst mich mit einem eindeutigen Ausdruck in den Augen, woraufhin ich ihrer Aufforderung Folge leiste und ebenfalls einsteige.

Statt dass die Türen sich hinter mir schließen [die Zähne dich zerreißen], bleiben sie einige Minuten, in denen weitere Gäste wie aus dem nichts erscheinen und einsteigen, offen.

Die Fremden, die Besucher, [die ewigen Bewohner], sind für mich nur stumme, leere Gesichter. Ich erkenne Konturen, jedoch keine klaren Züge, keine Ausdrücke, keine Emotionen. [kein Leben, das noch in diesen Hüllen steckt.]

Niemand spricht, Schweigen legt sich über uns wie eine massive Decke, die stärker als die natürliche Gravitation auf mir lastet, mich förmlich unter sich zerquetscht. Das Atmen fällt mir immer schwerer, aufgrund einer Vorahnung beginne ich zu zittern, Tränen steigen mir in die Augen.

Ich will raus, doch meine Beine regen sich nicht. Die Tür, sie steht sperrangelweit offen, die Gelegenheit zur Flucht war nie günstiger und würde es nie wieder werden, doch mein Körper gehorcht mir schon lange nicht mehr. Quälend langsam schieben die Flügel sich nun aufeinander zu, sie verhöhnen mich, lachen über meine Unfähigkeit [deine Schwäche, deine Sterblichkeit] und schließen sich nach Minuten [einer Ewigkeit] endgültig.

Ich bin gefangen, gefangen in einem gläsernen Raum, der meter- wenn nicht kilometerweit über einem Abgrund schwebt und schon bei der leisesten Störung in tausend Teile zerspringen kann.


Haben Sie keine Angst, der Fahrstuhl besteht zwar aus Millimeter dünnem Glas, doch hat er bisher nie eine Funktionsstörung gehabt, geschweige denn einen Sprung oder Riss bekommen. Die Ingenieure dieses Wunderwerks der Technik haben perfide auf die Sicherheit seiner Nutzer geachtet. Eher würden Sie hier drinnen verhungern, als sich durch die Wände arbeiten zu können [das war kein Witz.]

Und da heben wir auch schon ab. Hören Sie nur: Unglaublich nicht wahr? Wie die Maschinen schuften, ohne einen Laut von sich zu geben. Geräuschlos gleiten wir dahin, hinauf in himmlische Sphären [die verdrehten, wirbelnden, wirrenden Spiralen namenloser, endloser Horizonte], die nur wenige Menschen je erreichen.

Aber ich will nun schweigen, Sie sollen Ihren Aufstieg [den Fall] schließlich in vollen Zügen genießen dürfen.

Ich kann nur schwerlich widersprechen. Tatsächlich bewegt der Fahrstuhl sich, ähnlich wie seine Türen, absolut geräuschlos nach oben. Gleichsam erkenne ich den Auftrieb nur daran, dass die Treppe rings um mich herum an mir vorbeizieht, weil ich die Bewegung nicht einmal spüren kann. Ich fühle mich schwerelos und gleichzeitig, als ob ich unendlich fallen würde, obwohl meine Augen mir garantieren, dass es stetig nach oben geht.

Das Gefühl des freien Falls dreht mir den Magen um, mir wird schummrig, ich will mich irgendwo festhalten, doch gibt es keine Haltestangen und die Glaswände zu berühren, wage ich trotz der Versicherung der Maklerin nicht, vor allem, weil sie so klar und rein sind, dass ich mir schon nicht mehr sicher sein kann, ob sie wirklich existieren oder ich nur ins Leere greifen würde.

Unter mir zieht der Wohnkomplex dahin und sich unendlich in die Länge. Natürlich blicke ich hinab, was meine Übelkeit ein paar Latten höher legt. Die Treppe, obgleich aufgrund der quadratischen Form der Eingangshalle eckig angelegt, scheint sich spiralförmig in den Untergrund zu bohren. Mit rasender Geschwindigkeit fährt sie hinab in das Erdreich, um es aufzureißen, zu durchstoßen, zu seinem Kern vorzudringen, in dem wir verglühen werden, bevor dieser aufbricht und alles [die Welt, den Kosmos] in einem Flammenmeer versengt. Was übrigbleibt, ist das Gebäude, das Treppenhaus, der Fahrstuhl, die Wohnungen [alles und nichts.]

Nichts dergleichen geschieht, wir fahren einfach immerfort, immer weiter hinauf in unwahrscheinliche Höhen. Höhen, die es gar nicht geben sollte, doch das Haus macht sie möglich [es existiert überall und nirgendwo.]

Einmal mehr, begehe ich den Fehler mich nach einer gefühlten Ewigkeit an meine Situation zu gewöhnen. Mein heutiger Besuch dauert ungewohnt lange an, was nur bedeuten kann, dass er bald enden wird [er wird ewig andauern], was mich dazu verleitet ein wenig entspannter zu werden.

Just in diesem Moment durchbrechen wir eine Grenze. Ein winziger, bedeutungsloser Ruck geht durch den Fahrstuhl, bei dem mir das Herz in die Hose rutscht. Wenn wir jetzt fallen, würde ich Minuten brauchen, um unten aufzuschlagen, sofern es noch ein „unten“ gibt. Womöglich hat sich längst alles, was ich bis hierhin gesehen habe, in Nichts aufgelöst und ich würde einfach endlos in den bodenlosen Abgrund stürzen [er erwartet dich.]

Die nächste Sekunde überzeugt mich davon, dass ich mit meiner Vermutung gar nicht mal so falschliege.

Plötzlich befinden wir uns nicht mehr innerhalb der uns umschließenden, undurchdringbaren Mauern, sondern außerhalb dieser. Der Fahrstuhl gleitet lautlos an einer der Außenwände vorbei, zu allen anderen Seiten kann ich nur grelles, undurchdringliches Weiß ausmachen. Ich erkenne keinerlei Gerüst mehr, dass unser Gefährt umschließt und stabilisiert, nur das Stahlseil, es unablässig zu sich nach oben zieht ist noch vorhanden.

Eine falsche Bewegung, nur eine einzige falsche Bewegung und wir geraten ins Schlingern, bei der Geschwindigkeit, die der Aufzug derzeit hat, würde er vermutlich an der Fassade zerschellen und seine Fracht kreischend hinabwerfen, während er sie gleichzeitig mit seinen messerscharfen Splittern zerfetzt. Bilder ziehen vor meinem inneren Auge vorbei, wie ich aus tausend Wunden blutend, auf den Grund unter mir herabregne, während mein Körper aufgrund des Tempos, in dem er beschleunigt, in seine Einzelteile zerfällt.

Um mich herum scheint sich niemand daran zu stören, dass unser Leben auf Messers Schneide steht. Reglos starren sie alle, inklusive der Maklerin, stur geradeaus. Wie Schafe [die Schlachtbank ruft], die zu tumb zum Blöken geworden sind. Ein Gutes hat dieser Umstand allerdings: Niemand wird auf die Idee kommen, plötzlich durch den Fahrstuhl zu stürmen und zu verlangen, dass man ihn rauslässt.

Hätte ich doch nur meinen Kopf zum Schweigen verdonnert…

Ohne Vorwarnung beginnt auf einmal einer der Fahrgäste zu schreien. Er schlägt wild um sich, was den [gläsernen Sarg] leicht in Schwingung bringt. Als er einen der anderen [ewigen Bewohner] anstößt, gerät auch dieser in Bewegung, wenngleich deutlich ruhiger und bestimmter. Er packt den Tobenden am Arm und versucht ihn, dazu zu zwingen, wieder still zu stehen.

Doch der Ausscherende will nicht hören. Er reißt sich los, schlägt den anderen nieder, stürmt zu einer der Glaswände, hämmert mit seinen Fäusten dagegen. Der Niedergeschlagene richtet sich auf, reibt sich die Wange und nickt einigen seiner Mitbewohner zu, diese verstehen sofort.

Mittlerweile ist der Fahrstuhl stark ins Wanken geraten. Er schwingt hin und her, während er unablässig in immer schneller werdendem Tempo nach oben rast. Wir kommen der Fassade gefährlich nahe, was mich dazu veranlasst in die Knie zu gehen und mich am Boden festzuhalten.

Indes packen zwei weitere Bewohner den Tobenden, während noch einmal zwei, sich zur Tür begeben. Ich kann nicht glauben, was ich sehe, was nichts daran ändert, dass es geschieht.

Die zwei an den Flügeln, schieben ihre Finger zwischen den Schlitz und zerren sie auf, während die ersten beiden ihren Gefangenen darauf zuschieben. Je weiter die Pforte [zum Himmel, zur Hölle] sich öffnet, desto stürmischer wird es im Inneren des Aufzugs. Der Fahrtwind zerrt an meinen Kleidern und meinem Leib, meine Finger verkrampfen in dem Versuch, sich in das Glas unter mir zu bohren, ich glaub,e ich schreie, doch sicher bin ich mir nicht, weil ich neben dem Tosen des Windes nichts hören kann, auch nicht das Gekreisch des Mannes, der verzweifelt um sein Leben ringt.

Ich denke nicht eine Sekunde daran, ihm zu helfen, will nur selbst lebend aus diesem Albtraum erwachen.

Schließlich ist es so weit. Sie stoßen ihn hinaus, aus der geöffneten Tür [in die Leere], dessen Zugkraft versucht auch mich herauszuzerren – das Gefühl der Schwerelosigkeit erreicht seinen Höhepunkt, als meine Füße tatsächlich kurzzeitig den Boden verlassen –, das Opfer wehrt sich jedoch bis zum Schluss, krallt sich am Ärmel einer seiner Peiniger fest und reißt diesen mit sich ins Verderben [ins Nichts.] Einen Wimpernschlag sehe ich die beiden noch, im nächsten sind sie schon ein winziger Punkt irgendwo tief unter mir, ehe sie von dem endlosen Weiß verschluckt werden.

Die Türöffner schieben diese wieder zu, sie und der Anleiter dieser ganzen Aktion, stellen sich an ihre ursprünglichen Plätze und verharren schon bald wieder so ruhig, wie zuvor, so, als wäre nichts gewesen. Auch der Fahrstuhl kommt erneut zur Ruhe, schwingt noch ein paar Mal sacht aus und bleibt dann wieder schnurgerade.

Die restliche Fahrt, die scheinbar Stunden andauert, verbringe ich am Boden kauernd und leise wimmernd.


Nun, das war doch eine recht erbauliche Erfahrung, nicht wahr?

Die Maklerin sieht sich irritiert um, bis sie mich unter sich findet. Ich registriere erst mir einiger Verzögerung, dass der Aufzug nicht nur angehalten hat, sondern wir uns zudem wieder im Inneren des Gebäudes befinden. Von den anderen Bewohnern ist nichts mehr zu auszumachen.


Habe ich nicht gesagt, dass Sie sich zusammenreißen sollen? Kommen Sie, wir haben es fast geschafft. Ich weiß, der Aufstieg kann unter Umständen eine Tortur sein, aber vertrauen Sie mir [nicht, niemals, nie], der Aufwand wird sich am Ende gelohnt haben. Bald können Sie ruhen [für immer.] Also kommen Sie, stehen Sie auf [jetzt!]

Ich tue wie mir geheißen, aber nur, weil ich zu schwach bin, um einen Funken von Abwehrhaltung in meinem Inneren entfachen zu können. Ich will nur, dass es endet, egal auf welche Art. Nie zuvor war mein Besuch hier derart anstrengend ausgefallen, immerzu habe ich [der Endlosigkeit, dem Tod] ein Schnippchen geschlagen, doch heute, heute fehlt mir dazu die Kraft. Der Weg hier hoch war zu viel, es ist vorbei, ich gebe auf.

Ohne es zu registrieren, folge ich der Maklerin einen Flur entlang, der sich in einer der Wände aufgetan hat. Wir laufen an unzähligen [nahezu unendlich vielen] Türen vorbei. An ihnen prangern Namen, die mir nichts sagen, mir nichts bedeuten. [Wir sind viele. Eine Masse, die sich in sich selbst verliert.]

Schließlich bleibt die feine Dame, der ich nicht einmal mehr Ärger gegenüber verspüren kann, vor einer noch unbeschrifteten Tür stehen. Sie bedeutet mir aufzumachen. Ich frage nicht nach einem Schlüssel, greife nur die Klinke, drücke sie hinab und trete ein.


Erschrocken öffne ich die Augen, ein knappes Keuchen entfleucht meinen Atemwegen. Im ersten Moment habe ich Orientierungsschwierigkeiten, weiß nur, dass ich in einem Bett liege und um mich herum dämmriges Morgenlicht herrscht, welches zu weiten Teilen von zugezogenen Vorhängen ausgesperrt wird.

Langsam begreife ich, dass ich erwacht bin, dass der Traum ein Ende hat. Ich möchte erleichtern aufatmen, kann es aber nicht, weil der Druck um meinen Brustkorb weiterhin vorherrscht. Das Gefühl mich noch immer in dem ewigen Gebäude [dem Alles und dem Nichts] zu befinden, lässt mich nicht los.

Ich treibe meinen Körper dazu an, sich aufzurichten, sich aus dem Bett zu schleppen, durch den Flur zu stolpern und ins Bad zu gehen. Jeder Schritt fühlt sich surreal an, meine Welt hat keinen Bestand, sie ist nur ein Trugbild [nur Fassade], da bin ich mir sicher. Dennoch glimmt Hoffnung in mir, die Hoffnung wach zu sein, die Hoffnung entkommen zu sein [schon wieder.]

Wie viele Male war ich nun schon an diesem seltsamen, verstörenden Ort? Zu oft. Das muss aufhören. Ich will nicht mehr dorthin zurück [nie mehr.]

Der Toilettengang, das Zähneputzen, nicht einmal ein paar Spritzer Wasser ins Gesicht, können das Gefühl vertreiben, nicht wirklich zu Hause zu sein. Ich drehe mich zur Tür, [die – noch – keinen Namen trägt], mustere sie minutenlang skeptisch und weiß doch, dass es keinen Zweck hat. Ich kann mich nicht für alle Ewigkeit im Bad einsperren. Ich muss hinaus [hinein] und mich der Wahrheit stellen, die von Anfang an klar und deutlich vor mir gestanden hat.

Ich atme tief durch, akzeptiere, was keine Akzeptanz benötigt, unterzeichne den Kontrakt, der einseitig geschlossen wird, wobei nicht ich der Entscheidende bin, und öffne die Tür.


Da wären wir. Eine Ein-Zimmer Wohnung, dreiundzwanzig Quadratmeter, zugegeben, nicht das Größte, aber mehr benötigen Sie ja nicht, nicht wahr? Sie waren stets allein [und werden es immer sein], außerdem ist es dafür vollständig möbliert. Fenster gibt es keine [weil da draußen nichts existiert], das Bad ist winzig, dafür die Küche verhältnismäßig geräumig. Um Einkäufe brauchen Sie sich selbstredend nicht zu kümmern, die monatlichen Kosten belaufen sich auf [alles was Sie je besessen haben] und der Vertrag geht über Lebens[-todes-]zeit.

Noch eine Anmerkung, bevor ich Sie für heute in Frieden lasse: Es besteht die Möglichkeit, dass Sie einen von vielen Tätigkeiten annehmen, die der Gesellschaft dieses Hauses dienlich sind. Natürlich wird der Aufwand mit entsprechenden Vorzügen entschädigt, doch seien Sie sich der Tatsache gewahr, dass etwaiges Fehlverhalten, hart bestraft wird.

Nun denn, gehaben Sie sich wohl.

Ich habe nur mit halbem Ohr zugehört, bekomme noch schicksalsergebend mit, wie die Tür hinter mir klickend in ihr Schloss fällt, ehe ich tiefer in die Wohnung hineintrete.

In ihr findet sich nichts Auffälliges oder Außergewöhnliches. Ich steuere einen bequem aussehenden Sessel an, begebe mich darauf zur Ruhe, starre eine weiße Wand an und lasse die Ewigkeit auf mich wirken.

Ich lebe in einem Haus, das nicht existiert.

Ich beziehe eine Wohnung, die nicht die meine ist.

Ich bin nicht länger ich, kein Individuum mehr, sondern wieder Teil des Ganzen, Teil der Unendlichkeit.

Auf ewig.

Treten Sie ein, treten Sie ein. Nur keine falsche Scheu!

Treten Sie ein und erblicken Sie das Zentrum der Macht, das Zentrum von allem, das Alles und das Nichts, den Beginn und das Ende. Alles strömt von hier hinaus in die Gezeiten und strömt hierher zurück, wenn seine Zeit gekommen ist. Aus einem Sandkorn wird eine ganze Welt und ein endloser Kosmos wird zu einem Aschehäufchen verbrannt.

Treten Sie ein, treten Sie ein. Nur keine falsche Scheu!

Eines Tages, werden auch Sie hierher zurückkehren und Ihre Wohnung in der Unendlichkeit des Nichts beziehen.

Treten Sie ein…

Advertisement